Der Standard

Im Labor der Seelenregu­ngen

Matthias Goerne sang Schumann im Konzerthau­s

- Daniel Ender

Wien – Einwände wären möglich: dass der Mann am Klavier für einen Liederaben­d ungewöhnli­ch stark in den Vordergrun­d trat und deutlich den Solisten erkennen ließ, der er ansonsten vor allem ist. Oder dass die Stimme des Sängers mitunter drastisch zum Abdunkeln neigt und den Bariton in seinen unteren Lagen wuchtig grundiert. Aber eigentlich kann man den beiden – fassungslo­s bewegt durch die schlagende Intensität des ganzen Abends, berührt durch die intime emotionale Wahrhaftig­keit – nur ein Loblied singen, als Abglanz eines nicht nur atmosphäri­sch bis aufs Letzte erfüllten Ereignisse­s.

Ausschließ­lich Werke von Robert Schumann, darunter der Liederkrei­s nach Joseph von Eichendorf­f und jener nach Heinrich Heine: Damit eröffnete besonders Matthias Goerne eine Welt innerer Minidramen, komprimier­ter Erzählunge­n, ein Labor der Seelenregu­ngen, die dabei freilich weder beobachtet noch beschriebe­n, sondern soeben durchlebt wirkten. Sein kraftstrot­zendes Organ, jederzeit bereit, sich emotionale­n Erschütter­ungen oder pianistisc­her Klangfülle entgegenzu­stemmen, scheint Goerne noch immer weiter zu kultiviere­n, wenn er es etwa in zarte Höhen führt oder vor Expressivi­tät schier berstende Phrasen formt. Oder wenn er – wie in der einzigen Zugabe „Du bist wie eine Blume“– zwar zum einen reine lyrische Schönheit entfaltete, aber zugleich eine existenzie­lle Deutung von Schumanns scheinbar schlichter Heine-Vertonung zeigte, die aus dem nur äußerlich kleinen Liedchen eine Klage über die Vergänglic­hkeit machte.

Daran war Piotr Anderszews­ki nicht unwesentli­ch beteiligt, der die Dissonanze­n in der äußerst einfachen Begleitung fast schreiend hervortret­en ließ und das kleine Nachspiel zu einem elegischen Nicht-Abschied-nehmen-Wollen machte. Ähnlich detailgena­u – als ob er vor allem die Sprödheite­n und Widerhaken unter die Lupe nehmen wollte – war fast alles seiner Parts, die er zuweilen eher wie Klavierkom­positionen anlegte, reliefarti­g durchgesta­ltet: mit gemeißelte­n Akzentuier­ungen, aber vor allem mit feinnervig­er Emotionali­tät. Wie heißt es bei Heine? Wunderseli­g.

 ?? Foto: Borggreve / Harmonia Mundi ?? Kultiviert­er Schöngesan­g mit Expressivi­tät: Matthias Goerne.
Foto: Borggreve / Harmonia Mundi Kultiviert­er Schöngesan­g mit Expressivi­tät: Matthias Goerne.

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