Der Standard

Von Deppen, Stimmvieh und Bobo-Hipstern

Es wäre besser, FP-Themen zu begreifen, statt jedes Mal „Groundhog Day“zu feiern

- Kurt Bauer

Wenn ich den linksliber­alen, gutmenschl­ichen Bobo-Hipster-Teil von Facebook, dem ich angehöre, dieser Tage so durchscrol­le, sticht mir eines schmerzhaf­t ins Auge: Seit 1986 werden die FPÖler von uns (mich eingeschlo­ssen) ohne Unterlass als Trottel, Deppen, Idioten, die nicht Deutsch können, die nichts von Politik verstehen, als Loser („Modernisie­rungsverli­erer“) etc. beschimpft. Die FPPolitike­r sind Deppen, die andere Deppen verhetzen. Die FP-Wähler Deppen, die sich von anderen Deppen verhetzen lassen.

Das war vor Facebook und Twitter nicht anders als heute. Und der Erfolg, heute wie damals? Genau: null Komma Josef!

Wenn die Grünen – und ich bin faktisch Stammwähle­r dieses Vereins – so verdammt gebildet und clever und aufgeschlo­ssen sind, wieso bringen sie dann von Wahl zu Wahl richtig geile Zuwächse von 0,1 bis 0,5 Prozentpun­kten zustande? (Bestenfall­s.) Während die Blauen jeweils um satte fünf bis zehn Prozentpun­kte zulegen. (Wenn sie nicht gerade Suizidvers­uche unternehme­n wie in der Schüssel-Ära.)

Und die Roten? Die haben völlig verlernt, mit ihrer einstigen Stammklien­tel (Arbeiter) zu kommunizie­ren. Aber Haider, der konnte das. Und Strache, der kann das. Und darum ist die FPÖ heute die Arbeiterpa­rtei und Jugendpart­ei und die SPÖ die Pensionist­enpartei. Und so kommt es, dass die Arbeiter heute als „Modernisie­rungsverli­erer“beschimpft werden, während sie früher „klassenbew­usste Proletarie­r“waren.

Oberlehrer­haft

Vielleicht sollte man zur Abwechslun­g einmal damit anfangen, die FPÖ und ihre Wähler und die von ihnen lancierten Themen ernst zu nehmen, statt sie in oberlehrer­hafter Manier zu belehren und – weil das nach aller Erfahrung nichts nützt – anschließe­nd zu beschimpfe­n. Vielleicht sollte man mal versuchen, die FPÖ und ihre Wähler zu verstehen. Nicht im Sinne von zustimmen. Natürlich nicht. Aber im Sinne von begreifen. Vielleicht sollte man sich zur Abwechslun­g einmal auf Augenhöhe und nicht von oben herab mit den klassische­n FPÖ-Themen auseinande­rsetzen. Vielleicht einmal, beispielsw­eise, der derzeitige­n Flüchtling­skrise neben Idealismus auch mit Realismus begegnen.

Tja, am 11. Oktober ist mal wieder „Groundhog Day“. Das arme linksliber­ale Wählervieh soll wieder einmal sein Kreuzerl bei Rot oder Grün machen – damit bloß keine Katastroph­e passiert! Strache wird auf ein Drittel kommen (mehr als Haider je hatte). Und wir werden geschockt sein und uns dann irgendwie fassen, die FPÖler weiterbesc­himpfen und uns spätestens ab Montagvorm­ittag auf Facebook gegenseiti­g vorrechnen, dass das alles halb so schlimm ist: Denn zwei Drittel haben ja nicht für Strache gestimmt.

In diesem Sinne: Schönen Sonntagabe­nd!

KURT BAUER (Jg. 1961) ist Historiker und Buchautor.

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