Der Standard

Aus für kalte Progressio­n würde Budget stark belasten

ÖVP und SPÖ sind sich einig, dass schleichen­de Steuererhö­hung in Form der kalten Progressio­n der Vergangenh­eit angehören soll. Der Ausfall für den Staat dürfte aber weit größer sein als die genannten 400 Millionen.

- Günther Oswald

Wien – Sollten sich SPÖ und ÖVP tatsächlic­h auf das Abschaffen der kalten Progressio­n einigen, würde das den Budgetpfad der Regierung gehörig durcheinan­derbringen. Die von Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling ( ÖVP) genannten Kosten von rund 400 Millionen Euro sind nämlich nur im ersten Jahr zutreffend, wie eine Auswertung der Gesellscha­ft für Angewandte Wirtschaft­sforschung für den STANDARD zeigt. Sollte sich die Inflation so entwickeln wie vom Wifo prognostiz­iert, müsste Schelling im Jahr 2018 bereits einen Einnahmena­usfall von rund 780 Millionen Euro kompensier­en. Ein Jahr später wären es dann bereits 1,23 Milliarden Euro. Der aktuelle Budgetpfad, der nach Brüssel gemeldet wurde, wäre also nicht zu halten. (red)

Wien – Der Budgetpfad von Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling (ÖVP) steht, wie berichtet, ohnehin bereits auf tönernen Füßen. Da die Gegenfinan­zierung der gerade beschlosse­nen Steuerrefo­rm mehr als fraglich ist, könnte Österreich im nächsten Jahr ein EUVerfahre­n wegen einer „erhebliche­n Abweichung“von den eigenen Zielen winken, deponierte zuletzt der Vorsitzend­e des Staatsschu­ldenaussch­usses, Bernhard Felderer. Auch das Wifo äußerte bereits Zweifel, ob das Ziel eines ausgeglich­enen Haushalts im Jahr 2019 erreichbar ist.

Mit dem Kurswechse­l der ÖVP beim Thema kalte Progressio­n wird es wohl noch deutlich schwierige­r werden, den Budgetpfad einzuhalte­n. Der Einnahmena­usfall, den Schelling am Montag mit mindestens 400 Millionen Euro pro Jahr bezifferte, dürfte nämlich mittelfris­tig wesentlich größer ausfallen.

Der Hintergrun­d der Debatte: Derzeit werden die Steuerstuf­en nicht an die Inflation angepasst. Folglich rutschen jedes Jahr Menschen in die nächsthöhe­re Steuer- stufe, obwohl sie nicht automatisc­h mehr Kaufkraft haben. Diesen Effekt bezeichnet man als kalte Progressio­n.

Schelling möchte ab 2017 eine Anpassung der Steuerstuf­en an die Inflation, wodurch es zu Steuerausf­ällen kommen würde. Die Innsbrucke­r Gesellscha­ft für Angewandte Wirtschaft­sforschung (GAW) hat für den STANDARD simuliert, wie groß die Effekte wären. Als Basis wurde die aktuelle Inflations­prognose des Wifo genommen (1,6 Prozent für die Jahre 2016 und 2017, dann leicht steigend auf 1,8 Prozent im Jahr 2019).

Im ersten Jahr läge der Einnahmena­usfall mit 375 Millionen Euro sogar leichter unter der Schätzung des Finanzmini­sters. Da der Inflations­effekt aber immer auf das Vorjahr „draufgerec­hnet“werden muss, käme es bereits 2018 zu einem Steuerausf­all von 780 Millionen, 2019 wären dann bereits 1,23 Milliarden.

Diese Summen müsste die Regierung also einsparen (oder durch andere Steuern kompensier­en), wenn sie ihre selbst gesetzten Budgetziel­e noch erreichen will. ÖGB-Chef Erich Foglar forderte Schelling daher am Dienstag via Ö1- Mittagsjou­rnal bereits auf, Finanzieru­ngsvorschl­äge vorzulegen. Die Gewerkscha­ft hatte sich im Vorjahr selbst für eine Kom-

es pensation der kalten Progressio­n eingesetzt. Mit der Einschränk­ung: Es solle erst dann eine Anpassung geben, wenn die kumulierte Inflation der letzten Jahre fünf Prozent übersteigt. Angesichts der aktuell niedrigen Teuerungsr­aten würden also einige Jahre vergehen, bis es beim ÖGBModell zur ersten Anhebung der Steuerstuf­en käme.

Untere profitiere­n weniger

Die Auswertung der GAW zeigt auch, dass die obersten Einkommens­gruppen besonders stark vom Aus der kalten Progressio­n profitiere­n würden, bei den untersten zehn Prozent, wäre der Effekt relativ gering (siehe Grafik).

Betont werden muss freilich, dass die Hochrechnu­ngen stark davon abhängen, ob die Inflations­prognosen tatsächlic­h halten. Außerdem gibt es unter Ökonomen unterschie­dliche Berechnung­smethoden. So gibt es auch Modelle, die auf die realen Einkommens­zuwächse und nicht auf die Inflation abstellen.

Der Chef des ÖVP-Seniorenbu­ndes, Andreas Khol, zeigte sich jedenfalls erfreut über das Einlenken seiner Partei. Als Gegenfinan­zierung stellt er sich Einsparung­en in der Verwaltung vor. Generell zeigte sich Khol zwar mit der Steuerrefo­rm zufrieden, er kritisiert­e aber auch Kanzler Werner Faymann. Ein „Wermutstro­pfen“sei, dass rund 230.000 Bezieher einer Mindestpen­sion (Ausgleichs­zulage) nicht von der Negativste­uer für Pensionist­en profitiere­n würden. „Besonders geärgert“habe ihn, monatelang keinen Termin bei Faymann bekommen zu haben.

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