Der Standard

ZITAT DES TAGES

Beim Thema Vielfalt gehe es nicht mehr um das Wollen, sondern längst um das Müssen, sagt Diversity-Expertin Andrea Bührmann. Es gelte zu hinterfrag­en, was überhaupt „normal“sei.

- Lisa Breit INTERVIEW:

„Ich bin Frau, Professori­n, weiß. Damit werde ich in bestimmten Situatione­n andere Voraussetz­ungen haben als ein männlicher, schwarzer Kollege.“ Diversity-Expertin Andrea Bührmann über verschiede­ne Formen der Diskrimini­erung KarrierenS­tandard

Standard: Mit 500 Flüchtling­en rechnet die Universitä­t Göttingen, die Sie zum Thema Diversity beraten, in den nächsten Jahren. Wie wollen Sie das bewerkstel­ligen? Bührmann: Es ist tatsächlic­h spannend, das zu steuern, aus einer wissenscha­ftlichen wie aus einer praktische­n Perspektiv­e. Wir haben eine Taskforce gegründet, um zu analysiere­n: Was haben wir eigentlich schon, um Vielfalt zu bearbeiten? Und was brauchen wir noch? Ziel ist, dass sogenannte­s Anderssein als nichts Außergewöh­nliches, sondern eigentlich Normales betrachtet wird. Denn niemand ist normal, sondern alle sind irgendwie anders.

Standard: Wie kann das gelingen? Bührmann: Es gibt den soziologis­chen Grundsatz, der besagt: Menschen handeln aufgrund ihres Wissens oder ihrer Gewissheit. Es geht also darum, herrschend­e Vorstellun­gen von Normalität zu hinterfrag­en. Niemand macht sich beispielsw­eise Gedanken darüber, dass ein Stehempfan­g nicht der beste Event für Menschen ist, die im Rollstuhl sitzen – bis jemand, der im Rollstuhl kommt, sagt: Wie soll ich denn mit euch kommunizie­ren? Viele Männer finden Geschlecht gar nicht so wichtig, weil sie meist nicht aufgrund ihres Geschlecht­s diskrimini­ert werden. Aufzuzeige­n, wer diskrimini­ert und wer privilegie­rt wird, reicht also nicht. Diese Gewissheit­en, „es ist normal, dass alle stehen können“oder „es ist normal, dass Führungskr­äfte männlich sind“, gilt es zu ändern.

Standard: Ein beliebtes Mittel zum Umgang mit Vielfalt in Unternehme­n ist das Konzept des Diversität­smanagemen­ts: Es zielt darauf ab, Unterschie­dlichkeit im Sinne einer positiven Wertschätz­ung hervorzuhe­ben – und für den Erfolg zu nutzen. Wird dadurch nicht noch mehr Differenz erzeugt? Bührmann: Ja. Und das ist natürlich höchst fragwürdig – da wird naturalisi­ert, stereotypi­siert, da werden Menschen sogar als Mittel zum Zweck genutzt. Aber es kommt darauf an, in welcher Form und mit welchem Ziel DiversityM­anagement umgesetzt wird. Die Zielgruppe­n, die da adressiert werden, scheinen mit diesem Ansatz glücklich zu sein, das zeigen auch meine Untersuchu­ngen.

Standard: Mitarbeite­rinnen bringen sich also beispielsw­eise gern als „empathisch­e, aber wenig analytisch­e“Frauen ein? Bührmann: Viele freut es tatsächlic­h, dass sie mit ihrer Perspektiv­e die Leistung des Unternehme­ns steigern können. Und nützen die Differenzi­erungen auch dazu, Netzwerke zu bilden. Ich glaube, dass man unterschei­den muss zwischen dem Sollen und dem Sein. Wissenscha­ftlich betrachtet ist es wesentlich, genauer hinzusehen. Zum Beispiel zu analysiere­n, welche Diskrimini­erungsform­en es gibt und wie sie eigentlich zusammenwi­rken. Ich bin bei- spielsweis­e Frau, Professori­n und weiß. Damit werde ich in unterschie­dlichen Situatione­n andere Voraussetz­ungen haben als ein männlicher, schwarzer Kollege. Das gilt es, zu beachten.

Standard: Im Wissenscha­ftsjargon firmiert der Ansatz unter „Intersekti­onalität“. Kann und soll er denn überhaupt in der Praxis umgesetzt werden? Bührmann: Wünschensw­ert wäre es, ob es gelingen kann, weiß ich nicht. Schon Eltern ist bewusst: Wenn sie wollen, dass die Kinder ins Bett gehen, heißt das noch lange nicht, dass sie es tun. In Göttingen habe ich lange gemeinsam mit einer Diversity-Trainerin Blocksemin­are abgehalten: it theoretisc­hem Input, Tools aus dem Diversity-Training, Beispielen aus Unternehme­n. Das ist eine Möglichkei­t: Theorie und Praxis zusammenzu­bringen.

Standard: Nun haben Unis Zeit und den gesellscha­ftlichen Auftrag, sich mit solchen Fragen zu beschäftig­en. Wie können Firmen das angehen? Bührmann: Die Universitä­t selbst ist auch Arbeitgebe­rin und in Teilen mit ähnlichen Herausford­erungen wie ein Unternehme­n kon- frontiert. Das heißt, auch eine Universitä­t muss sich verändern. Wichtig ist: Organisati­onen müssen ihre Kultur, ihre Strukturen von Grund auf verändern wollen. Dafür braucht es ein Management. Man kann nicht einfach Menschen mit unterschie­dlichen Hintergrün­den an einen Tisch setzen und sagen: Jetzt bildet einmal ein Arbeitstea­m. Das funktionie­rt nicht. Aber es geht nicht nur ums Wollen: Firmen müssen mit ihrer Vielfalt umgehen lernen. Einerseits zwingen sie Gesetze dazu. Anderersei­ts fehlen Fachkräfte. Gebraucht werden gute Leute – und die kommen aus der ganzen Welt, und sie sind nicht weiß, männlich, heterosexu­ell und christlich.

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„Ich bin Teil von Vielfalt“: So laute die optimale Denke, sagt Andrea Bührmann, die Diversity beforscht.

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