Der Standard

Traiskirch­ner Probleme „nun im ganzen Land“

Flüchtling­e würden von Einrichtun­gen in Obdachlosi­gkeit geschickt, beklagen NGOs

- Katharina Mittelstae­dt

Innsbruck – Es riecht nach warmem Abendessen und vielen Menschen. Vor dem Eingang zur Tennishall­e nahe dem Innsbrucke­r Tivolistad­ion steht ein korpulente­r Security-Mitarbeite­r. Als der Standard dort abends unangekünd­igt ankommt, begrüßt er gerade einen Flüchtling mit freundscha­ftlicher Umarmung.

Einige Männer trinken Tee vor der Halle, jeder Einzelne grüßt freundlich, wenn jemand vorbeigeht. „Das Zusammenle­ben funktionie­rt problemlos, die Männer hier sind wahnsinnig dankbar“, sagt der Leiter der größten Flüchtling­sunterkunf­t Tirols. Überbelegu­ng? Nein, derzeit seien noch einige Plätze frei.

Eine Familie muss das Lager dennoch vor Einbruch der Dämmerung wieder verlassen. In der Tennishall­e werden derzeit nur männliche Flüchtling­e aufgenomme­n. Aus Sicherheit­sgründen. Eigentlich müsste die Familie ohnehin zuerst in einer Bundeseinr­ichtung untergebra­cht werden, in einem der Verteilerz­entren, die geschaffen wurden, um Traiskirch­en zu entlasten. Doch dort herrscht gerade Aufnahmest­opp, bundesweit. Hineingela­ssen werden nur „vulnerable Gruppen“. Eine Familie zählt nicht dazu, sobald ein Mann dabei ist.

Der Flüchtling­sdienst der Diakonie organisier­t schließlic­h eine private Unterkunft für die Nacht – nachdem er von einem Mitarbeite­r der Sicherheit­sfirma ORS, die für den Bund die Betreuung ausübt, darum gebeten worden ist. Das ist nicht die Ausnahme, beklagen zahlreiche Flüchtling­sorganisat­ionen: Würde die Zivilgesel­l- schaft nicht einspringe­n, gäbe es bereits ein riesiges Problem mit obdachlose­n Flüchtling­en in ganz Österreich. Obwohl in vielen Notunterkü­nften Plätze frei sind.

Am Donnerstag hat die FPÖ im Tiroler Landtag eine Aktuelle Stunde zum Thema „Totalchaos im Flüchtling­swesen“einberufen. Wohl jeder, der sich mit dem Thema beschäftig­t, wird zugeben, dass die Freiheitli­chen mit ihrer Polemik nicht ganz unrecht haben. Es herrscht Asylchaos – nicht in den Versorgung­szentren, sondern in der Verwaltung.

Bundesbetr­euung vom Land

Die Probleme von Traiskirch­en wurden durch die Verteilerz­entren nun im ganzen Land verteilt“, sagt Michael Kerber von der Diakonie Tirol. Doch daran will niemand Schuld haben: Das Land Tirol übernimmt beispielsw­eise schon jetzt laufend Menschen, die von der Bundeseinr­ichtung aus Platzmange­l abgewiesen werden.

„Das Innenminis­terium ist nicht in der Lage, seine eigenen Vorgaben zu erfüllen“, sagt Landesräti­n Christine Baur (Grüne). Wenn die Länder genug Plätze schaffen, hätte sich das Problem erledigt, reagiert man im Innenminis­terium: „Neben den drei konkretisi­erten Projekten in Oberösterr­eich und Kärnten planen wir 15 weitere Unterkünft­e mithilfe des neuen Durchgriff­srechts“, sagt Sprecher Karl-Heinz Grundböck.

In den Flüchtling­sorganisat­ionen lässt man den Kompetenzw­irrwarr als Ausrede nicht gelten: „Für die Menschen ist es völlig egal, wer zuständig ist. Die stehen auf der Straße. Es kann doch nicht sein, dass es im Tourismusl­and Tirol mit 44 Millionen Nächtigung­en im Jahr nicht gelingt, Menschen ein Bett zur Verfügung zu stellen“, sagte Kerber.

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Obdachlose­r Flüchtling vor dem Traiskirch­ner Lager. Bei der Unterbring­ung herrsche bundesweit Chaos, berichten NGOs.

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