Familiendrama eines Monsterjägers
Das polnische Studio CD Projekt Red drängt mit dem Finale seiner Rollenspieltrilogie in die Oberliga des Genres. „The Witcher 3: Wild Hunt“schafft dies nicht nur durch schieres Spektakel, sondern vor allem durch viel Menschlichkeit im Schatten großer Be
Wien – Abenteurer trauen sich, abseits des Weges zu gehen. Bei The
kann dieses Draufgängertum mit atemberaubenden Aussichten auf Gebirgslandschaften oder einem amüsanten Gespräch mit einem Landstreicher belohnt werden. Wer sich noch ein Stück weiter ins Ungewisse vorwagt, stößt vielleicht sogar auf den Eingang einer Höhle und die Dämonen, die darin hausen. Und es kann auch passieren, dass man, zwischen wehenden Nadelbäumen träumend, von einer gigantischen Kreuzung aus Igel und Elefant überrannt wird.
Das Finale von CD Projekt Reds Rollenspieltrilogie ist ein Honigtopf für Entdecker, der Besuchern eine Welt voller Wunder offenbart. Ein seltener Genreschatz, der aber auch weniger wagemutige Freunde spannender Geschichten in seinen Bann zieht. Sofern man gewillt ist, über so manche Stolpersteine hinwegzusehen.
Der rote Faden, der durch diese geselligen Städte, tyrannisierten Dörfer, düsteren Wälder, eiskalten Berge und stinkenden Sümpfe führt, windet sich zur erfrischenden Abwechslung ausnahmsweise nicht um eine „Rette die Menschheit“-Geschichte. Prota- gonist Geralt ist ein überaus eigensinniger Auftragsmonsterjäger, der zwischen mittelalterlichem Leid, Krieg und Dekadenz sein persönliches Glück finden will und sich dafür auf die Suche nach zwei Frauen und so etwas wie Familie macht – seiner Liebe Yennefer und seiner Ziehtochter Ciri. In diesem Kontrast spiegelt sich die geballte Menschlichkeit dieser Fiktion wider, die keine schwarzweißen Bilder von Gut und Böse fabriziert, sondern Charaktere mit Motiven und Fehlern zeichnet.
Verlockende Falle
Als Hexer jagt man Bestien, um Geld zu verdienen, manipuliert mit seinen Zauberkräften Schurken, um an Informationen zu gelangen, und entschließt sich, unterdrückten Bürgern zu helfen, nur um dann ein ums andere Mal festzustellen, dass es nicht immer etwas zu gewinnen gibt. Anders als in vielen Rollenspielen stellen die Autoren nicht zur Wahl, wen man spielt, sondern nur wie die Handlung weitergeht, und schaffen mit dem Fokus auf eine Person Identifikationsmöglichkeiten, wie sie für eine mitreißende Geschichte nötig sind. Auf den Schultern lastet dabei selten mehr als das Überleben eines Einzelnen, dessen Bedeutung dafür umso schwerer wiegt.
ähnelt damit konzeptuell dem moderneren Epos wie wenngleich man nicht mit Auto und Pistole, sondern mit Schwertern und Zaubertränken hoch zu Ross durch die Landschaft zieht. Ob man strikt der Handlung folgt (die auch für Serienneulinge verständlich aufbereitet wurde) oder sich auf Missionen abseits bewegt – Geralts Persönlichkeit ist eng verwoben mit seiner Umwelt. Selten wirken Aufträge beliebig und werden, wie zu Beginn die Erlegung eines terrorisierenden Greifvogels oder die Aufspürung verschollener Verwandter eines Herrschers, in kleinere zusammenhängende Aufgaben aufgeteilt.
Die dutzende Stunden okkupierenden Schauplätze halten mit Aufgabenvielfalt bei der Stange. Man nutzt seine übersinnlichen Fähigkeiten, um Tatorte zu analysieren und Hergänge zu rekonstruieren, besorgt seltene Kräuter für heilende oder tödliche Öle, stellt Fallen und bereitet sich auf einen Showdown mit einer Bestie vor. Wie man an diese Herausforderungen herangeht, ist einem oftmals freigestellt, wodurch offensivere wie zurückhaltendere Spielstile gleichermaßen belohnt werden.
Nicht immer klappt der Übergang zur Erzählung reibungslos, was allfälligen technischen Ungereimtheiten genauso geschuldet ist wie Pacing-Schwächen. Unmittelbar aneinandergereihte Zwischensequenzen nehmen Schwung aus dem Epos, und scheitert man bei großen Kämpfen, ärgert man sich über ungeschickt gesetzte Rücksetzpunkte. Unterschätzen sollte man aber selbst passivere Momente nicht. Die spannenden Dialoge fordern einen mitzudenken und keine willkürlichen Antworten zu geben. Worte können stärker als Stahl sein und eine Schmeichelei einen womöglich tödlichen Streit verhindern. Vor Stunden getroffene Entscheidungen können sich gegen Ende hin gravierend aufs persönliche Schicksal auswirken.
Geradezu emanzipiert ist der ungekünstelte Umgang mit Emotionen. Humor, Sexualität und Gewalt sind Teil der Aufführung, nicht Kuriositäten im Rampenlicht. Rassismus und Ausbeutung tauchen diese Fiktion in eine Dunkelheit, wie es abgetrennte Gliedmaßen und Pixelblut allein nicht könnten. Geralts Maskulinität wird eine Weiblichkeit entgegengesetzt, die über attraktive Nebenrollen hinausgeht und Frauen porträtiert, die sich nicht unterordnen lassen. Sex, Witz, Hinterfotzigkeit und viel Feingefühl lassen immer wieder Thrones- Flair aufblitzen.
Kommt es zum Eingemachten, ist man nicht minder schlagkräftig. Mit zwei Klingen für Menschen und Monster weiß der Hexer sich durch Fleisch und Rüstungen zu säbeln. Zeitgerechte Abwehrreaktionen ermöglichen Kontertreffer, und Feuerattacken bringen selbst hartnäckige Widersacher ins Schwitzen. Wie sehr Magie Gefechte bestimmt, steht einem offen und entscheidet sich langfristig dadurch, wie man seine gewonnenen Erfahrungspunkte investiert. Um vor Banditen und den reichlich lauernden Bestien gewappnet zu sein, sucht man Schmiede auf und wertet seine Gerätschaft und Rüstung auf.
So leichtfüßig und treffsicher man das Schwert schwingt, lässt das Repertoire an Zaubern und Blocks viel Raum für verschiedene Taktiken. Dem Gefühl der absolut befriedigenden Durchschlagskraft wie in im viel gelobten Bloodborne steht eine zu lose konfigurierte Steuerung im Weg, und wer mehr Risiko sucht, wird erst in den höheren Schwierigkeitsgraden, die sich jederzeit aktivieren lassen, richtig gefordert.
Vielfalt ist womöglich die herausragendste Eigenschaft dieses Abenteuers und gleichzeitig dessen größte Hürde. Es ist erstaunlich, wie viel Arbeit in die Gestaltung dieser riesigen Welt geflos- Abenteuer für Rollenspieler sen ist. Von den raschelnden Gräsern der Steppe und den per Hand eingerichteten Wohnhäusern über die dramatischen Lichteinfälle und Wetterumschwünge, die ein ganzes Ökosystem aus Tieren, Fabelwesen und Menschen inszenieren, bis hin zu den aberdutzenden Quests, die sich unermüdliche Schreiber ausgedacht haben. Bei Streifzügen durch Dörfer und Städte stößt man alle paar Meter auf interessante Geschichten, kann sich die Sorgen der Trunkenbolde anhören oder sich in ein Segelboot setzen und die Ruhe eines Sees inhalieren. Hervorsticht dabei das wunderbar eingebundene Kartenspiel namens Gwent, das als Metapher für reale Schlachten fungiert.
Lässt man sich auf diesen Mikrokosmos ein, wird man in seiner Rolle sprichwörtlich aufgehen. Doch wirklich einfach macht es das Spiel einem nicht. Denn diese Flut an Inhalten in einem praktischen und übersichtlichen Interface zu bündeln ist den Entwicklern nur bedingt gelungen. Kleinteilige, rasch mit Sammelgegenständen übersäte Inventars, winzige Beschreibungen und zig Anzeigen für Energie, Magie und vieles mehr helfen nur bedingt dabei, sich einen Weg durch dieses Chaos zu bahnen. Während die Designer mit einem dezidierten Story-Modus sogar Neulingen den Genuss dieser Welt erlauben, verschreckt man damit ungeübte oder zeitlich begrenzte Spieler und macht ein durchaus zugängliches Game komplizierter, als es sein müsste.
Fazit
The Witcher 3 ist ein Abenteuer, das Freizeitmonsterjäger über Wochen unterhalten wird. Dass es sich trotzdem nicht durch seine schiere Größe, sondern seine Liebe zum Detail definiert, macht es zu einem ganz besonderen Erlebnis. Es wäre ein Leichtes gewesen, den Superlativen dieser Spielwelt und den Duellen mit bestialischen Widersachern ein plattes Epos von Gut gegen Böse aufzusetzen, doch stattdessen wird eine Geschichte erzählt, die einen mit menschlichen Höhen und Tiefen bewegt und lange in Erinnerung bleiben wird. Es ist ob technischer Makel und unausgereifter Bedienung teils noch ein roher Diamant. Doch Geralts Abschied ist der krönende Höhepunkt einer langen, aufregenden Reise.