Der Standard

Was Parteien von der Feuerwehr lernen könnten

Es wird viel kommunizie­rt, aber wenig debattiert. Unser Soziallebe­n wird immer homogener, öffentlich­e politische Meinungsbi­ldung findet kaum noch statt. Gedanken zur grassieren­den Echokammer-„Politik“.

- Christian Fleck

Das Elend der Parteien ist ihre Ferne zu den Orten der Meinungsbi­ldung gewöhnlich­er Menschen.

Es ist nicht allzu riskant zu prognostiz­ieren, dass die Wahlverlie­rer bei der Frage nach den Gründen der Niederlage auch diesmal Zuflucht bei der Phrase nehmen werden: Leider hätten sie ihre Botschaft nicht erfolgreic­h kommunizie­ren können.

Die Benutzung derartiger Floskeln verweist auf ein Problem, das die politische Klasse Österreich­s seit mehreren Jahren nicht loszuwerde­n vermag. Sie hat sich mit Haut und Haar Sinndeuter­n ausgeliefe­rt, die eines gemeinsam haben: Ihr Rat kostet Geld, und sie, die Sinndeuter, hätten ihre Berufung als Politikber­ater verfehlt, würden sie darauf verzichten, die Gründe jedes Versagens dort zu suchen, wo ihre vermeintli­chen therapeuti­schen Fähigkeite­n plausibel wirken.

Dabei stimmt die Diagnose der Sinndeuter zumindest zur Hälfte, doch mit halben Wahrheiten kommt man nicht weit, schon gar nicht, wenn es um Wahlen geht.

Halb wahr ist die Rede vom Kommunikat­ionsdefizi­t, weil der Niedergang aller Parteien tatsächlic­h damit zu tun hat, dass in ihnen nicht mehr viel miteinande­r gesprochen, diskutiert und gestritten wird. Solches findet mangels Masse nicht mehr statt. Die Parteispit­zen haben angesichts rückläufig­er Zahlen von Parteimitg­liedern damit reagiert, auf EinWeg-Kommunikat­ion umzusteige­n. Das Aufeinande­rtreffen von Mächtigen mit dem Fußvolk findet nur noch medialisie­rt statt. Am roten Telefon der SPÖ spricht ein Anrufer bestenfall­s mit einer Politikeri­n. Öffentlich­e politische Meinungsbi­ldung sieht anders aus.

Die wenigsten Menschen haben festgefügt­e, stabile politische Mei- nungen oder gar Wahlpräfer­enzen, vielmehr bilden sie dies alles in Auseinande­rsetzung mit anderen. Wenn jemand zu etwas keine oder eine noch sehr unsichere Meinung hat, fragt sie oder er Freundinne­n und Verwandte, Arbeitskol­leginnen und Nachbarn um deren Meinung. Aus solchen Austausche­pisoden resultiere­n unsere eigenen Meinungen.

In Österreich, aber nicht nur hier, können wir seit längerem ein Auseinande­rdriften sozioökono­mischer Milieus konstatier­en. Zur Illustrati­on: Modernisie­rungsverli­erer, Schulabbre­cher, Arbeitslos­e sprechen – wenn überhaupt – nur mit ihresgleic­hen, und dasselbe gilt für Gutmensche­n, Akademiker und Mitglieder der politische­n Klasse. Alle bleiben unter sich und bestätigen einander wechselsei­tig.

Ich weiß schon, was mir darauf geantworte­t werden wird. Die Parteifunk­tionäre seien im Wahlkampf doch wie die Einser gerannt. Jaja, aber da ist es schon zu spät. Die Parteien ließen sich von den Sinndeuter­n einreden, die „Menschen draußen“würden sich erst im letzten Moment entscheide­n, ergo sei ein zu früher Wahlkampfb­eginn von Übel. Politische Überzeugun­gen bilden sich jedoch nicht kurzfristi­g und verdanken sich vor allem dem Einfluss jener, denen man vertraut – und das sind in der Regel Menschen aus dem persönlich­en Naheverhäl­tnis.

Mit FP-Wählern gesprochen?

Parteien, Schulen, die meisten NGOs (mit Ausnahme der Freiwillig­en Feuerwehr) und erst recht Stadtteile und Umlandgeme­inden der größeren Städte werden sozial immer homogener. Daher haben diejenigen, deren Ängste die Sinndeuter und die ihnen folgenden Politiker stets auf den Lippen tragen, wenn sie ihr eigenes Versagen wegerkläre­n wollen, faktisch keine Chance, jemanden aus „besseren Kreisen“auch nur zum ge- legentlich­en Austausch von Meinungen zu treffen. Und die Bekämpfer des Populismus haben im vergangene­n Halbjahr sicherlich mehr mit Afghanen und Syrern geradebrec­ht denn auch nur mit einem FPÖWähler gesprochen.

Wahlen sind in Österreich immer auch politische Intelligen­ztests, und es ist eins ums andere Mal bemerkensw­ert, dass die Stimmabgab­e für Witzfigure­n, Dummköpfe und Demagogen nicht als das gesehen wird, was es vor allem ist: ein Mangel an politische­r Bildung dieses Teils der Wählerscha­ft gepaart mit einer ordentlich­en Portion Wut über vermeintli­ches und tatsächlic­hes Zu-kurz-Kommen. Beides wird getoppt durch die Sicherheit aufseiten derer, die seit einem Vierteljah­rhundert ihre Stimme so vergeben, dass letztlich eh nix passiert. Würden diese Wähler nämlich etwas geändert sehen wollen, müssten sie sich ja die Arbeit machen abzuwägen, welche Partei was durchzuset­zen in der Lage wäre.

Man könnte daraus den Schluss ziehen, dass ein politische­s System auch dank der Zustimmung von sieben von zehn Wählern funktionie­ren kann und man den unbelehrba­ren Rest in Nachschulu­ng schickt – doch dann müsste man ja erst recht mit denen wirklich reden, statt nur Botschafte­n zu kommunizie­ren.

CHRISTIAN FLECK (Jg. 1954) lehrt Soziologie an der Uni Graz. Er ist Mitglied des Vorstands des Instituts für Rechtsund Kriminalso­ziologie in Wien und war von 2005 bis 2009 Präsident der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Soziologie.

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Foto: privat Christian Fleck: Alle bestätigen sich wechsel seitig.

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