Polizei hat Verdächtigen für den Anschlag in Suruç
Einen Tag nach dem Selbstmordanschlag in der türkischen Stadt Suruç an der Grenze zu Syrien hat Ankara erneut den IS als wahrscheinlichen Drahtzieher genannt. Ein 20-Jähriger soll der Attentäter sein.
Ankara/Athen – Der türkische Geheimdienst hatte im Vorfeld des Bombenanschlags in der Grenzstadt Suruç am Montag bereits zwei konkrete Warnungen an Polizei und Militär im Land weitergegeben, so wurde bekannt. Rund 100 Personen waren daraufhin landesweit festgenommen worden. Agenten des Geheimdienstes MIT hatten Hinweise auf Selbstmordattentate, die Mitglieder der Terrormiliz Islamischer Staat in der Türkei am 22. Juni und am 3. Juli möglicherweise verüben wollten, so hieß es am Dienstag in türkischen Medienberichten.
Der amtierende türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu reiste am Tag nach dem Anschlag in die Provinzstadt Şanliurfa und gab vor dem Sitz des Gouverneurs eine Erklärung ab; von einer Weiterfahrt ins 40 Kilometer entfernte Suruç an der Grenze zu Syrien sah er offenbar aus Sicherheitsgründen ab. Davutoglu nannte erneut den IS als wahrscheinlichen Drahtzieher des Anschlags. Die Zahl der Toten stieg mittlerweile auf 32.
Gleich vier Staatsanwälte wurden mit der Ermittlung beauftragt. Ein Verdächtiger sei identifiziert worden, gab Davutoglu bekannt. Eine türkische Zeitung präsentier- te am Dienstag in ihrer OnlineAusgabe namentlich einen 20-jährigen Lackierer aus Adiyaman im Südosten des Landes als möglichen Selbstmordattentäter. Sein Ausweis wurde am Ort der Explosion gefunden und konnte keinem der Opfer zugeordnet werden. Der junge Mann soll sich am Montag in Frauenkleidern unter eine Menge kurdischer Jugendlicher vor dem Kulturzentrum der Grenzstadt gemischt und dann in die Luft gesprengt haben. Die Mutter des Verdächtigen gab an, ihr Sohn sei mit seinem älteren Bruder ins Ausland gegangen, habe aber nie gesagt, wohin und zu welchem Zweck. Während des Fastenmonats habe sie ihn zum letzten Mal gesehen, sagte die Mutter.
Langsame Reaktion
Der Islamische Staat rekrutierte in den vergangenen zwei Jahren eine Vielzahl von Männern in türkischen Städten für den Krieg in Syrien. Die türkische Regierung reagierte nur langsam auf die Gefahr. Den bisher schwersten Bombenanschlag, bei dem im Mai 2013 in der Grenzstadt Reyhanli 52 Menschen starben, schob Ankara zunächst dem syrischen Geheim- dienst und Bashar al-Assad in die Schuhe. Erst ein Jahr später räumte der türkische Botschafter bei der OSZE in Wien ein, der Anschlag sei von Islamisten der AlKaida verübt worden.
Der Anschlag in Suruç soll nun mit anderen Bombenanschlägen gegen die kurdische Partei HDP während des zurückliegenden Wahlkampfs in Verbindung stehen. Am Montagabend füllten in Istanbul Zehntausende die Istiklal-Straße im europäischen Zentrum der Stadt. Die Polizei löste später mit Gewalt diese Solidaritätskundgebung wie andere in tür- kischen Städten auf. Der Gouverneur der Provinz Şanliurfa erließ am Dienstag ein komplettes Demonstrations- und Versammlungsverbot. Schuldzuweisungen und Verschwörungstheorien wechselten sich den ganzen Tag ab. Politiker der sozialdemokratischen CHP und der HDP warfen dem türkischen Geheimdienst Nachlässigkeit oder gar Beteiligung an dem Attentat in Suruç vor. Besonders nationalistische Medien vermuteten wiederum einmal mehr ein Komplott der USA gegen die Türkei; dabei soll es darum gehen, die Türkei tiefer in einen Krieg gegen Syrien hineinzuziehen oder die „Einheit des Landes“zu zerstören und den Kurden weiter Auftrieb zu geben. Eine Reihe von Kommentatoren in Presse und Fernsehen erneuerte die alten Vorwürfe an die konservativ-islamische Regierung, viel zu lange mit dem Islamischen Staat paktiert zu haben.
Training für Rebellen
Die türkische Regierung gab im Oktober vergangenen Jahres ihre Einwilligung, gemeinsam mit der US-Armee offiziell syrische Rebellen auf türkischem Boden auszubilden. Beide Seiten unterzeichneten im Februar ein Abkommen, doch Verhandlungen über die Modalitäten zogen sich am Ende bis nach den türkischen Parlamentswahlen im Juni hin. Der amtierende Außenminister Mevlüt Çavuşoglu gab als Ziel einmal 2000 Kämpfer bis Ende dieses Jahres an; später wurde die Gruppe als „mäßig klein“beschrieben. Am 12. Juli soll ein erster Konvoi von 54 dieser Rebellen, die auf einer Basis in der zentralanatolischen Stadt Kirşehir ausgebildet worden waren, über die Grenze nach Syrien in die Provinz Aleppo geschickt worden sein.