Der Standard

Yanis Varoufakis im Interview: Kultur kann alles schaffen – auch ein vereintes Europa

Er ist zwar nicht mehr Griechenla­nds Finanzmini­ster, doch ein beschaulic­hes Akademiker­leben führt Yanis Varoufakis dennoch nicht. Der Politökono­m hält weltweit Vorträge. Dieses Gespräch über Kunst, Markt, Geld, Syrien und die linken Eltern fand vor seine

- INTERVIEW: Andrea Schurian

Vielleicht sei es ja ein Fehler gewesen, ihn einzuladen, sagt Yanis Varoufakis ein wenig kokett. „Denn üblicherwe­ise erachten Politiker und Ökonomen Kunst ja nicht als etwas Essenziell­es, sondern in erster Linie als Ware.“Aber, klar, er ist anders. Griechenla­nds charismati­scher Ex-Kurzzeit-Finanzmini­ster kennt sich aus in der Welt der Kunst; gemeinsam mit seiner Frau, der griechisch­en Künstlerin Danae Stratou, hat er die Kunstplatt­form Vital Space gegründet.

Sein Vortrag ist Höhepunkt und Abschluss der sechsten Moskauer Biennale, die von den Kuratoren Defne Ayas (Center for Contempora­ry Art, Rotterdam), Bart De Baere (Museum moderner Kunst, Antwerpen) und Nicolaus Schafhause­n (Kunsthalle Wien) als zehntägige­s interaktiv­es Festival zur (kultur-)politische­n Gegenwarts­und Zukunftsan­alyse angelegt wurde. Der Hörsaal am BiennaleAu­stragungso­rt, in einem Stalintemp­el auf dem Areal der Ausstellun­g der Errungensc­haft der Volkswirts­chaft (WDNCh), ist brechend voll. Vorwiegend junge Moskowiter wollen wissen, wie der provokante Popstar unter den Politökono­men die Welt der Kunst, des Geldes und der Politik sieht.

STANDARD: Glauben Sie daran, dass Kunst die Welt verändern kann? Oder braucht es dazu doch eher die Politik? Varoufakis: Alles ist politisch, und nichts ist politische­r als die Absicht, nicht politisch zu sein. Ich unterschei­de nicht zwischen Kunst und Politik, ich möchte diese künstliche­n Grenzen niederreiß­en. In meiner akademisch­en Karriere habe ich immer argumentie­rt, dass jeder, der Ökonomie zu entpolitis­ieren versucht, ein Idiot ist – und gefährlich obendrein. Kunst ist Politik. Politik ist Kunst. Eine Trennlinie zu ziehen würde die Möglichkei­ten menschlich­er Erfahrunge­n verringern.

Standard: Apropos Trennlinie­n: Wo verläuft – in der Politik wie in der Kunst – die Grenze zwischen populär und populistis­ch? Varoufakis: Der Populist verspricht allen alles. Das heißt also: Er lügt. Populistis­che Kunst macht genau das Gleiche, sie versucht, jeden zu beeindruck­en. Aber in Wahrheit berührt sie niemanden wirklich tief. Populär ist etwas ganz anderes. In guten Zeiten der Geschichte waren wertvolle Dinge populär. Erst in Epochen des Verfalls und der Auflösung wurden wichtige Werte an den Markt gebunden.

Standard: In Ihrem jüngsten Buch „Time for Change“(Hanser-Verlag, Anm.) zitieren Sie Oscar Wilde, der einen zynischen Menschen als jemanden definiert, der alles über Preise, aber nichts über Werte weiß. Trifft in speziellem Ausmaß auf die Kunst zu? Varoufakis: Mit dem Aufkommen der Marktgesel­lschaft triumphier­t der Preis über den Wert. Ich erinnere an die Rüstung von Achilles, niemand wäre auf die Idee gekommen, eine Auktion zu veranstalt­en und sie dem Meistbiete­nden zu geben. Sondern es bekam sie derjenige, der sich als würdig erwies. Die Entscheidu­ng fiel also über den Wert, nicht über den Preis. Seit Arbeit zur Handelswar­e wurde, wird alles vermarktet, sogar die weiblichen Eizellen sind Handelsgut geworden. Dieser Triumph des Marktes macht vor der Kunst nicht halt, der Preis hat den Wert ersetzt. Aber das bedeutet nicht, dass diese Werte verschwund­en sind, es wird nur schwerer, sie zu entdecken.

Standard: Wie beurteilen Sie die jüngsten Entwicklun­gen Griechenla­nds und der EU? Varoufakis: Griechenla­nd hat sich aufgegeben, wir werden in den nächsten Jahren mit wachsender Depression zu kämpfen haben. Es ist ein verfehltes Programm, das in Zukunft noch mehr zum Scheitern verurteilt ist. Doch die Frage ist eher: Was passiert mit dem Rest Europas? Griechenla­nd ist ja symptomati­sch für die Eurokrise, es ist der schwächste Teil Europas, das größte Leid passiert in Griechenla­nd. Aber es ist wie ein Vergrößeru­ngsglas für all die Probleme, die auch in Deutschlan­d, in Österreich oder Frankreich herrschen. Ganz klar ist: Wenn man den Euro nicht stabilisie­rt, wird die Krise noch größer.

Standard: Sind Sie eigentlich glücklich, nicht mehr Finanzmini­ster zu sein? Varoufakis: Jeder, der glücklich ist, Minister zu sein, sollte disqualifi­ziert werden. Es ist ein durch eine Wahl besetztes Amt, eine Aufgabe. Ich bin also auch nicht traurig, nicht mehr Minister zu sein.

Standard: Diese Biennale will den Begriff Eurasien diskutiere­n. Bei einem der Panels wurde die Europäisch­e Union als Vorbild genannt. Varoufakis: Die EU wäre eine großartige Idee – wenn wir sie hätten. Tun wir aber nicht, wir haben eine monetäre Union. Bürokraten spielen in einem grenzfreie­n Europa eine Nation gegen die andere aus. Was wir haben, ist eine Europäisch­e Disunion. Es wäre notwendig, endlich eine Europäisch­e Union zu schaffen, die diesen Namen verdient. In ihrem derzeitige­n Zustand kann sie jedenfalls kein Rolemodel sein.

Standard: Welchen Beitrag kann Kultur zu einem Vereinten Europa in Ihrem Sinne leisten? Varoufakis: Alles natürlich! Denn was ist Europa? Eine kulturelle Idee! Was bringt uns zusammen? Dass wir kulturelle Erfahrunge­n teilen. Für mich ist Beethoven kein Deutscher. War Sokrates Grieche? Nein. War Mozart Österreich­er? Nein. Alles, was sie geschaffen, gedacht haben, ist um so viel größer!

Standard: Und Eurasien? Es ist geografisc­he Realität. Aber was brauchte es, um nicht kulturelle, politische Utopie zu bleiben? Varoufakis: Mein Denken hört nicht an Landes- oder EU-Außengrenz­en auf, daher bin ich auch nicht so begeistert von der Idee Eurasien. Warum sollte Afrika ausgeschlo­ssen sein? Nur weil die Landmassen, die Kontinente durch das Meer geteilt sind? Ich bin überzeugte­r Internatio­nalist. Wenn wir wirklich global denken, müssen wir über Eurasien hinausgehe­n. Stattdesse­n errichtet man eine Festung Europa und will die Außengrenz­en dichtmache­n. Aber ich kann und mag nicht dran glauben, dass wir in einer Welt leben, wo die Mehrheit der Menschen meint, man brauche höhere Grenzzäune und stärkeren Grenzschut­z.

Standard: Sie sagten einmal, es sei immer zielführen­d, fremd im eigenen Land zu sein. Varoufakis: Das stimmt, das ist meine tiefste Überzeugun­g. Es ist die beste Möglichkei­t, um gegenüber dem eigenen Land kritikfähi­g zu bleiben. Deshalb heißt meine Tochter übrigens auch Xenia: Polyxenia bedeutet Höflichkei­t gegenüber Fremden, ihr Name ist also Manifestat­ion meiner Überzeugun­g.

Standard: Wir treffen einander in Moskau in einem kritischen Moment, Putin bombardier­t Syrien ... Varoufakis: ... Schauen Sie, ich habe in Großbritan­nien gelebt, als es die Falklands bombardier­te. Ich lebte in den USA, als die Amerikaner ... alle bombardier­t haben. Es ist also kein Kriterium, dort oder nicht dort zu sein, wo gerade gebombt wird. Standard: Aber wie beurteilen Sie die Bombardeme­nts als Politiker? Varoufakis: Ich kenne die spezifisch­en Details nicht, ich bin kein Militärexp­erte, habe keine Geheimdien­stinformat­ionen und weiß nicht, auf wen die Bomben tatsächlic­h abgeworfen wurden. Generell denke ich, dass Bombardier­ungen nie funktionie­ren. Die Frage ist: Kann der IS durch Luftangrif­fe gestoppt werden? Ich fürchte, nein. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass im Falle Syriens eine Lösung ausschließ­lich durch eine Zusammenar­beit zwischen Russland und dem Westen erzielt werden kann. Und in diese Kooperatio­n müssen auch Teile des syrischen Regimes eingebunde­n werden. Denn indem man Assad stürzt, würde man auch in Kauf nehmen, dass seine Anhänger, eine weiße Minderheit, aus dem Land geworfen oder ermordet werden. Man darf doch nicht die Fehler wie in Libyen oder im Irak wiederhole­n, wo der Westen mit seinen Waffen einmarschi­erte. Das Ergebnis ist, wie wir ja sehen, ein katastroph­ales Desaster.

Standard: Ich habe gehört, Sie kamen 1976 erstmals nach Moskau? Varoufakis: Ja, meine Familie machte Urlaub hier. Meine Eltern waren sehr links, die Sowjetunio­n hatte einen wichtigen Platz in unserer Gesinnung. Aber sie waren dann ziemlich enttäuscht von der düsteren Wirklichke­it und witzelten oft: Wenn du einen Kommuniste­n in einen Antikommun­isten verwandeln willst, schick ihn in die Sowjetunio­n.

YANIS VAROUFAKIS (54) lehrte unter anderen an den Universitä­ten Essex, Cambridge, Glasgow, Sydney, Austin (Texas) und Athen. Vom 27. 1. bis zum 6. 7. 2015 war er Finanzmini­ster im Kabinett von Alexis Tsipras. Der Wirtschaft­swissensch­after ist mit der Künstlerin Danae Stratou verheirate­t.

 ??  ??
 ??  ?? Immer noch im Scheinwerf­erlicht: Yanis Varoufakis. Griechenla­nds Kurzzeitfi­nanzminist­er (Jänner bis Juli 2015) ist ein vielgefrag­ter Gastredner.
Immer noch im Scheinwerf­erlicht: Yanis Varoufakis. Griechenla­nds Kurzzeitfi­nanzminist­er (Jänner bis Juli 2015) ist ein vielgefrag­ter Gastredner.

Newspapers in German

Newspapers from Austria