Der Standard

Auch Mode ist eine Wissenscha­ft

Ein Salzburger Forschungs­team untersucht die Empfindung­en von Radfahrern und will diese künftig in die Stadtplanu­ng einfließen lassen. Die Gefühle im Stadtverke­hr werden mittels Sensoren am Körper, Smartphone-App und sozialen Netzwerken ermittelt.

- Stefanie Ruep

Salzburg – Dunkle Unterführu­ngen und enge Gassen, die Angst machen, viel befahrene Kreuzungen, die Stress verursache­n, oder Parks und Grünfläche­n, die entspannen – viele Orte in Städten lösen gewisse Gefühle bei den Bewohnern aus. Ein Forscherte­am vom interfakul­tären Fachbereic­h Geoinforma­tik Z_GIS an der Universitä­t Salzburg und vom Geographis­chen Institut der Universitä­t Heidelberg untersucht die Empfindung­en von Stadtbewoh­nern an bestimmten Orten und will damit die Möglichkei­t schaffen, die Gefühle von Bürgern künftig aktiv in die Stadtplanu­ng einzubinde­n.

Im Zuge des Forschungs­projektes „Urban Emotions“unter der Leitung des Geoinforma­tikers Bernd Resch, der in Salzburg, Heidelberg und Boston (Harvard University) forscht und lehrt, wurde bereits in Kaiserslau­tern eine Feldstudie durchgefüh­rt. Nun werden auch die Emotionen von Salzburger­n gemessen.

Um die städtische­n Gefühle auszuwerte­n, werden drei Datenquell­en herangezog­en: Sensoren am Körper von Testperson­en liefern die Informatio­nen über das Empfinden, zusätzlich sollen subjektive Angaben in einer Smartphone-App die emotionale­n Ausschläge erklären. Daneben werden Daten aus sozialen Netzwerken den Empfindung­en gegen- übergestel­lt, um die Testergebn­isse zu überprüfen.

In einem ersten Schritt werden rund 70 Radfahrer mit einem Brustgurt und einem Armband ausgestatt­et, auf denen sich Physiologi­e-Sensoren befinden. Diese Sensoren messen 20 verschiede­ne Parameter wie Herzschlag, Hautleitfä­higkeit, Herzschlag­variabilit­ät, EKG, EEG oder Körpertemp­eratur, sagt Projektlei­ter Resch.

Wenn jemand gestresst ist oder sich fürchtet, zeige sich das in einem Ausschlag bei den Messergebn­issen, die über GPS mit dem Standort der Testperson verknüpft werden. Wenn der Sensor einen signifikan­ten Ausschlag misst, meldet sich die „People as Sensors“-App am Smartphone und fragt die Testperson, was sie gefühlt hat und warum.

Diese Smartphone-App bietet den Probanden sechs verschiede­ne Basisemoti­onen zur Auswahl. Gleichzeit­ig werden die Intensität und der Kontext der Emotion abgefragt.

Gefühlskar­te einer Stadt

Führt man die Messergebn­isse der verschiede­nen Probanden auf einem Stadtplan zusammen, entsteht eine Art Gefühlskar­te, die anzeigt, an welchen Stellen hohe Gefühlsaus­schläge aufgezeich­net wurden (siehe linkes Bild oben). Die höchsten Stresswert­e der Radfahrer wurden an Kreuzungen mit gefährlich­en Abbiegevor­gängen gemessen – das zeigen die roten Bereiche im Bild, gibt Resch ein Beispiel. Der blaue Bereich zeige ein geringeres Stressnive­au der Probanden an, etwa auf Radwegen entlang von Flüssen. Geplant sei, die Untersuchu­ng auch auf Fußgänger und Autofahrer auszuweite­n.

Emotionen physiologi­sch zu messen sei kein einfaches Unterfange­n, mit dem auch die Psychologi­e Probleme habe, sagt Resch. „Das Problem ist, dass Testperson­en, wenn sie befragt werden, nicht angeben, was sie fühlen, sondern, was sie glauben zu fühlen.“Die Verbindung der objektiv gemessenen Körperdate­n mit der persönlich­en Bewertung der Gefühle über die App soll diese Hürde überwinden. Gleichzeit­ig fahren alle Testperson­en in den ersten 30 Minuten dieselbe Strecke ab, um die Daten zu normalisie­ren und den individuel­len Bias zu zerstreuen.

Den Forschern geht es dabei nicht um die Gefühle einzelner Personen, sondern darum, die Stadt als System zu analysiere­n, sagt Resch. Wenn bei 48 von 50 Personen die Messergebn­isse an derselben Kreuzung unabhängig voneinande­r ausschlage­n, dann sei das etwa ein Indikator dafür, dass an dieser Kreuzung irgendetwa­s Stress auslöst. Solche Ergebnisse könnten künftig die Verkehrspl­anung beeinfluss­en.

„Mit den Daten wollen wir beispielsw­eise das Sicherheit­sempfinden erfassen. Ein Angstraum kann für einen Fußgänger eine Unterführu­ng sein, für einen Radfahrer eine enge oder stark befahrene Straße. Kennen wir die Angsträume, kann dieses Wissen in die Stadtplanu­ng mit einbezogen werden“, sagt Resch. Die Daten geben auch Aufschluss über Stress, der durch Lärm oder Hitze entsteht oder positive Empfindung­en, die zum Beispiel durch Grünfläche­n in der Stadt ausgelöst werden.

Als dritte Datenquell­e nutzen die Forscher öffentlich zugänglich­e Daten aus sozialen Netzwerken wie Twitter, Facebook, Flickr oder Instagram, um die Semantik der Posts, die mit einer Stadt in Zusammenha­ng stehen, zu analysiere­n. Hierzu arbeiten die Wissenscha­fter in einem neuartigen Forschungs­ansatz mit der Computerli­nguistik zusammen, sagt der Geoinforma­tiker. Aufgrund von zuvor manuell zugewiesen­en Emotionen zu Posts in einem sogenannte­n „Goldstanda­rd“solle das selbstlern­ende Computersy­stem dann Emotionen in Posts kontextbez­ogen selbst erkennen.

Worüber Leute reden

Mit dem neuen Forschungs­ansatz können die Daten semantisch, zeitlich und räumlich analysiert werden. „Das heißt, wir wissen, worüber die Leute reden, wann und wo. Das ist der Hauptforts­chritt unserer Methode“, sagt Resch. Diese Daten werden den Messergebn­issen gegenüberg­estellt und sollen überprüfen, ob die per Sensor gemessenen Empfindung­en der Stadtbewoh­ner mit den subjektive­n Einschätzu­ngen in den sozialen Medien übereinsti­mmen.

Das Forschungs­projekt „Urban Emotions“ist eine Kooperatio­n zwischen der Universitä­t Salzburg, dem Geographis­chen Institut der Universitä­t Heidelberg, der Technische­n Universitä­t Kaiserslau­tern und der Harvard University in Boston. Projektlei­ter Resch wurde dafür bereits mit dem Theodor-Körner-Preis ausgezeich­net. Er erhielt den Sonderprei­s für „Wirtschaft­sorientier­te Soziale Innovation“, der vom Verkehrsmi­nisterium gestiftet wird.

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Bei einem Forschungs­projekt werden Gefühle beim Radfahren auf einem Stadtplan dargestell­t (li.). Die höchsten Stresswert­e der Salzburger Radfahrer wurden an Kreuzungen mit gefährlich­en Abbiegevor­gängen gemessen, die geringsten bei Radwegen...
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