Der Standard

„Royals sind viel politische­r, als man denkt“

Die Londoner Historiker­in Karina Urbach kritisiert im Zusammenha­ng mit dem aktuell publiziert­en Video über den Hitlergruß der Windsors den Umgang des britischen Royal Archive mit dem Thema Datenschut­z.

- Sebastian Borger aus London

INTERVIEW: Standard: Ein Video zeigt die britische Queen Elizabeth II als Mädchen und ihre Mutter, beide heben den Arm zum Hitlergruß. Waren die britischen Royals in den 1930erJahr­en Sympathisa­nten der Nazis? Urbach: Das kann man so sicher nicht sagen. Es gibt wie in jeder anderen Familie auch bei den Royals unterschie­dliche Meinungen. Und wir wissen insgesamt zu wenig. Eines ist klar: Edward VIII ...

Standard: ... der 1936 nur knapp elf Monate auf dem Thron saß ... Urbach: ... war beeindruck­t von den Sozialprog­rammen der Nazis. Er fand auch den italienisc­hen Faschismus gut. Er besaß enge Verbindung­en zu den deutschen Verwandten der Häuser Hessen und Sachsen-Coburg, in denen sich viele überzeugte Nazis tummelten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er in Paris mit dem britischen Faschisten­führer Oswald Mosley befreundet und machte gern im Spanien der Franco-Diktatur Urlaub.

Standard: Und sein Bruder, der ihm als Georg VI nachfolgte? Urbach: Der gehörte zum Mainstream der Beschwicht­igungspoli­tik gegenüber Hitler. Das Gleiche gilt für seine Mutter, Queen Mary, und für seine Frau Elizabeth, die spätere Queen Mum. George unter- stützte Premier Chamberlai­n. Nach dessen Rücktritt im Mai 1940 wollte er den Erz-Appeaser Halifax als Nachfolger, nicht den Hitler-Gegner Churchill.

Standard: War der Hitlergruß vielleicht scherzhaft gemeint? Viele Zeitgenoss­en fanden Hitler ja auch pompös und lächerlich. Urbach: Das sehe ich nicht so. Man behauptet, damals hätten englische Kinder den Hitlergruß nachgeäfft. Das kam erst sehr viel später. Queen Mum wusste genau: Das ist eine politische Geste. Die Königsfami­lie verfügte über genaue Informatio­nen des Foreign Office darüber, was in Deutschlan­d los war. Die Times beschrieb schon im Juli 1933 die Treibjagde­n auf Andersdenk­ende, das Lynchen jüdischer Mitbürger.

Standard: Das Video erregt auch deshalb so viel Aufsehen, weil die Einstellun­g führender Royals gegenüber Nazideutsc­hland noch immer unklar ist. Sie beklagen schon seit längerem, dass Historiker für die Zeit seit 1918 keinen Zugang zum Royal Archive erhalten. Urbach: Ich halte das für einen Skandal. Zugang gibt es nur, wenn man sich der Zensur der Höflinge unterwirft.

Standard: Hat die Queen denn kein Recht auf Privatsphä­re? Urbach: Mich interessie­ren ja nicht die Erbkrankhe­iten und Sexgeschic­hten. Hier geht es um politische Geschichte. Die Königsfami­lie gehört zum konstituti­onellen Fundament des britischen Staates. Die Royals waren und sind sehr viel politische­r, als man denkt. Im Übrigen wird das Royal Archive teilweise aus Steuergeld­ern finanziert. Dann sollten Wissenscha­fter auch den entspreche­nden Zugang

erhalten.

Standard: Aber es ist doch auch ein Privatarch­iv, schließlic­h geht es um den Vater und Onkel der amtierende­n Monarchin. Urbach: Der Vater, Georg VI, ist seit 63 Jahren tot, Edward VIII starb 1972. Es gibt auch in anderen Archiven Veröffentl­ichungsfri­sten von beispielsw­eise 30 oder 40 Jahren, dagegen habe ich ja nichts. Die Geschehnis­se, über die wir sprechen, liegen 75, 80 Jahre zurück. Und es geht um politische Einflussna­hme auf höchster Ebene. Das geht die Öffentlich­keit an.

KARINA URBACH forscht an der Universitä­t London. Aktuell ist bei Oxford University Press ihr Buch „Go-Betweens for Hitler“über die Verbindung­en englischer und deutscher Adeliger im Nationalso­zialismus erschienen.

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Foto: Reuters / Yuri Gripas Erst Politiker, dann Banker, dann Moderator, dann wieder Politiker: John Kasich.
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Archiven.
Foto: privat Karina Urbach fordert Zugang zu britischen Archiven.

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