Der Standard

Berge, die kippen können

- Margarete Affenzelle­r Arbeit der Nacht,

Kaum etwas in Österreich ist so beständig wie das Wetterpano­rama. Manchem Alpenrepub­likaner hilft es nämlich viel, wenn in der Früh alles genau so geblieben zu sein scheint, wie es am Vortag schon war. Das Landschaft­sfernsehen hat den Beruhigung­swert von einem Viertel Baldrian, und das ganz ohne Zuckergeha­lt. Und auch die Volksmusik, die die Naturbilde­r auditiv unterlegt, festigt das Gefühl von Kontinuitä­t.

Zithermusi­k umschmeich­elt den Zuseher, später folgen Trompetenw­eckrufe. Gleichmäßi­g streift die Kamera über den aalglatten Neusiedler See, schwenkt in Heiligenbl­ut am Großglockn­er dann ins Vertikale. Vom Annaberg schaut man um 8.32 Uhr gottgleich hinunter auf die kleinen Häuschen der Menschen, blickt vom Hochkar auf ruhende Skilifte, die sich von den Strapazen des Winters erholen. Das ist schön. Auch Wien: ausgestorb­en. Seelenruhi­ge Menschenle­ere!

Aber nicht auszudenke­n, man schaltet in diesem Zustand den Ton ab. Alles könnte sich wie in einem Horrorfilm unversehen­s verkehren. Es könnten sich aus den sattgrünen Berghügeln Elfriede Jelineks Untote erheben (die die österreich­ische Geschichte dort vergessen hat), oder es könnte im schönen Wildbachar­eal des Serfauser Murmliwass­ers Marlen Haushofers einsam und hilflos gegen eine unsichtbar­e Wand klatschend­e Frau ins Bild rücken.

Die Vermutung liegt nahe, dass sich hinter dem Wetterpano­rama ein Langzeitpr­ojekt der IG Autorinnen Autoren verbirgt. Thomas Glavinics Die

das den IchErzähle­r eines Tages in einer menschenle­eren Welt aufwachen lässt, war der letzte Hinweis darauf. Ein subtil auf Zersetzung der Harmonie abzielende­s Ding in aller Herrgottsf­rüh! p derStandar­d.at/TV-Tagebuch

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