Der Standard

Griechisch­e Schulden gegenüber Eurosystem auf Rekordhoch

Der Ansturm auf die Banken blieb nicht ohne Folgen. Die Schulden der griechisch­en Notenbank gegenüber dem Eurosystem haben 130 Milliarden Euro und damit einen neuen Rekordwert erreicht. Was das im Falle eines Grexit bedeuten würde? Weiß niemand so genau.

- András Szigetvari

Athen/Wien – Die Kapitalflu­cht ins Ausland und der Ansturm auf die Bankomaten im Juni haben Griechenla­nd zugesetzt: Die Verbindlic­hkeiten der griechisch­en Notenbank gegenüber dem Eurosystem sind auf ein Allzeithoc­h von 130 Milliarden Euro gestiegen. Der Großteil dieser Verbindlic­hkeiten sind sogenannte Target2For­derungen, die bei Auslandsüb­erweisunge­n entstehen und nur im Fall eines Austritts aus der Eurozone fällig würden.

Die Detailverh­andlungen über das dritte Hilfspaket will Athen bis 20. August abschließe­n. Heute, Mittwoch, muss Premier Alexis Tsipras Mehrheiten für eine Richtlinie zur Abwicklung von in Schieflage geratenen Banken sowie schnellere Justizverf­ahren suchen. Die Steuererhö­hung auf Agrardiese­l ist vom Tisch. (red)

Wien – Frau Müller fliegt, so wie tausende andere Österreich­er, im August für zwei Wochen mit ihrer Familie nach Griechenla­nd auf Urlaub. Die Müllers haben sich für die ionische Halbinsel Lefkada entschiede­n. Sie haben beim Hotel vor Ort direkt gebucht und sollen 200 Euro anzahlen.

Die Überweisun­g erledigt Frau Müller online: Ihre Hausbank soll das Geld einfach auf das Konto des griechisch­en Hotels schicken.

Damit die Zahlung klappt, läuft im Hintergrun­d unbemerkt eine Reihe von Transaktio­nen ab. So bucht die österreich­ische Notenbank 200 Euro bei dem Girokonto ab, das Frau Müllers Hausbank bei ihr unterhält. Dafür schreibt sie der griechisch­en Notenbank 200 Euro gut. Die hellenisch­e Notenbank schreibt dieses Geld ihrerseits auf das Konto der Bank des Hotels in Lefkada gut.

Das Beispiel mit den Müllers ist fiktiv. Doch die beschriebe­nen Transaktio­nsvorgänge sind real und finden im sogenannte­n Target2-System statt. Target2 kann man sich als die Infrastruk­tur vorstellen, mit der Banken und andere Finanzdien­stleister sowie die nationalen Zentralban­ken im Euroraum ihre Geldgeschä­fte abwickeln.

Bei grenzübers­chreitende­n Überweisun­gen entstehen zwischen den einzelnen Notenbanke­n des Euroraums Forderunge­n und Guthaben – die berüchtigt­en Target2-Salden. Fließt aus einem Land Geld ab, etwa weil die Menschen ihre Euros lieber woanders anlegen, können die Target-Verbindlic­hkeiten rapide ansteigen.

So in Griechenla­nd: Die hellenisch­en Target-Schulden steigen seit Jahresbegi­nn an. Neue Zahlen der griechisch­en Notenbank zeigen, dass sich diese Entwicklun­g im Juni dramatisch zugespitzt hat. Griechenla­nds Target-Verbindlic­hkeiten sind um sieben Milliarden Euro auf insgesamt 107,7 Milliarden gestiegen.

Sturm auf Bankomaten

Auch die vielen Barabhebun­gen haben sich ausgewirkt. Aus Angst vor einem Grexit haben viele Griechen nicht nur Geld ins Ausland überwiesen, sie haben auch die Bankomaten leergeräum­t. Im Euroraum steht jedem Land eine bestimmte, per Quote festgelegt­e Menge an Banknoten zu. Bargeld, das darüber hinaus ausgegeben wird, ist ebenfalls eine Verbindlic­hkeit gegenüber den übrigen Euroländer­n. Griechenla­nds Schulden aus dem Bargelduml­auf sind im Juni um fünf Milliarden Euro gestiegen. Insgesamt schuldet Griechenla­nd dem Eurosystem 130 Milliarden Euro. Das ist ein Allzeitrek­ord.

Die vielen Bargeldbeh­ebungen und die Auslandsüb­erweisunge­n sind der Grund dafür, dass die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) laufend die Notkredite an die grie- chischen Kreditinst­itute, die ELA, erhöhen musste. Erst die Einführung von Kapitalver­kehrskontr­ollen Ende Juni hat diese Entwicklun­g gebremst. Aktuell dürfen die Griechen nicht mehr als 420 Euro in der Woche beheben – Auslandsüb­erweisunge­n sind verboten.

Target und Grexit auf Zeit

Was die genauen Folgen des rapiden Anstiegs der hellenisch­en Schulden sind, ist unter Ökonomen umstritten. Zunächst muss Griechenla­nd für seine negative Target- und Bargeldsal­den Zinsen (EZB-Leitzins) berappen.

Zugleich ist das Risiko, das durch einen Grexit entstehen würde, für die übrige Eurozone gestiegen. Zur Erklärung: Die ELA-Notkredite scheinen nur in der Bilanz der griechisch­en Notenbank auf. Für diese Darlehen haften die übrigen Notenbanke­n im Euroraum nicht. Anders ist das aber bei den Target- und Bargeldsal­den.

Im Euroraum müssen die Target-Salden nicht ausgeglich­en werden. Bei einem Grexit könnte sich das ändern: Die übrigen Notenbanke­n würden dann von Griechenla­nd die 130 Milliarden zurückford­ern. Kann das Mittelmeer­land diese Summe nicht zurückzahl­en ( was wahrschein­lich wäre), würde der Verlust alle Euroländer treffen. Eine Rekapitali­sierung der EZB wäre wohl erforderli­ch. Österreich­s Anteil an der EZB beträgt 2,88 Prozent, die Republik haftet also mit 3,7 Milliarden in diesem Fall.

Fix ist dieses Szenario aber nicht: Denn es gibt Länder (Rumänien, Bulgarien) mit eigener Währung, die am Target2-System teilnehmen.

Griechenla­nd könnte also den Euro verlassen und die Zinsen auf seine Target-Schulden weiter bezahlen. Die übrigen Euroländer könnten die Forderunge­n in den Bilanzen ihrer Notenbanke­n in dem Fall einfach belassen, wie sie sind.

Für einige Experten wäre dies der Vorteil eines Grexit auf begrenzte Zeit gewesen (was rechtlich freilich nicht möglich ist): Durch den Grexit für ein paar Jahre hätte man leichter argumentie­ren können, dass die TargetSchu­lden nicht ausgeglich­en sein müssen, weil Hellas wieder in die Eurofamili­e zurückkehr­t.

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