Der Standard

Vom Flüchtling zum Schlepper

Prozess in Tirol: Eineinhalb Jahre Haft für Schweden

- Katharina Mittelstae­dt

Innsbruck – Wenn man die Sprache, in der verhandelt wird, nicht versteht, muss ein Gerichtspr­ozess ein seltsames Schauspiel sein. In Handschell­en wird der vermeintli­che Schlepper von zwei Polizisten in einen Raum des Innsbrucke­r Landesgeri­chts gebracht, einer der beiden Beamten pfeift.

Der Angeklagte setzt sich zur Einvernahm­e. Adnan A., 47 Jahre alt, schwedisch­er Staatsbürg­er, geboren in Bagdad, verheirate­t, vier Kinder, derzeit arbeitslos, Schulden. Die Dolmetsche­rin übersetzt, A. blickt mit großen Augen den Richter an, nickt. Der Vorwurf: „Als Mitglied einer kriminelle­n Vereinigun­g“soll er 13 Personen ohne Aufenthalt­stitel durch Tirol transporti­ert haben.

Vor rund zehn Jahren kauerte der Juwelier Adnan A. selbst in einem Anhänger – auf der Flucht aus dem Irak, seiner Heimat. Etwa 60.000 Dinar habe er Schleppern bezahlt, um über Syrien und die Türkei nach Europa und schließlic­h nach Schweden zu gelangen. So erzählte es der Angeklagte zumindest seinem Verteidige­r.

Im Prozess interessie­rt seine eigene Fluchtgesc­hichte nicht. Nachdem der Richter die Personalie­n aufgenomme­n hat, erhebt dieser sich, setzt das Barett auf, vereidigt die Schöffen. Kurz sieht es aus, als ob der Angeklagte denkt, ohne Befragung wird nun schon das Urteil gesprochen. A. sitzt starr auf seinem Sessel. Er trägt ein olivefarbe­nes Shirt, Jeans, Sandalen, seit zwei Monaten ist er in Untersuchu­ngshaft in Österreich, einem Land, mit dem er eigentlich gar nichts zu tun hat.

Dann darf er sich erklären. Er ist geständig. „Ich bin aber kein Verbrecher, ich bitte um Entschuldi­gung“, übersetzt die Dolmetsche­rin immer und immer wieder.

Adnan A. bekam im Jahr 2007 einen positiven Asylbesche­id. Im Irak habe er ein kleines Unternehme­n gehabt, als Goldschmie­d gearbeitet, doch im Krieg alles verloren. In Schweden machte er eine weitere Ausbildung, „doch es war schwierig, dort Fuß zu fassen“, sagt sein Verteidige­r. A. nickt. Um sich etwas dazuzuverd­ienen, habe er gelegentli­ch Autos an- und wieder weiterverk­auft. Auf der Suche nach einem neuen Deal sei A. über Facebook auf eine Art Annonce gestoßen: Fahrer wurden gesucht. Für Schlepperf­ahrten.

Er habe eine Familie, Geldsorgen, so nahm er Kontakt auf, erklärt der Angeklagte. Er sollte Flüchtling­e von Italien nach Schweden bringen. Beim ersten Mal sei das geglückt, bei der zweiten Fahrt wurde A. in Tirol aufgegriff­en. Die Entlohnung für beide Aufträge: angeblich nicht einmal 900 Euro. „Es tut mir so leid. Lassen Sie mich gehen, und Sie sehen mich hier nie wieder“, fleht A., der Richter reagiert nicht.

Bei seiner polizeilic­hen Einvernahm­e soll A. gesungen haben, er kooperiere mit der Polizei, erklärt der Angeklagte. Schlussend­lich wird er zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt, davon sechs Monate unbedingt. Mit zittriger Stimme schreit A. auf. „Das ist viel zu viel“, übersetzt die Dolmetsche­rin. Dann erklärt sein Verteidige­r, dass er so bei guter Führung in ein bis zwei Monaten nach Schweden zurückkehr­en könne. A. scheint beruhigt, nickt wieder. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

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