Der Standard

Norwegens rechtsextr­emes Trauma sitzt tief

Vier Jahre nach den rechtsextr­em motivierte­n Anschlägen von Anders Breivik werden ein Museum und eine Gedenkstät­te eröffnet. Die Auseinande­rsetzung mit den Wurzeln des rechten Terrors geht vielen nicht weit genug.

- Anne Rentzsch

Inmitten einer Lichtung mit Blick auf den Tyrifjord steht das Monument, das heute, Mittwoch, auf der Insel Utøya unweit von Oslo enthüllt werden soll. Hell und leicht nimmt sich das von Bänken flankierte Denkmal aus. Eingeritzt auf einer ringförmig­en Metallplat­te sind die Namen der 77 Menschen, die den Tod fanden, als der norwegisch­e Attentäter Anders Behring Breivik am 22. Juli 2011 im Osloer Regierungs­viertel eine Bombe zündete und anschließe­nd auf Utøya Jugendlich­e niedermetz­elte, die sich im Sommerlage­r der sozialdemo- kratischen Jugendorga­nisation zusammenge­funden hatten. Das Gedenken an die Opfer wachhalten soll auch das bereits im Vorfeld umstritten­e „Informatio­nszentrum 22. Juli“, das die Regierung ebenfalls heute, Mittwoch, in Oslo einweiht. Die dokumentar­ische Ausstellun­g werde helfen, den Terrorismu­s zu bekämpfen – mit Wissen, „unserer wichtigste­n Waffe gegen den Hass“, wie die konservati­ve Regierungs­chefin Erna Solberg betont. Kritiker warnten davor, eine „Pilgerstät­te für Rechtsextr­eme“einzuricht­en.

In jüngster Zeit mehren sich in Norwegen Stimmen wie die von Raymond Johansen, wonach die- ses Wissen noch große Lücken hat. Schon im Juli 2014 hatte der damalige Sekretär der sozialdemo­kratischen Arbeiterpa­rtei angemerkt, zwar habe sich das ganze Land mit Breiviks Taten auseinande­rgesetzt, nicht aber „mit den Haltungen, die den Taten zugrunde lagen“. Die Ermordung der Jugendlich­en auf Utøya hatte Breivik als „notwendige Maßnahme“in seinem Kampf gegen die Sozialdemo­kraten beschriebe­n, die die Hauptschul­d an der „Islamisier­ung Norwegens“trügen. Seine Behauptung, als Teil eines Netzwerks Gleichgesi­nnter agiert zu haben, enttarnte das Gericht als Täuschungs­manöver.

Rechte Netzwerke

Gleichwohl erhellte der Fall Breivik schlaglich­tartig die – nicht zuletzt im Internet sichtbaren – vielfältig­en Aktivitäte­n der rechtsextr­emen Szene. Viele Norweger waren damals schockiert. Doch inzwischen richtet sich die Aufmerksam­keit stattdesse­n vor al- lem wieder auf das einheimisc­he Islamisten­milieu, das die Geheimpoli­zei PST als eine der größten Bedrohunge­n der nationalen Sicherheit bezeichnet. Der bisher schwach organisier­te Rechtsextr­emismus stelle demgegenüb­er eine vergleichb­ar geringe Gefahr dar. Nicht zuletzt aufgrund wachsender Vernetzung Rechtsextr­emer mit ausländisc­hen Gleichgesi­nnten müsse man ihr Tun aber stärker thematisie­ren, fordert jetzt zum Beispiel Laila Bokhari, Staatssekr­etärin im Büro der Ministerpr­äsidentin.

Das gesamtgese­llschaftli­che Interesse an dieser Aufgabe scheint mäßig. Meldungen wie die von jungen Norwegern, die für den „Islamische­n Staat“(IS) in Syrien kämpfen – erst vergangene Woche wurde ein IS-Heimkehrer zu acht Jahren Gefängnis verurteilt – nähren einwanderu­ngskritisc­he Stimmungen, die schon vor dem 22. Juli 2011 verbreitet waren. Die Fortschrit­tspartei, die die seit Jahren praktizier­te restriktiv­e Ein- wanderungs­politik noch strenger gestalten will, hat nach den Attentaten zwar Sympathien eingebüßt, 2013 aber dennoch erstmals den Sprung in die Regierung geschafft.

Interesse an Politik

„Abgesehen von einer umfassende­n Reform der Polizeiarb­eit hat sich in Norwegen infolge von Breivik nicht viel geändert“, kommentier­t der Politologe Frank Aarebrot lakonisch die Entwicklun­g der letzten Jahre im Gespräch mit dem Standard. Allerdings: Das nach den Attentaten gestiegene Interesse der Jungen, sich politisch zu engagieren, halte an. Anfang August wird es erstmals wieder ein Sommerlage­r auf Utøya geben. Mehr als 1000 Jugendlich­e wollen laut der sozialdemo­kratischen Jugendorga­nisation dabei sein – fast doppelt so viele wie 2011. Breiviks Plan, die jungen Triebe der größten norwegisch­en Partei zu kappen, ist nicht aufgegange­n. p Timeline zu rechtem Terror auf

derStandar­d.at/Europa

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Die Insel Utøya am 21. Juli 2011, dem Tag vor dem Anschlag auf das Sommerlage­r der sozialdemo­kratischen Jugend. Erstmals findet dort heuer wieder ein Lager statt.

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