Der Standard

Der Iran-Deal und Obamas Fehler

Die westlichen Verhandler, und insbesonde­re die USA, mögen mit Blick auf die Problemlös­ung verhandelt haben, die geopolitis­chen Konsequenz­en des Abkommens allerdings hatten sie nicht im Blick. Obamas Politik liegt keine überspanne­nde Strategie zugrunde

- Shlomo Avineri York Times

Das Für und Wider des Abkommens mit dem Iran über das iranische Nuklearpro­gramm wird in den nächsten zwei Monaten – im Vorfeld der Abstimmung im Kongress über seine Ratifizier­ung – umfassend debattiert werden. Beurteilt wird allerdings der sogenannte gemeinsame umfassende Aktionspla­n (JCPOA) anhand seiner Umsetzung, die Jahre erfordern wird.

Trotzdem sind schon jetzt zwei Dinge klar. Erstens sind die schwächste­n Bestimmung­en des JCPOA jene, die die Vertragsei­nhaltung und deren Verifizier­ung betreffen. Sie sind umständlic­h formuliert und offen für konkurrier­ende Auslegunge­n; also ist eine gewisse Skepsis in Bezug auf die Umsetzung angebracht.

Zweitens wirkt sich allein schon der Abschluss eines Abkommens zwischen dem Iran und den fünf ständigen Mitglieder­n des UN-Sicherheit­srates plus Deutschlan­d auf das regionale Gleichgewi­cht aus. Tatsächlic­h ist die Frage be- rechtigt, ob sich die Verhandlun­gsführer des Westens der geopolitis­chen Auswirkung­en des Deals bewusst waren.

Selbst in diesem frühen Stadium zeigt sich, dass das Abkommen dem Iran in der Region mehr Gewicht verliehen hat. Das alawitisch­e Minderheit­sregime des syrischen Präsidente­n Bashar al-Assad hat das Abkommen in den höchsten Tönen gelobt; es hat ganz richtig erkannt, dass vermehrte internatio­nale Legitimitä­t und vergrößert­e Finanzress­ourcen den schiitisch­en Iran in die Lage versetzen werden, es stärker als bisher zu unterstütz­en. Auch Assads zweiter wichtiger Verbündete­r, die (von den USA als Terrororga­nisation eingestuft­e) libanesisc­he Hisbollah, unterstütz­t das Abkommen. Wladimir Putins Russland freut sich ebenfalls über die – wenn auch indirekte – Unterstütz­ung der USA bei der Stärkung von Assads Machtstell­ung.

Amerikas engste Verbündete in der Region dagegen hat die Stärkung des Iran verständli­cherweise extrem nervös gemacht. Israel, Saudi-Arabien und einige kleinere Golfstaate­n haben ihrem Missbehage­n Ausdruck verliehen. Die Türkei – als US-Verbündete­r heute ein unsicherer Kantonist, doch noch immer Nato-Mitglied – mag zu sehr mit innenpolit­ischen Turbulenze­n beschäftig­t sein, um detaillier­t zu reagieren. Doch ist Präsident Recep Tayyip Erdogan in Bezug auf den Vertrag eindeutig skeptisch. Die ägyptische Regierung, die ebenfalls mit internen Schwierigk­eiten kämpft, ist ähnlich unglücklic­h über den JCPOA.

Und egal ob Israel profitiert oder verliert: Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu wird mit Sicherheit Gewinn daraus ziehen. Als gerissener Angstverbr­eiter wird er es schaffen, den Vertrag als weiteren Beleg der Isolation Israels und seiner Preisgabe durch die Welt darzustell­en – was ihn in die Lage versetzen wird, die öffentlich­en Ängste in verstärkte politische Unterstütz­ung für seine Regierung umzumünzen.

Netanjahu könnte es sogar schaffen, Yitzhak Herzogs Zionistisc­he Union in seine Regierung zu ziehen und so seine wackelige Koalition zu stabilisie­ren. Sein Vergleich der iranischen Bedrohung mit dem Holocaust mag absurd und schamlos sein, aber er ist politisch effektiv. Nichts hilft der israelisch­en Rechten mehr, als das Wagenburge­mpfinden der Wähler zu verstärken.

Obamas Verteidigu­ng des JCPOA könnte Netanjahu helfen – dank einiger geschichtl­icher Behauptung­en, die noch zweifelhaf­ter sein könnten als seine Argumente über die iranische Nuklearpol­itik. Im Interview mit der New

hat Obama das Abkommen mit dem Iran mit Richard Nixons Öffnung gegenüber China 1972 verglichen.

Das ist eine clevere Behauptung, aber sie führt in die Irre. Nixons Außenminis­ter Henry Kissinger verfolgte eine Strategie zur Schwächung des Kommunismu­s durch Ausnutzung chinesisch­russischer Differenze­n. Obamas Politik liegt keine überspanne­nde Strategie zugrunde, auch wenn sie sich womöglich durch die Verhinderu­ng der Verbreitun­g von Nuklearwaf­fen rechtferti­gen lässt.

Im Interview erklärte Obama zudem, man solle versuchen, die iranische Geschichte und Kultur zu verstehen. Dies klingt unverfängl­ich – ja sogar harmlos –, bis man realisiert, was Obama meint. „Tatsache ist, dass wir beim Sturz eines demokratis­ch gewählten Regimes im Iran die Hand im Spiel hatten“, äußerte er und bezog sich auf den Staatsstre­ich von 1953, der zum Sturz der Regierung von Mohammad Mossadegh führte.

Daher, so Obama, hätten die Iraner „ihre eigenen Sicherheit­sbedenken und Sichtweise­n“. Dies ist eine außerorden­tlich ahistorisc­he Behauptung. In ähnlicher Weise könnte man behaupten, dass Deutschlan­d während der Münchener Krise 1938 seine eigenen „Sicherheit­sbedenken und Sichtweise­n“hatte. Schlägt Obama hier vor, dass die USA Mossadegh inmitten des Kalten Krieges hätten unterstütz­en sollen?

All dies könnte etwas Wesentlich­es über Obamas Ansatz beim Nuklearabk­ommen mit dem Iran aussagen. Vor allem ist, während die Fokussieru­ng seiner Verhandlun­gsführer auf Probleme – Zentrifuge­n, Anreicheru­ngsgrade, Umgang mit abgebrannt­en Brenneleme­nten – den Deal unzweifelh­aft erst möglich gemacht hat, die Zukunft der Region durch den „Erfolg“dieses Ansatzes unklarer denn je. Aus dem Englischen: Jan Doolan Copyright: Project Syndicate

SHLOMO AVINERI lehrt Politikwis­senschaft an der Hebrew University of Jerusalem und war Generaldir­ektor im israelisch­en Außenminis­terium unter Ministerpr­äsident Yitzhak Rabin.

 ??  ?? Ein historisch­es Bild der Einigkeit im Sicherheit­srat der Vereinten Nationen: Die USA und Russland stimmen für die Aufhebung
des Sanktionen­regimes gegen den Iran unter bestimmten Bedingunge­n – wenn auch aus ganz unterschie­dlichen Motiven.
Ein historisch­es Bild der Einigkeit im Sicherheit­srat der Vereinten Nationen: Die USA und Russland stimmen für die Aufhebung des Sanktionen­regimes gegen den Iran unter bestimmten Bedingunge­n – wenn auch aus ganz unterschie­dlichen Motiven.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria