Seine Welt ist eine Scheibe
Österreich treibt es im Steeldarts auf die Spitze. Der Wiener Mensur Suljovic eilt international von Erfolg zu Erfolg. Knapp tausend Spieler sind in Österreich aktiv. Größtes Talent ist ein 14-Jähriger namens Rusty. Auch er übt im Café The Gentle in der B
Draußen hängen zwei Tafeln neben der Tür, auf einer sind mit Kreide längst nicht alle Getränke aufgelistet, die es drinnen gibt, auf der anderen sind sich fast alle „Speisen“ausgegangen. Von oben nach unten: Pizza, Toast, Frankfurter, Schokolade, Schnitten. Die Kellnerin weist darauf hin, dass seit kurzem auch unterschiedlich belegte Baguettes serviert werden. So oder so läuft das Essen hier nebenher. Wer ins Café The Gentle in Wien-Brigittenau kommt, will Darts spielen. Oder den Dartsspielern zusehen. Mensur Suljovic zusehen.
Mensur Suljovic hat das Lokal im Februar 2013 übernommen und ihm seinen Namen gegeben, seinen Spitznamen. „The Gentle“, der Sanfte, der Sanftmütige, der Freundliche. „So bin ich“, sagt er. „Ich komm mit allen gut aus.“ Probleme, die andere mit ihm haben, sind rein sportlicher Natur, allerdings wird die Liste jener, denen Suljovic zusetzt, länger und länger.
Der 43-Jährige hat sich als bester deutschsprachiger Spieler an der Spitze etabliert. Beim World Matchplay im Juli in Blackpool landete er im Achtelfinale einen sensationellen Sieg gegen Weltmeister Gary Anderson aus Schottland. Und dieser Tage trumpfte Suljovic beim World Grand Prix in Dublin groß auf. Er eliminierte James Wade, Simon Whitlock und Vincent van der Voort, drei Top-16-Spieler, und stieß ins Semifinale (nach Blattschluss) vor. Lohn für Suljovic bei diesem Turnier sind zumindest 23.500 Pfund. In der Verdienstrangliste der Professional Darts Corporation (PDC) wird er, noch 28., unter die Top 25 vorstoßen, Mehr als 120.000 Pfund verdiente er binnen zwei Jahren.
Im Gentle, wo sich acht Dartsscheiben auf drei Trainingsräume verteilen, fiebern Familie, Freunde und Fans vor dem Fernseher mit, wenn Suljovic im Ausland antritt. Sein Verein ist der größte in Österreich, DC Darts-Control hat mehr als achtzig Mitglieder, an einer Wand im mittleren der drei Räume bilden kleine Porträtfotos der Mitglieder eine kleine Pyramide. Davor stehen Pokale auf einem Brett. Vergangene Saison belegte die Darts-Control-Mannschaft, in der Mensur auch selbst mitspielt (D-C Vienna Steel), in der regulären Landesliga des Wiener Dartsverbandes hinter An Sporran 1 den zweiten Platz.
Party hier, Vorurteil da
Gespielt wird in Cafés, in Wirtshäusern, manchmal in privaten Vereinslokalen. Suljovic legt Wert darauf, dass Darts nicht gleich Darts ist. „Viele Hobbyspieler im Wirtshaus fetzen nur in die Scheibe rein. Einige trinken dazu ein Bier nach dem anderen, das schadet unserem Ruf. Wenn einer wissen will, was professionelles Darts ist, soll er sich einmal sechs Stunden Zeit nehmen und mit mir im Gentle trainieren.“Dem Vorurteil, Darts sei ein Wirtshaussport, tritt auch dartistkeinwirtshaussport.at entgegen, auf dieser Website gibt es Liveticker, Berichte, Videos, Talks. Den Einwand, dass bei großen Turnieren das Bier in Strömen fließe, wenn auch auf Publikumsseite, lässt Suljovic nicht gelten. „Für die Zuseher ist jedes Turnier eine Party. Aber das ist in anderen Sportarten auch so.“
Für die Spieler ist es eine Herausforderung, die Stimmung hinter und neben der Bühne auszublenden, konzentriert zu bleiben. Suljovic hatte jahrelang Probleme. Der Wiener schied oft früh aus und zahlte drauf. Flug, Hotel, Nenngeld, da kommt einiges zusammen. Suljovic wollte schon den Hut draufwerfen, wieder mehr Zeit für die Familie haben. Doch jetzt will er aufdrehen, zwei Sponsoren helfen ihm, der deutsche Hersteller Bull’s (Slogan: „The dart side of life“) und das Wiener Card-Casino-SportsbarRestaurant Montesino.
Steeldarts ist die Königsdisziplin, die edle Sparte, das vermittelt nicht zuletzt der satte, dunkle Klang, wenn der Pfeil die Scheibe aus Kork, Sisal und Synthetikmaterial trifft. Beim etwas weniger edlen Electronic Dart (E-Dart) wird auf einen Automaten geworfen, der gibt manchmal Geräusche von sich und rechnet immer aus und vor, wie viel Punkte auf null noch fehlen. Die Null muss stehen, das ist das Ziel. Im Darts wird heruntergezählt, meistens von 501, daher auch der Name des Spiels: 501, Double Out. Der letzte Wurf hat einem der Doubleringe ganz außen zu gelten.
„One hundred and eighty“
Ziel mit einer Aufnahme, also mit drei Darts, ist meist die 180, dreimal die Triple-20, mehr geht nicht. Bei großen Turnieren pflegt in diesem Fall der Saalsprecher „One hundred and eighty“in ein Mikrofon zu brüllen. Wird bei 501 begonnen, so ist der Nine-Darter das Nonplusultra, nach bloß neun Würfen hat der Spieler die Null erreicht, etwa via 180 (3 Darts), Triple-20, Triple-19, Doppel-12. Steeldarts hat viel mit Kopfrechnen zu tun. Profis haben intus, dass sie von 161, 164, 167 und 170 mit drei Pfeilen finishen können, von 159, 162, 163, 165, 166, 168 und 169 aber nicht. Suljovic: „Viele haben Probleme mit Mathematik, tun sich beim Steeldarts deshalb schwer. Wenn man unsicher wird, kostet das Konzentration und Substanz.“
Die Suljovic-Karriere ging 1993 los, als der gebürtige Serbe aus seiner Heimatstadt Tutin nach Wien kam. Mensur reiste dem älteren Bruder nach. „Die Mutter wollte nicht, dass ich im Krieg zur Armee eingezogen werde.“Der Bruder führte in der Brigittenau das Café Rimini, Mensur half ihm dabei, und als der Bruder einen DartsDoppelpartner brauchte, half ihm Mensur ebenfalls. Bald hatte er sein erstes eigenes Lokal, in der Dammstraße – einmal Brigittenauer, immer Brigittenauer.
An der „Landesliga“in Wien nehmen in fünf Divisionen immerhin 53 Mannschaften teil. Im Wiener Dartsverband (WDV), Teil des Österreichischen Dartverbandes (ÖDV), der wiederum Mitglied der World Darts Federation (WDF) ist, gibt es auch eine Ladies Challenge mit vier Teams. Insgesamt sind beim WDV ungefähr 500 Steeldarts-Aktive gemeldet, österreichweit kommt man auf knapp doppelt so viele. Weltweit werden sechs bis sieben Millionen Spieler in Vereinen und Verbänden gezählt, besonders populär ist Darts in Großbritannien und in Teilen Asiens.
In Wien ist Suljovic nicht ganz allein auf weiter Flur, vor allem die drei Rodriguez-Brüder drängen nach, sie spielen ebenfalls für Darts-Control. Als größtes Talent gilt der jüngste, Rusty-Jake, ge- nannt Rusty, 14 Jahre alt. Rusty steht vor einer Scheibe im GentleSchankbereich und wirft 180er, dass es eine Freude ist. Er ist ein aufgeweckter Bursche, derzeit besucht er ein Polytechnikum, damit er neun Schuljahre beisammenhat. „Ich will Weltmeister werden“, sagt er. Dann rückt er seine Brille zurecht, geht zur Bar und bestellt ein Baguette mit Schinken und Käse. Wenn es schon einmal ein Baguette gibt. p Feature mit Video, Fotos, Grafiken:
derStandard.at/Sport