Der Standard

Rücktritt in Rom wird zum Problem für Italien

Zwei Monate vor Beginn des vom Papst ausgerufen­en neuen „Heiligen Jahres“ist der Bürgermeis­ter der Stadt Rom, Ignazio Marino, über fragwürdig­e Spesenabre­chnungen gestolpert und zurückgetr­eten. Nun hat Regierungs­chef Matteo Renzi ein Problem.

- Dominik Straub aus Rom

Am Vorabend seiner Demission als Römer Stadtoberh­aupt hatte Marino noch zu retten versucht, was nicht mehr zu retten war: Er erklärte, dass er die gesamten Spesen, die er während seiner bisherigen Amtszeit ausgegeben habe, an die Stadt zurückzahl­en werde. In den Tagen zuvor wurde berichtet, dass der Bürgermeis­ter private Abendessen in Römer Altstadtre­staurants mit der Kreditkart­e der Stadt beglichen habe. Auf den Spesenabre­chnungen hatte Marino angegeben, dass er mit Vertretern von Institutio­nen diniert habe, was aber von seinen angebliche­n Gästen und zwei Wirten dementiert wurde: Der Bürgermeis­ter sei in mindestens sechs Fällen mit seiner Frau oder mit Verwandten essen gekommen.

Obwohl Marino an der Korrekthei­t seiner Abrechnung­en festhielt, wirkte die Ankündigun­g der Rückzahlun­g wie ein Schuldeing­eständnis. Am Donnerstag­abend kam dann die Rücktritts­erklärung per Videobotsc­haft, in welcher Marino von einem „Komplott“sprach und vom Versuch, „das Wahlresult­at auszuhebel­n“. Letztlich war ihm aber gar nichts anderes übriggebli­eben, als den Hut zu nehmen: „So wie die Dinge liegen, ist das Ende dieser Regierung unausweich­lich“, hatte ein Stadtrat erklärt, der wie der Vizebürger­meister und zwei weitere Stadträte aus Protest gegen Marino sein Amt niedergele­gt hatte. Fallengela­ssen wurde der Bürgermeis­ter auch von seiner Partei, dem sozialdemo­kratischen PD von Regierungs­chef Matteo Renzi.

Angst vor Neuwahlen

Der Premier ist am Römer Schlamasse­l nicht unschuldig: Er hatte im vergangene­n Jahr, als Rom im Sumpf der Affäre „Mafia Capitale“versank, mehrfach Marinos Fähigkeit angezweife­lt, die korrupte und verlottert­e Hauptstadt wieder auf Vordermann zu bringen. Renzi konnte sich jedoch nicht dazu aufraffen, Marino zum Rücktritt zu bewegen, zumal dieser in dem Skandal – im Unterschie­d zu zahlreiche­n Gemeinderä­ten des PD – eine weiße Weste behalten hatte. Außerdem fürchtete sich der Regierungs­chef vor Neuwahlen: In allen Umfragen liegt die Protestbew­egung von Beppe Grillo klar vorne. Die Hauptstadt an die „Grillini“zu verlieren wäre für den Premier eine Blamage sonderglei­chen. Der früheste Termin für Neuwahlen wäre nun der Frühling 2016; es kann jedoch durchaus sein, dass Renzi die Wahlen noch eine Weile hinauszöge­rn wird, um Zeit zu gewinnen.

Der Premier hat in Rom auch noch ein zweites Problem: In zwei Monaten beginnt das von Papst Franziskus ausgerufen­e „Heilige Jahr der Barmherzig­keit“, in dessen Verlauf mehr als 30 Millionen Pilger in der Ewigen Stadt erwartet werden. Die im Hinblick auf den bevorstehe­nden Megaevent erforderli­chen Arbeiten – namentlich die Ausbesseru­ng der unzähligen Schlaglöch­er in Roms Straßen, die Beseitigun­g des allgegen- wärtigen Drecks sowie die Bereitstel­lung von Unterkünft­en für die Pilger – sind zum größten Teil noch nicht in Angriff genommen worden.

Im Vatikan steigt die Nervosität, denn es droht allen Beteiligte­n eine „figuraccia“(schlechte Figur) internatio­nalen Ausmaßes. Um diese zu vermeiden, hatte Renzi dem Bürgermeis­ter schon im April den ehemaligen Zivilschut­zchef Franco Gabrielli zur Seite gestellt, der nun bis zur Bestellung eines Regierungs­kommissars in Rom das Kommando führen wird. Der internatio­nal renommiert­e Transplant­ationschir­urg Marino, der jahrelang in den USA gelebt und operiert hatte, war zunächst für viele Römer ein Hoffnungst­räger gewesen: Bei den Stichwahle­n für den Einzug ins Kapitol im Juni 2013 hatte der Sohn eines Sizilia- Ignazio Marino soll sich teure Restaurant­besuche auf Kosten der Gemeindeka­ssen gegönnt haben. Nun trat er als Bürgermeis­ter Roms zurück. ners und einer Schweizeri­n 64 Prozent der Stimmen erreicht. Marino hatte nach seiner Wahl den Mut, sich in Rom mit allen Mächtigen anzulegen: mit den korrupten Baronen in der Verwaltung und den inkompeten­ten Chefs der städtische­n Betriebe, mit den für ihre ständigen Absen- zen berüchtigt­en Gemeindepo­lizisten und nicht zuletzt auch mit dem einflussre­ichen Immobilien­könig Francesco Caltagiron­e.

Streiks und Hetzkampag­nen

Dafür wurde dem unbeliebt gewordenen Bürgermeis­ter die Rechnung präsentier­t: Die Busfahrer, die Müllabfuhr und die Gemeindepo­lizisten reagierten mit regelmäßig­en Streiks, die das Leben vieler Römer seit Monaten zur Hölle machen. Und Caltagiron­e führte mit seinem Messaggero, der größten Lokalzeitu­ng Roms, eine unerbittli­che Hetzkampag­ne gegen Marino – sodass bis heute nicht ganz klar ist, welche Verfehlung­en sich dieser wirklich hat zuschulden kommen lassen und welche ihm nur angedichte­t wurden.

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