„Wir verstehen nicht, wie der Mensch gemacht wird“
Am Anfang der Entwicklung eines jeden Organismus stehen embryonale Stammzellen. Der Biologe Martin Leeb sucht nach dem genetischen Programm, das die Ausdifferenzierung dieser Alleskönner startet.
INTERVIEW:
Standard: Nach sechs Jahren an der University of Cambridge hat Sie der Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds WWTF mit einer Förderung zurück nach Wien geholt. Haben Sie eine Rückkehr angestrebt? Leeb: Da ich zwei Kinder habe, war es schon immer das Ziel von mir und meiner Frau, langfristig in den deutschsprachigen Raum zurückzukehren. Dass es wieder Wien wurde, ist ein Glücksfall. Besonders, weil hier die embryonale Stammzellforschung – trotz des großen Forschungsverbundes am Vienna Biocenter – nicht sehr ausgeprägt ist. Zumindest noch nicht.
Standard: Sie erforschen die Entwicklung der Stammzellen hin zu ausdifferenzierten Zellen. Was genau untersuchen Sie? Leeb: Ich will herausfinden, wie die Identität einer Zelle festgelegt wird. Was also regelt, dass eine Zelle aufhört, eine Stammzelle zu sein. Und wie entschieden wird, dass aus einer Stammzelle eine Nervenzelle oder eine Zelle der Bauchspeicheldrüse wird. Das weiß man noch nicht. Deshalb ist es auch so schwierig, gezielt gewisse Zelltypen herzustellen, zum Beispiel für die medizinische Forschung.
Standard: Forscher züchten aber bereits künstliches Gewebe und Organe aus Stammzellen. Heißt das, dies geschieht mehr nach dem Trial-and-ErrorPrinzip? Leeb: Nicht ganz. Aus der embryonalen Entwicklung weiß man ungefähr, welche Signalwege wann wirken, sodass aus einer Stammzelle eine ausdifferenzierte Zelle wird. Das versucht man, im Labor nachzuahmen. Die Signalwege schaltet man etwa über die Zugabe von Wachstumsfaktoren an. Schritt für Schritt kommt man dann zum Beispiel zu einer Nervenzelle. Das ist aber eine sehr langwierige und ineffiziente Methode. Und die gewonnene Nervenzelle verhält sich auch nicht 100-prozentig wie eine Nervenzelle im Körper.
Standard: Was ist Ihr Ansatz? Leeb: Ich untersuche, welche Gene es braucht, damit die embryonale Stammzelle beginnt, sich auszudifferenzieren. Ich konzentriere mich dabei auf die ersten Schritte des Prozesses: Die embryonale Stammzelle kann noch jeden Zelltyp bilden. Welche Gene veranlassen sie nun, sich in Richtung Differenzierung zu entwickeln? Mit diesem Verständnis könnte man viel besser Gewebe künstlich herstellen. Aber mich interessiert vor allem die grundlegende biologische Frage: Wie wird der Mensch gemacht? Wie werden die ersten Schritte in der Embryonalentwicklung gesteuert? Das verstehen wir noch nicht.
Standard: Welche nutzen Sie? Leeb: Vorerst nutze ich embryonale Mäusestammzellen. Ziel ist es aber auch, einmal mit embryonalen Stammzellen vom Menschen zu arbeiten.
Stammzellen
Standard: Diese sind ethisch umstritten. Sehen Sie Alternativen? Leeb: Embryonale Stammzellen haben den Vorteil, dass man wirk- lich weiß, dass sie aus einem Embryo kommen. Die sogenannten induziert pluripotenten Stammzellen – also die reprogrammierten Körperzellen, die sich wieder in beliebiges Gewebe entwickeln können – sind keine wirkliche Alternative zur Erforschung grundlegender Differenzierungsmechanismen. Hier stellt sich immer die Frage, woher sie kommen und wie sie produziert wurden. Sie entsprechen molekular nicht zu 100 Prozent den humanen embryonalen Stammzellen.
Standard: Sie haben in Cambridge bei dem Biologen Austin Smith im Labor gearbeitet, einem Pionier der embryonalen Stammzellforschung. Was nehmen Sie aus dieser Zeit mit? Leeb: Was man in einem Labor von einem Wissenschafter lernt, der aufgrund seiner Berühmtheit sehr viel unterwegs ist, ist ein enormes Maß an Eigenständigkeit. Und was ich bei ihm gesehen habe: wie man sich eine Arbeitsgruppe zusammenstellen sollte.
Standard: Inwiefern? Leeb: Man braucht Leute, die eigenständig arbeiten und gleichzeitig das Interesse haben, etwas Großes gemeinsam zu bewegen. Ellbogenmentalität gab es bei Smith nicht. Gelernt habe ich von Smith zudem eine gesunde Einstellung zur Wissenschaft: Ziel sollte nicht sein, so viel, sondern so gut wie möglich zu publizieren. Ich strebe gute Wissenschaft an – und nicht, 20 Fachartikel pro Jahr zu veröffentlichen.
Standard: Fiel Ihnen der Abschied aus Cambridge schwer? Leeb: Der Abschied fiel mir natürlich schwer, denn ich hatte dort eine unglaublich bereichernde Zeit. Für mich war aber immer klar, dass ich mich jetzt von Smith als meinem Postdoc-Betreuer lösen muss: wissenschaftlich wie auch geografisch. Denn langfristig ist es wichtig, seine eigene wissenschaftliche Identität zu etablieren und sich von der Arbeit des „großen Professors“zu unterscheiden.
Ziel sollte nicht sein, so viel wie möglich zu publizieren. Ich strebe gute Wissenschaft an –
und nicht 20 Fachartikel pro Jahr.
MARTIN LEEB, geboren 1979 in Eisenstadt, studierte Genetik und Mikrobiologie. Nach seinem Doktorat am Wiener Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie ging er an die University of Cambridge, wo er am Stem Cell Institute forschte. Seit April ist er an den Max F. Perutz Laboratories der Universität Wien und Medizinischen Universität Wien tätig.