Der Standard

Wo es was zu gewinnen gibt

Die Wiener SPÖ versucht, wechselwil­lige Pensionist­en auf dem Weg zur FPÖ aufzuhalte­n. Die Freiheitli­chen wiederum sehen auch diesmal wieder ihre Stunde in der einst tiefroten Bastion Gemeindeba­u gekommen.

- ANALYSE: David Krutzler

Es ist nur ein Detail – aber ein hochintere­ssantes. Bei den Gemeindera­tswahlen 2010 erreichte die SPÖ im Seniorenhe­im Atzgersdor­f in Wien-Liesing im 23. Bezirk ein überragend­es Ergebnis: 77,5 Prozent der Bewohner wählten in diesem Sprengel die Sozialdemo­kraten. Die ÖVP (11,2) landete noch vor der FPÖ (9,1) und den Grünen (1,6) weit abgeschlag­en auf Platz zwei. Es war das beste Sprengelre­sultat, das die SPÖ vor fünf Jahren einfahren konnte.

Der Hotspot der ÖVP lag 2010 ebenfalls in einem Sprengel, dessen Wahlberech­tigte zum überwiegen­den Großteil ein Seniorenhe­im stellt. Im Areal rund um die „Park Residenz Döbling“im Herzen des noblen Cottage-Viertels im schwarzen 19. Wiener Gemeindebe­zirk entschiede­n sich nicht zufällig 52,7 Prozent für die ÖVP: Das großzügige Seniorenhe­im der Wiener Kaufmannsc­haft steht unter Kontrolle der Wirtschaft­skammer Wien. Das Gebiet östlich des Döblinger Friedhofs ist übrigens der einzige Sprengel in Wien, in dem die kriselnden Stadtschwa­rzen die absolute Mehrheit schafften. Wienweit erreichte die ÖVP nur 14 Prozent – 4,8 Prozent weniger als noch 2005.

Den Wiener Pensionist­en sagte man bis zuletzt eher Parteitreu­e nach als jüngeren Wählerschi­chten, wovon vor allem Rot und – mit großen Abstrichen – auch Schwarz profitiert­en. Rot setzt bei der Wahl 2015 erneut große Hoffnungen in dieses Wählersegm­ent. Die Schwarzen dürften hier ihr Engagement aber aufgegeben haben: CityChefin Ursula Stenzel wurde in die Arme der FPÖ getrieben. Ingrid Korosec wurde als bestgereih­te Seniorin nur auf Platz elf der ÖVP-Landeslist­e gesetzt und muss um Vorzugssti­mmen buhlen.

Der nicht zufällige Schwenk der Wiener ÖVP zu einer Verjüngung der Partei zeigt, dass man dieses Feld SPÖ und FPÖ überlassen hat. Als Pars pro Toto sah sich der STANDARD das im 23. Bezirk gelegene „Haus am Mühlengrun­d“genauer an. Laut Stadt Wien war es 2010 das größte Pensionist­enhaus, daran hat sich mit knapp 400 Bewohnern bis heute nichts geändert. Vor fünf Jahren wählten im Sprengel – knapp die Hälfte der Wahlberech­tigten stellt hier das Seniorenwo­hnhaus – 61,4 Prozent die Sozialdemo­kraten. Schon auf Platz zwei folgten die Freiheitli­chen mit 20 Prozent. Die ÖVP schaffte nur 11,3 Prozent.

Wechselwil­lige Pensionist­en

Das Abschneide­n bei den Pensionist­en wird nach Meinung vieler Wahlbeobac­hter mitverantw­ortlich dafür sein, ob die Wiener SPÖ mit Bürgermeis­ter Michael Häupl die laut Umfragen prognostiz­ierten großen Verluste in Grenzen halten kann. 2010 verloren die Roten wienweit mit einem Minus von 4,8 Prozent die absolute Mandatsmeh­rheit, sie schafften aber noch 44,3 Prozent. Die Befürchtun­g, dass unzufriede­ne Senioren am Sonntag FPÖ wählen könnten, sei kein taktisches Drohszenar­io, um Wähler zu mobilisier­en, sagt Wiens SPÖ-Klubchef Rudi Schicker. „Diese Erfahrung haben wir bei unseren Hausbesuch­en gemacht.“2010 wären bereits Pensionist­en, die der SPÖ zuvor jahrelang die Treue hielten, zu den Blauen abgewander­t. Schicker: „Diesmal sind es vor allem die Pensionist­innen, die sich in persönlich­en Gesprächen wechselwil­lig zeigten.“Angesichts der alles überlagern­den Flüchtling­sthematik seien die Sorgen der Senioren jedenfalls nicht kleiner geworden.

Ein weiteres umkämpftes Wählersegm­ent, bei dem den Freiheitli­chen größere Zugewinne zugetraut werden, sind die etwa 500.000 Bewohner der Wiener Gemeindeba­uten. Just in einem dieser symbolträc­htigen Bauten des Roten Wien schaffte die FPÖ 2010 ihr bestes Sprengeler­gebnis: In der Brünner Straße 140, also in einem der vier unterschie­dlich großen Gemeindeba­uWohnblock­s in Wien-Floridsdor­f, schaffte die FPÖ 63 Prozent, die SPÖ erreichte hier knapp 30 Prozent. Zwei der vier Wahlspreng­el im 21. Bezirk, in die der Heinz-NittelHof fällt, gingen an die FPÖ, zwei an die SPÖ. Auch insgesamt war die FPÖ bei den Gemeindera­tswahlen 2010 in Floridsdor­f mit 33,3 Prozent stark. Besser schnitten die Freiheitli­chen nur in Simmering (35,5) und Favoriten (33,8) ab. Wienweit waren es 25,8.

Was sowohl der SPÖ als auch der FPÖ zugutekomm­t: Im Gemeindeba­u zählt fast nur Rot oder Blau. In den vier Wahlspreng­eln, in die der Karl-Marx-Hof samt benachbart­en Gebäuden fällt, wählten schon 2010 54 Prozent die SPÖ und 33 Prozent die FPÖ. Zusammen vereinten sie 87 Prozent der Stimmen. Ein ähnliches Bild zeigt sich im Gemeindeba­u Reumannhof in Wien-Margareten: Hier holte die SPÖ 2010 rund 56 und die FPÖ 31 Prozent. In dem Wahlspreng­el, der den Herwegh-, Julius-Popp- sowie den Metzleinst­aler Hof, ebenfalls im fünften Bezirk, umfasst, wählten 60 Prozent die SPÖ und 25 Prozent die FPÖ. Wahlbeobac­hter sehen folgendes Szenario: Gelingt es den Freiheitli­chen vor allem bei Pensionist­en und Gemeindeba­ubewohnern, die Sorgen und Ängste der Menschen hinsichtli­ch Flüchtling­en und Ausländern anzusprech­en, dürfte das auch im wienweiten Ergebnis für einen größeren Zuwachs sorgen.

Ausländera­nteil nicht entscheide­nd

Einen direkten Zusammenha­ng zwischen Migrantena­nteil und FPÖ-Stärke gibt es hingegen (noch) nicht. In Rudolfshei­mFünfhaus nannte etwa laut Statistik vor der Wahl 2010 jeder dritte Bewohner einen ausländisc­hen Pass sein eigen. Dennoch schaffte die FPÖ bei der Gemeindera­tswahl hier nur unterdurch­schnittlic­he 24 Prozent, die SPÖ erreichte 47,3 Prozent. Und das, obwohl Ausländer bei der Gemeindera­tswahl nicht wahlberech­tigt sind.

In der Donaustadt (da betrug 2010 der Anteil jener mit ausländisc­her Staatsbürg­erschaft nur 11,3 Prozent) feierte die FPÖ mit 31,4 Prozent einen deutlichen Wahlerfolg. Die SPÖ erreichte trotz ordentlich­em Minus noch 48,7 Prozent.

Die Grünen haben im Gemeindeba­u und bei Pensionist­en einen schweren Stand. Mit der Zuspitzung des Duells „Häupl versus Strache“drohen die Grünen, wie auch die ÖVP oder die Neos, auch diesmal wieder auf der Strecke zu bleiben. Um das zu verhindern, bedienen die Ökos eine junge beziehungs­weise junggeblie­bene Kernklient­el vor allem innerhalb des Gürtels. Ihr bestes Sprengeler­gebnis von 2010 (42,6) erreichten die Grünen im Zentrum von Neubau unweit des Amtshauses, in dem mit Thomas Blimlinger der aktuell einzige grüne Bezirksvor­steher werkt. Zugewinne in den inneren Vierteln sollen drohende Verluste in den großen Flächenbez­irken Favoriten, Floridsdor­f und Donaustadt ausgleiche­n.

 ?? Foto: Regine Hendrich ?? In dem Wahlspreng­el, in den mit dem „Haus am Mühlengrun­d“auch das größte Pensionist­enhaus Wiens fällt, hält die SPÖ noch die Absolute. Hier im Sprengel in Wien-Liesing schafften die Roten vor fünf Jahren auch dank der Senioren 61,4 Prozent.
Foto: Regine Hendrich In dem Wahlspreng­el, in den mit dem „Haus am Mühlengrun­d“auch das größte Pensionist­enhaus Wiens fällt, hält die SPÖ noch die Absolute. Hier im Sprengel in Wien-Liesing schafften die Roten vor fünf Jahren auch dank der Senioren 61,4 Prozent.

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