Rücktritt in Rom wird zum Problem für Italien
Zwei Monate vor Beginn des vom Papst ausgerufenen neuen „Heiligen Jahres“ist der Bürgermeister der Stadt Rom, Ignazio Marino, über fragwürdige Spesenabrechnungen gestolpert und zurückgetreten. Nun hat Regierungschef Matteo Renzi ein Problem.
Am Vorabend seiner Demission als Römer Stadtoberhaupt hatte Marino noch zu retten versucht, was nicht mehr zu retten war: Er erklärte, dass er die gesamten Spesen, die er während seiner bisherigen Amtszeit ausgegeben habe, an die Stadt zurückzahlen werde. In den Tagen zuvor wurde berichtet, dass der Bürgermeister private Abendessen in Römer Altstadtrestaurants mit der Kreditkarte der Stadt beglichen habe. Auf den Spesenabrechnungen hatte Marino angegeben, dass er mit Vertretern von Institutionen diniert habe, was aber von seinen angeblichen Gästen und zwei Wirten dementiert wurde: Der Bürgermeister sei in mindestens sechs Fällen mit seiner Frau oder mit Verwandten essen gekommen.
Obwohl Marino an der Korrektheit seiner Abrechnungen festhielt, wirkte die Ankündigung der Rückzahlung wie ein Schuldeingeständnis. Am Donnerstagabend kam dann die Rücktrittserklärung per Videobotschaft, in welcher Marino von einem „Komplott“sprach und vom Versuch, „das Wahlresultat auszuhebeln“. Letztlich war ihm aber gar nichts anderes übriggeblieben, als den Hut zu nehmen: „So wie die Dinge liegen, ist das Ende dieser Regierung unausweichlich“, hatte ein Stadtrat erklärt, der wie der Vizebürgermeister und zwei weitere Stadträte aus Protest gegen Marino sein Amt niedergelegt hatte. Fallengelassen wurde der Bürgermeister auch von seiner Partei, dem sozialdemokratischen PD von Regierungschef Matteo Renzi.
Angst vor Neuwahlen
Der Premier ist am Römer Schlamassel nicht unschuldig: Er hatte im vergangenen Jahr, als Rom im Sumpf der Affäre „Mafia Capitale“versank, mehrfach Marinos Fähigkeit angezweifelt, die korrupte und verlotterte Hauptstadt wieder auf Vordermann zu bringen. Renzi konnte sich jedoch nicht dazu aufraffen, Marino zum Rücktritt zu bewegen, zumal dieser in dem Skandal – im Unterschied zu zahlreichen Gemeinderäten des PD – eine weiße Weste behalten hatte. Außerdem fürchtete sich der Regierungschef vor Neuwahlen: In allen Umfragen liegt die Protestbewegung von Beppe Grillo klar vorne. Die Hauptstadt an die „Grillini“zu verlieren wäre für den Premier eine Blamage sondergleichen. Der früheste Termin für Neuwahlen wäre nun der Frühling 2016; es kann jedoch durchaus sein, dass Renzi die Wahlen noch eine Weile hinauszögern wird, um Zeit zu gewinnen.
Der Premier hat in Rom auch noch ein zweites Problem: In zwei Monaten beginnt das von Papst Franziskus ausgerufene „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“, in dessen Verlauf mehr als 30 Millionen Pilger in der Ewigen Stadt erwartet werden. Die im Hinblick auf den bevorstehenden Megaevent erforderlichen Arbeiten – namentlich die Ausbesserung der unzähligen Schlaglöcher in Roms Straßen, die Beseitigung des allgegen- wärtigen Drecks sowie die Bereitstellung von Unterkünften für die Pilger – sind zum größten Teil noch nicht in Angriff genommen worden.
Im Vatikan steigt die Nervosität, denn es droht allen Beteiligten eine „figuraccia“(schlechte Figur) internationalen Ausmaßes. Um diese zu vermeiden, hatte Renzi dem Bürgermeister schon im April den ehemaligen Zivilschutzchef Franco Gabrielli zur Seite gestellt, der nun bis zur Bestellung eines Regierungskommissars in Rom das Kommando führen wird. Der international renommierte Transplantationschirurg Marino, der jahrelang in den USA gelebt und operiert hatte, war zunächst für viele Römer ein Hoffnungsträger gewesen: Bei den Stichwahlen für den Einzug ins Kapitol im Juni 2013 hatte der Sohn eines Sizilia- Ignazio Marino soll sich teure Restaurantbesuche auf Kosten der Gemeindekassen gegönnt haben. Nun trat er als Bürgermeister Roms zurück. ners und einer Schweizerin 64 Prozent der Stimmen erreicht. Marino hatte nach seiner Wahl den Mut, sich in Rom mit allen Mächtigen anzulegen: mit den korrupten Baronen in der Verwaltung und den inkompetenten Chefs der städtischen Betriebe, mit den für ihre ständigen Absen- zen berüchtigten Gemeindepolizisten und nicht zuletzt auch mit dem einflussreichen Immobilienkönig Francesco Caltagirone.
Streiks und Hetzkampagnen
Dafür wurde dem unbeliebt gewordenen Bürgermeister die Rechnung präsentiert: Die Busfahrer, die Müllabfuhr und die Gemeindepolizisten reagierten mit regelmäßigen Streiks, die das Leben vieler Römer seit Monaten zur Hölle machen. Und Caltagirone führte mit seinem Messaggero, der größten Lokalzeitung Roms, eine unerbittliche Hetzkampagne gegen Marino – sodass bis heute nicht ganz klar ist, welche Verfehlungen sich dieser wirklich hat zuschulden kommen lassen und welche ihm nur angedichtet wurden.