Der Standard

Anrufung der großen Autorin

Das Stadttheat­er Klagenfurt huldigt der Schriftste­llerin Christine Lavant

- Michael Cerha Aufzeichnu­ngen aus dem Irrenhaus,

Klagenfurt – Die bunte Projektket­te zum 100. Geburtstag Christine Lavants schließt sich am Stadttheat­er Klagenfurt. Der Titel klingt wie die Anrufung der großen Autorin: Lavant!. Oder auch nach einer schon recht verzweifel­ten Suche. „Diese Scherben habe ich gestrandet“, hätte Ezra Pound vermutlich das Resultat der Zitatenrev­ue genannt, die Bernd LiepoldMos­ser mit seiner Frau Ute Liepold textlich kompiliert hat.

Die Bühnenumse­tzung besorgte Bernd Liepold-Mosser allein: Ein schräger, teils absichtlic­h, teils unabsichtl­ich irreführen­der Blick auf eine Dichterin, die nicht, vom Symbolismu­s Rainer Maria Rilkes kommend, zur damals zeitgemäße­n Hermetik Günter Eichs oder Peter Huchels strebte, sondern eher irgendwo zwischen Art brut und Bewusstsei­nserweiter­ung à la Patti Smith oder Kurt Cobain schweift. Es gibt auch eine Sängerin (Clara Luzia) und eine kleine, Percussion-dominierte Band.

Wer sich einen gültigen Zugang zu Leben und Schreiben Christine Lavants erhofft, wird irritiert bis enttäuscht. Das hat der alte Dra- maturgie-Fuchs Hermann Beil mit Andrea Eckert für den Carinthisc­hen Sommer viel besser hingekrieg­t. Wer aber unmittelba­r betroffen werden will, den wird die intensive Rezitation zahlreiche­r Gedichte, Briefstell­en und Prosapassa­gen u. a. durch Jele Brückner, Sandra Lipp und Nadine Zeintl beglücken, die sich in das auf acht Figuren zersplitte­rte Lavant-Ich in Sprache, Gesang und Bewegung mit Abstand am überzeugen­dsten einfühlt.

Die sechs Wochen, die Lavant in ihrer Jugend nach einem Selbstmord­versuch in einer Klagenfurt­er Nervenheil­anstalt verbrachte, literarisi­ert in ihren

bleiben in den Videoproje­ktionen auf das weiße, zerknitter­te Halbrund, das die Bühne nach hinten abschließt, durchwegs präsent. Seiner anhaltende­n Liebe zum Film huldigt der Regisseur auch auf vier Monitoren am Bühnenhimm­el, auf denen gegen Ende die bereits verstummte Dichterin Blumen pflückt.

Leider ist das nicht das letzte Bild. Die acht Darsteller müssen noch der Todtraurig­keit der Texte durch einen versöhnlic­hen Abgang entrinnen, wozu die Nebelmasch­ine kräftig dampft. Falls nur zu beweisen war, dass diese Autorin mitsamt ihrer politische­n Großzügigk­eit in der Wahl ihrer Freundscha­ften dem heutigen Bewusstsei­n immer noch hochintere­ssant ist, ist diese merkwürdig­e Produktion gelungen. p www.stadttheat­er-klagenfurt.at

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Foto: Karlheinz Fessl Das Ich der Autorin wird in zahlreiche Figuren zersplitte­rt.

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