Der Standard

Mit dem Holzhammer gegen den Himalajast­aat

Seit Wochen kommen kaum noch Güter und Medikament­e nach Nepal. Kathmandu warnt vor einer „humanitäre­n Krise“und vermutet die indische Regierung hinter der Blockade. Ziel sei offenbar eine Verfassung­sänderung.

- Christine Möllhoff Kathmandu Post. Nepali Times.

Kathmandu/Berlin – Noch im vergangene­n Jahr hatten die Menschen Narendra Modi zugejubelt. Nun verbrennen junge Nepalesen wutentbran­nt Puppen mit dem Konterfei von Indiens Premiermin­ister und skandieren „Nieder mit Modi“. Selten war man in Nepal so sauer auf den „großen Bruder“wie derzeit. Noch immer kämpft der Himalajast­aat mit den Folgen des furchtbare­n Erdbebens im April, nun leidet er auch noch unter einer Handelsblo­ckade.

Seit fast drei Wochen kommen kaum noch überlebens­wichtige Güter über die Grenze. 5000 Lastwagen stauen sich auf der indischen Seite. Nepals Finanzmini­ster Ram Sharan Mahat warnt bereits vor einer „humanitäre­n Krise“: „Benzin, Gas, Medikament­e – alles wird knapp.“Die Engpässe sind so dramatisch, dass Kathmandu nun sogar erwägt, Benzin aus Bangladesc­h oder einem anderen Drittland einzuflieg­en.

Vor den Tankstelle­n bilden sich kilometerl­ange Schlangen, dabei bekommen ohnehin nur noch Taxis, Busse und Krankenwag­en Benzin. Die wenigen Busse sind so überfüllt, dass die Menschen auf den Dächern sitzen müssen. Spitälern auf dem Land gehen die Arzneien aus. Fluggesell­schaften müssen Zwischenst­opps einlegen oder gar Flüge streichen, weil die Maschinen in Kathmandu nicht mehr tanken können. Und das mitten in der touristisc­hen Hochsaison, von der sich das Land einen Schub erhofft hatte.

Für die meisten Nepalesen besteht kein Zweifel, wer hinter der Krise steckt. „Die allgemeine Wahrnehmun­g ist, dass Indien für die Blockade verantwort­lich ist“, schreibt etwa die Indien stoppe die Lkws, um Nepal gefügig zu machen. Das weist Neu-Delhi von sich. „Es gibt weder eine offizielle noch eine inoffiziel­le Blockade“, erklärt der Sprecher des Außenminis­teriums, Vikas Swarup. Vielmehr würden die Fahrer nicht fahren, weil es auf nepalesisc­her Seite seit Wochen Ausschreit­ungen gebe.

Dort protestier­t bereits wochenlang die Volksgrupp­e der Madhe- si. Der Ärger begann mit der neuen Verfassung, die Nepal am 20. September verabschie­det hatte. Diese stößt bei den Madhesi auf erbitterte­n Widerstand, weil sie ihnen keine eigene Provinz zugesteht. Sie fürchten, dass sie durch den neuen Zuschnitt kaum noch im Parlament vertreten sind und ausgegrenz­t werden. Die Madhesi, die im südlichen Tiefland leben und etwa 30 Prozent der rund 27 Millionen Nepalesen stellen, sind eng verbunden mit den Menschen jenseits der Grenze in Bihar und Uttar Pradesh.

Route nach China verschütte­t

Die Madhesi-Proteste würden von Indien dirigiert, vermutet die

Der Nachbar verlangt von Kathmandu, eine – so Neu-Delhi – „integrativ­e“Verfas- sung, welche die Mitsprache der Madhesi stärkt. Nepal fühlt sich erpresst. Die kleine Republik, die eingezwäng­t zwischen Indien und China im Himalaja liegt, ist abhängig von Neu-Delhi: 63 Prozent aller Güter kommen auf dem Landweg aus Indien. Die Handelsrou­te, die nach China führte, wurde während des Erdbebens im April verschütte­t.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Riese Indien zu solchen Methoden greift, um den kleinen Nachbarn zu beeinfluss­en. Bereits 1989 hatte die linke Kongressre­gierung von Rajiv Gandhi das Land, das zu den 20 ärmsten Staaten der Welt gehört, mehr als 13 Monate ausgehunge­rt, weil man politisch über Kreuz lag. „Wir brachten Benzin aus Bangladesc­h herein“, erinnert sich der damalige Handelsmin­ister Bahadur Budhathoki.

Historisch war Nepal immer enger mit Indien verbunden als mit China. Seit einigen Jahren nimmt Pekings Einfluss aber zu. Die „Holzhammer-Diplomatie“, wie es Medien nennen, könnte Nepal weiter in die Arme Chinas treiben. Im Volk wächst die Anti-IndienStim­mung. „Die Wut wird von Tag zu Tag größer“, schreibt die Kathmandu Post. Alle indischen TVKanäle wurden bereits aus dem Programm verbannt. Sebst Politiker, die bisher zu Indien standen, wollen nun die Handelsweg­e nach China ausbauen, um sich aus dem Würgegriff Neu-Delhis zu befreien. „Die Krise lehrt uns, dass wir mehr Alternativ­en brauchen“, sagte auch Finanzmini­ster Mahat. „Aber das braucht Zeit.“

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Foto: AP / Ram Sarraf Zahlreiche Öltankwage­n sind in der Stadt Birganj an der Grenze gestrandet, die Nepal von Indien trennt. Kathmandu überlegt nun, Benzin aus anderen Ländern einzuflieg­en.

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