Klimawandel lässt Italiens Vongole schrumpfen
Die Vongole (Venusmuscheln) der italienischen Adria werden nur noch 22 Millimeter groß – und dürfen deshalb aufgrund einer EU-Richtlinie nicht mehr kommerzialisiert werden. Das ist nicht nur für die Fischer eine Katastrophe.
Gemeinhin gelten die Pizza oder Spaghetti mit Tomatensauce als die italienischen Nationalspeisen. Aber das ist ein Irrtum. Der „piatto italiano“schlechthin sind die Spaghetti alle vongole: Venusmuscheln aus der Adria, zubereitet mit etwas Knoblauch, Olivenöl, Peperoncino und fein gehacktem Stangensellerie, serviert mit einem Teller Pasta.
Eine Köstlichkeit, die in jeder Trattoria zwischen Turin und Palermo erhältlich ist. Es gibt auch den Ausdruck „l’Italia alle vongole“. Der wird immer dann verwendet, wenn gewisse Unzulänglichkeiten des Nationalcharakters kritisiert werden sollen – laut dem
etwa die Tendenz der Italiener, sich angesichts ständiger Korruptionsskandale damit zu trösten, dass das Land über eine tolle Küche verfüge.
Bei den Vongole geht es also um die nationale Identität, um ein Kulturgut. Und dieses ist in akuter Gefahr: Die meisten Vongole, die derzeit in Italien aufgetischt werden, stammen nicht mehr von den Sandbänken vor den eigenen Küsten, sondern aus den Philippinen. Grund: Die einheimische „Chamelea gallina“wird nicht mehr groß genug, um der EU-Fischereirichtlinie zu genügen, die für die Kommerzialisierung einen Mindestdurchmesser von 25 Millimeter vorschreibt.
Wachstumsblockade
„Wir hatten im Frühling wie jedes Jahr eine Schonfrist von zwei Monaten eingehalten, um den Vongole Zeit zu geben, die nötige Größe zu erreichen. Aber sie sind höchstens 22 Millimeter geworden, dann blockierte sich ihr Wachstum, und viele starben“, berichtet der Präsident der VongoleFischer des Adriastädtchens Cattolica, Stefano Ceccini. An der gleichen Wachstumsblockade litten die Muscheln schon im vergangenen Jahr.
Ursache ist vermutlich der geringere Salzgehalt der Adria: Wegen des miserablen Wetters in den Jahren 2013 und 2014 habe der Po sehr viel mehr Wasser geführt als gewöhnlich und das Meer „verdünnt“, betonte der Meeresbiologe Attilio Rinaldi in einem Interview mit der Zeitung La Stampa.
Am Delta des Po seien monatelang 2400 statt der üblichen 1500 Kubikmeter Süßwasser in die Adria geflossen, mit Spitzen von bis zu 7000 Kubikmetern pro Sekunde. Weil die Vongole sehr empfindlich auf Schwankungen des Salzgehalts reagierten, sei das ausbleibende Wachstum mit großer Wahrscheinlichkeit auf das klimabedingte Hochwasser zurückzuführen. Bei normalen Niederschlägen werde sich das Gleichgewicht in der Adria schon wieder einstellen – und die Muscheln wieder größer werden, zeigt sich Rinaldi optimistisch.
Für die Vongole-Fischer der Adria ist das ein schwacher Trost. „Während im Jahr 1982 zwischen Chioggia und Brindisi jährlich noch 120.000 Tonnen Vongole gefischt wurden, ist die Produktion im vergangenen Jahr auf 20.000 Tonnen eingebrochen – und dieses Jahr wiederholt sich das Drama“, sagt Fischer-Präsident Cecchini. Einer ganzen Branche drohe der Ruin. Italienische Politiker wie der Europaparlamentarier Marco Affronte von Beppe Grillos Protestbewegung M5S sind in Brüssel bereits im Februar vorstellig geworden mit der Forderung, die Mindestgröße der Vongole auf zwanzig Millimeter zu reduzieren. Bisher ohne Erfolg.
Schutz der Muschel
Ziel der EU-Richtlinie ist das Vermeiden der Überfischung: Bleiben die Muscheln in den Sandbänken vor der Küste, bis sie die vorgeschriebene Größe erreicht haben, besteht die Gewähr, dass sie sich schon mindestens einmal vermehrt haben, ehe sie auf dem Teller landen.
Wird die Grenze unterschritten, drohen den Fischern, den Händlern und auch den Restaurantbesitzern deftige Strafen: Finden die Kontrolleure auch nur eine einzige Vongola, die kleiner ist als 25 Millimeter, werden 4000 Euro Buße fällig.