Die Perspektive der anderen
Kleines Gespräch mit Exweltmeisterin Susan Polgár. Von ruf und ehn
Susan Polgár war streng, und doch fand sie am Ende für alle ein freundliches Wort. Die älteste der drei Polgár-Schwestern hatte die weltbesten Schachspielerinnen unter 20 Jahren im Rahmen des FIDE-Programmes Chess for Girls zu einem einwöchigen Workshop an die Webster-Universität nach Wien eingeladen. Am Rande des abschließenden Turniers fand die vielbeschäftigte Exweltmeisterin Zeit, um einige Fragen zu beantworten.
Standard: Frau Polgár, als hätten Sie nicht schon genug zu tun: Was wollen Sie mit dem Workshop erreichen? Polgár: Es ist einfach. Es gibt unglaublich viele talentierte Mädchen und nach wie vor viel zu wenige Möglichkeiten für sie. Das soll sich ändern.
Standard: Nicht alle werden wie Sie Weltmeisterschaften gewinnen. Was lässt sich am Schachbrett lernen? Polgár: Schach schult Disziplin, man entwickelt Selbstkontrolle, man muss die konkreten Umstände bedenken, bevor man zieht, und man muss selbstständig Entscheidungen treffen. Das Wichtigste für mich ist allerdings, dass man ständig die Perspektive der anderen bedenken muss. Wie wird die andere Seite reagieren, was wird der andere tun? Das lernt man im Schach auf sehr effiziente Weise.
Standard: Welchen Level kann man durch Lernen erreichen, ohne sonderliche Begabung, auch wenn man eher spät beginnt? Polgár: Man kann durch gutes Training ohne weiteres Meisterlevel erreichen, allerdings muss man dann auf einiges verzichten. Das Problem ist nicht das Alter, in dem man beginnt, sondern die Intensität, mit der man trainiert. Ab einem gewissen Lebensalter wächst die Verantwortung. Sie müssen sich dann eher um Rechnungen und um Rendezvous kümmern als um Schachzüge.
Standard: Ihr schönster Moment im Schach? Polgár: Es gab viele, aber vielleicht jener, als ich 1991 Großmeister wurde.
Ihr schlimmster
Standard: Moment? Polgár: Das ist leicht. Bei meinem ersten Versuch, Weltmeisterin zu werden, spielte ich 1993 im Kandidatinnenfinale gegen Nana Ioseliani. Ich war Favoritin für die Weltmeisterschaft, nebenbei gesagt: Ein Sponsor hatte für ein WM-Match eine Million Dollar zugesagt. Ich führte ständig, doch Ioseliani gelang es immer wieder auszugleichen. Am Ende entschied das Los – und zwar gegen mich.
Standard: Sie scheinen ganz gut damit umzugehen? Polgár: Na ja, es ist 22 Jahre her.
Standard: auf der einen Seite ein Genie, auf der anderen Seite ein wütender Antisemit. Sie kommen aus einer jüdischen Familie. Viele fragen sich, wie Sie damit zurechtgekommen sind? Polgár: Bobby war in Budapest häufig bei uns zu Gast. Seine psychische Erkrankung ist im Laufe der Jahre immer schlimmer geworden. Am Anfang habe ich versucht, ihn zu überzeugen, was aussichtslos war. Irgendwie hat er immerhin noch verstanden, dass das ein Thema ist, das er nicht berühren sollte. Aber es war traurig.
Standard: Wollten Sie je Weltmeister werden, der Frauen und der Männer? Polgár: Natürlich, jeder Schachspieler will das, aber das war für mich nicht ganz so einfach. 1986 habe ich mich qualifiziert, aber ich durfte nicht teilnehmen. Es war ja eine „Weltmeisterschaft der Männer“. Auch der ungarische Schachverband spielte nicht mit, meine Schwester Judit hatte es dann ein bisschen leichter.
Standard: Wie sehen Sie den Fortschritt der Frauen im Schach? Polgár: Die durchschnittli- che Spielstärke der Frauen an der Spitze ist enorm gestiegen. In den 80er-Jahren konnten Sie mit 2400 Elopunkten an der Spitze stehen, es gab vor mir nur zwei Großmeister weiblichen Geschlechts. Heute sieht die Sache anders aus, es gibt großartige junge Spielerinnen überall auf der Welt, in Kolumbien, China, Kasachstan.
Standard: Und lingspartie? Polgár: Vielleicht Polgár vs. Tschiburdanidse von der Schacholympiade 2004?
Ihre
Lieb-
Polgár – Tschiburdanidse Nach 13 Zügen ergab sich folgende Stellung:
Öffnet mit brachialer Gewalt die Diagonale a1- h8. Das scheitert an genialer Taktik. Es verliert auch 14… dxe5 15.Dxe5 f6 16.Dxf4. Einzig nach 14... De7 15.Le4! dxe5 (nicht 15... Lxe4? 16.Sg4!) 16.Lxb7 Sxe2 17.Kxe2 Dxb7 18.Dxe5 f6 konnte Schwarz noch hoffen. Denn 15.Kxe2 dxe5 16.Dxe5? Te8 hätte nur Schwarz gefreut.
Klar ist, dass 15… Txf7? 16.Dh8 matt ist und 15... Kxf7? 16.Dg7+ Ke8 17.Lf6 nicht funktioniert.
Die große Pointe des weißen Spiels! Weiß gewinnt das geopferte Material mit Zins und Zinseszins zurück.
Der Rauch hat sich verzogen, Weiß wählt den langsamen Weg.
Mit der Qualität weniger bei gleichen Bauern hat Schwarz auf Dauer keine Chance.
Oder 27... Tf7 28.a4 nebst a5. Auch 29... Tf7 30.Txf7 Sxf7 31.Kd2 verliert.
Damit ist alles klar. Die Bauern laufen.
Oder 36... Sxh2+ 37.Kg1 Sf3+ 38.Kg2 Sh4+ 39.Kg3 und aus.
Am einfachsten.
1–0
Dd1 3.
La7 Da1!2.