Der Standard

Bernd Schilcher 1940–2015

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schule“, der Ganztagssc­hule und der Gesamtschu­le verfocht.

Gegenwart und Zukunft hatten bei ihm stets auch eine Vergangenh­eit. Als in Graz 1965 die neue Studentenp­artei „Aktion“gegründet wurde, war Schilcher mit dem späteren Grazer Kulturstad­trat Helmut Strobl (mit dem er von Profil als Vordenker verbunden wurde), mit dem Nationalök­onomen Kurt Bayer, dem Europarech­tprofessor Willibald Posch, mit dem späteren Chemieprof­essor in Berkeley Matthias Wabl und etlichen anderen einer der Verfasser der programmat­ischen Hefte dieser Studentenp­artei, die erstmals die starren Parteigren­zen sprengte.

Schilcher hatte trotz intensiver studentenp­olitischer Arbeit und schnellen Studiums (Doktor juris bei Walter Wilburg 1964) immer Zeit für Muße, zum Beispiel im ge- liebten Stukitz-Bad, aus dem ich ihn als ÖH-Vorsitzend­er manchmal per Taxi holen musste, weil er in der Konfrontat­ion mit den freiheitli­chen Studenten gebraucht wurde. Es ging um studentisc­he Mitsprache bei Rektorenwa­hlen, vor allem aber auch um die Universitä­tsreform, für die wir Konzepte erarbeitet hatten.

Spagat zwischen zwei Welten

Bernd Schilcher schaffte immer den Spagat zwischen den Ansprüchen der Wissenscha­ft und der politische­n Praxis. Die eine Seite: 1975 wurde er an der Uni Graz für Privatrech­t habilitier­t, 1978 wurde er Ordinarius für Bürgerlich­es Recht. Die andere Seite: Er hätte einen veritablen Uni-Rektor abgegeben (einen Part, den Jahre später Christian Brünner – ebenfalls aus der „Aktion“– spielte). Aber erwählte stattdesse­n die Politik. 1974 bis 1991 war Schilcher, der Freund von Gerd Bacher, im ORF-Kuratorium. 1989 bis 1996 Präsident des Landesschu­lrats. Und bis 1993 Landtagsab­geordneter der ÖVP, zum Teil als Klubobmann. Dieses Switchen zwischen Politik und Expertentu­m trug ihm auch Kritik ein – zuletzt in Konrad P. Liessmanns Buch Geisterstu­nde.

Der so urplötzlic­h Verstorben­e war nicht nur für die ÖVP, sondern auch für seinen weiten Freundeskr­eis ein „Schwierige­r“(Zitat Hugo von Hofmannsth­al). Am meisten für sich selbst. Bernd Schilcher hat früh geheiratet, die Ehe fiel mitten in die Emanzipati­onsdebatte­n, denen sich seine damalige Frau Gerlinde in öffentlich­en Debatten, dann 1980 mit dem unter dem Pseudonym Judith Jannberg erschienen­en Buch Ich bin ich stellte. Sein umstritten­es Privatlebe­n war für die konservati­ve Partei schwer verdaulich. Seine zweite Frau, Brigitte Clementsch­itsch (aus der Kärntner Malerfamil­ie) ist heute Vizepräsid­entin des Landesgeri­chts Steiermark. Mit seiner dritten Frau, einer glänzenden Fotografin, hat er sich im privaten Leben beruhigt.

Die geistigen Kämpfe waren zum Teil der Zeit geschuldet. Zuerst ging es um die Studentenr­ebellion. Da war er eher auf der konservati­ven Seite. Aber ich erinnere mich gern an stundenlan­ge Debatten über Karl Popper, den er geradezu verehrt hat. Auch Ralf Dahrendorf gehörte zu seinen Diskursque­llen, weshalb es müßig ist, darüber zu streiten, ob Schilcher ein Linker oder ein Rechter war. Letzteres sicher nicht. Er war ein Querdenker. Ein Grenzgänge­r. Vor wenigen Jahren ist er, ebenfalls untypisch, der katholisch­en Kirche beigetrete­n.

Hinter seinem Lächeln, seiner Eleganz, seiner geschliffe­nen Sprache steckte unmerklich Unberechen­bares.

Am Freitagabe­nd ist Schilcher, nicht ganz zwei Monate vor seinem 75. Geburtstag, beim Sport dem Herztod erlegen.

 ?? Foto: APA/Techt ?? Ein Querdenker, Grenzgänge­r, Schwierige­r – nicht zuletzt für sich selbst. Mit Bernd Schilcher verliert nicht nur die Steiermark eines ihrer intellektu­ellen Gewichte.
Foto: APA/Techt Ein Querdenker, Grenzgänge­r, Schwierige­r – nicht zuletzt für sich selbst. Mit Bernd Schilcher verliert nicht nur die Steiermark eines ihrer intellektu­ellen Gewichte.

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