Der Inselstaat und seine Schreiber
Indonesien ist Schwerpunkt auf der Frankfurter Buchmesse, die von 14. bis 18. Oktober stattfinden wird. Über Allah, Buddha und Rama und die 17.000 Gesichter und Schatten Indonesiens im Spiegel seiner Literatur. ANALYSE:
Das Blau des Meeres schwindet. Lange vor der Landung taucht die Maschine in graugelben Nebel, in den Rauch von Brandrodungen. Irgendwo dort unten liegen sie, die „17.000 Inseln der Imagination“: das poetische Motto für Indonesiens Auftritt bei der Frankfurter Buchmesse. Es sind eher viele diffuse Flecken in unserer Wahrnehmung der Kulturen jenes fernen Archipels. Neben Reisterrassen und Regenwäldern, den Berichten von Vulkanausbrüchen und Tsunami tauchen Klischeebilder auf: balinesische Tänzerinnen, javanisches Schattentheater, polyrhythmischer Gamelan – so uns jenseits des Liedes vom Surabaya-Johnny etwas in den Sinn kommt. „Wir wissen kaum, was wir über all die Kulturen nicht wissen“, meint Martin Jankowski, Autor und Kenner der Literaturszene des mit 250 Millionen Menschen viertgrößten Landes der Welt. Indonesien nicht nur als Literatur-, sondern als Kulturland vermitteln will Goenawan Mohamad, Jakartas Koordinator für die Buchmesse.
Seit Jahrtausenden kam über das Meer, was Indonesien ausmacht, auch die Religionen: erst der Hinduismus, die Mythen des Ramayana und Mahabharata, dann der Buddhismus mit der Borobudur-Stupa als Weltkulturerbe, später der Islam. Der hat im Inselreich eine synkretistischtolerante Form angenommen, anders als zur Rigidität neigende Wüstenvorstellungen.
Blutiges Rot
Die indischen Wurzeln blieben lebendig. Die Versepen, vorgetragen von Bänkelsängern, aufgeführt im Puppentheater oder als Wayang Kulit, populäre Schattenspiele, werden längst auch in Comics und Fernsehserien vermittelt: Die Figuren und Konflikte sind hier gegenwärtiger als bei uns griechische Göttereskapaden oder Bibelgleichnisse. Den Kanon von Mahabharata-Charakteren hat Laksmi Pamuntjak aufgegriffen. Ihr Roman war in Indonesien mit 250.000 Exemplaren ein Bestseller. Amba, die Protagonistin, trägt wie ihr Liebhaber Bhisma den Namen einer Gestalt aus dem Epos. Das Thema kreist um die Schatten eines heuer runden Jahrestags: die Ereignisse von 1965 – Massenmorde, die eine lange Diktatur einleiteten.
1965. Die Dominotheorie ängstigt die USA vor kommunistischen Machtergreifungen, und US-Soldaten landen in Vietnam. In Indonesien werden nach einem kaum geklärten Putschversuch in antikommunistischer und zugleich chinesenfeindlicher Paranoia Hunderttausende umgebracht. Dörfer und Familien spalten sich in Traditionalisten und Erneuerer, Nationalisten und Linke. „Auf Java mussten wir die Leute antreiben, Kommunisten zu töten. Auf Bali mussten wir sie bremsen“, zitiert Adrian Vickers in seinem Klassiker Bali.
General Sarwo Edhy, den „Schlächter von Java“. Auf Bali allein starben binnen Monaten 100.000 Menschen.
Pamuntjaks Liebespaar Amba und Bhisma wird während der Kommunistenjagd 1965 auseinandergerissen. 2006 sucht Amba, mittlerweile 62, auf der einstigen Gefangeneninsel Buru nach Bhismas Spuren. Für das so anspruchsvolle wie ausgezeichnet recherchierte – erotisches, linkes, blutiges Rot – hat Pamuntjak die Form eines vielschichtigen Familien-, Liebesund Politepos gewählt, mit wechselnden Perspektiven, Zeitsprüngen und Überblendungen mit dem in Indonesiens Denken so präsenten Mahabharata. Pamuntjak verschränkt 1965 und 2006, javanische Widersprüche, Politik und Mythos kunstvoll literarisch. „Mit Amba spürte ich eine große Last der Verantwortung“, sagt Pamuntjak, „gegenüber Menschen, die Schreckliches erlebt haben.“
Die Schleier von 1965 werden langsam gelüftet. Bis 1998, dem Ende der Suharto-Diktatur, waren Indonesiens Killing Fields tabuisierter als in China die Tian’anmen-Ereignisse von 1989. Selbst Jakartas Studenten wissen kaum von den Massakern von 1965/66. Intellektuelle Mittelschichten sind nun offener. Durch literarische Tabubrecher wie Pamuntjak leben die Debatten auf. Aber eine breitere gesellschaftliche Diskussion fehlt weiter, nicht zuletzt in den Dörfern, wo ein Großteil des Schlachtens stattfand und Täter wie Opfer eng zusammenleben. Auch international wurden die Pogrome wenig wahrgenommen. Joshua Oppenheimer allerdings hat sie in seinen Filmen Killing und Look ckend dokumentiert.
Jakarta 1965, Paris 1968: In ihrem Roman Pulang verbindet Leila Chudori Indonesien und Europa, von den traumatischen Monaten 1965 bis zur ReformasiBewegung 1998. Das Figurenpanorama von fünf Familien über zwei Generationen überspannt 35 Jahre, inklusive Pariser Studentenunruhen und heißer
Die Schleier von 1965 werden langsam gelüftet. Bis 1998, dem Ende der Suharto-Diktatur, waren Indonesiens Killing Fields tabuisierter als in China die Tian’anmen-Ereignisse von 1989.
pa-