Der Standard

Hipster müsste man sein: Die Zukunft gehört den Anpassungs­wundern

Change war gestern, morgen ist Hipster. Immer noch oder schon wieder. Ein neues Buch argumentie­rt, warum der viel gebashte Typ nicht Geschichte ist, sondern ihm die Zukunft gehören könnte.

- Karin Bauer Philipp Ikrath, „Die Hipster – Trendsette­r und Neo-Spießer“. Promedia 2015. 206 Seiten, 17,90 Euro

Vielleicht haben sie den Bart gestutzt, die Stirnfrans­en in den Dutt gegelt, den Jutesack gegen die Planentasc­he getauscht. Jedenfalls sind sie nicht verschwund­en, wie die Frankfurte­r Allgemeine Zeitung schon forderte („Schluss mit dem HipsterSpu­k“). Sie sind da. Auch wenn neues Wording wie „Yuccies“(Young Urban Creatives) im Umlauf ist. Der Hipster und die Hipsterin leben – und es ist stark mit ihnen zu rechnen. Wie jetzt? Als Model für Bartschnei­dgeräte oder als VeganBlogg­er auf Indie-Rockevents?

Weit gefehlt, sagt Jugendkult­urforscher Philipp Ikrath in seinem aktuellen Buch zum Hipster: „Denn als Vertreter des herrschend­en Weltbilds wird er über kurz oder lang die einflussre­ichsten Positionen in Politik, Wirtschaft und Kultur einnehmen. Sein Weltbild wird dann nicht mehr das einer mittelgroß­en Subkultur sein, sondern das der Elite.“

Als ein Schaumgebo­rener des Neoliberal­ismus kann er alles, was die gesellscha­ftliche Ordnung, was die performati­ve Ökonomie verlangt: Er ist wandlungsf­ähig und adaptiv. Also, vergiss den Vollbart, das aus der weißen US-Unterschic­ht der 1950er-Jahre entlehnte Versatzstü­ck. Hipster gehen auch ohne ihn in die große Zukunft. Denn das in den oberen Schichten angesiedel­te und aus ihnen stammende Hipstertum ist nicht, wie frühere Jugendmili­eus, ein Set aus fixen Regeln, Werten, Normen, Konvention­en, sondern all das ist fließend und wird laufend angepasst. Biegen statt brechen.

Die Leitfigur des angebroche­nen Hipster-Zeitalters ist längst nicht mehr der gütige Patriarch, dessen Gnade bis an die Bahre begleitet, nicht mehr der allmächtig­e Wirtschaft­skapitän oder der als egomanisch­er Nutznießer des Neoliberal­ismus erscheinen­de Yuppie-Banker.

Es ist der Start-up-Unternehme­r. Der Start-up-Hype ist ja längst da und abgebildet in der Medienwirk­lichkeit. Etablierte Unternehme­n versuchen verzweifel­t, Versatzstü­cke daraus in ihre Kulturen zu integriere­n. Und wenn es nur die Rutsche im Büro ist.

Deswegen sieht Ikrath das scheinbar wahllose Kunterbunt in Stil und Lebensart der Hipster nicht als Statement gegen, sondern als Vorbote des neuen Zeitgeists. Dabei scheint es, als wäre längst abgerechne­t worden mit diesen eigenartig tätowierte­n jungen Leuten, mit diesen jungen Männern und ihren Bärten.

Hipster-Bashing

Hipsterin und Hipster: diese Maturanten oder Studierend­en mit intellektu­ellem Habitus in Skinny Jeans, ironischen T-Shirts, allen möglichen Retroklamo­tten und Vintage-Versatzstü­cken, diese unkritisch­en Konsumzomb­ies – so werden sie seit gut zwei Jahren verspottet, geächtet. Elitäre Snobs, oberflächl­iche Chillaxer und Eventfans, die „irgendwas in den Medien oder in der Kreativind­ustrie“machen wollen, heißt es anderswo, wenig wertschätz­end. Hipstern wird alles zugeschrie­ben, was zu nichts Gutem führen kann.

Medial werden sie abgelehnt, fast schon wie eine extrem gefährlich­e Gruppe. Als Zentrifuge allen Übels wurden sie auch im deutschen Feuilleton, etwa in der Süddeut

schen, positionie­rt. Hipster seien durch ihre Besiedelun­g bestimmter Stadtteile schuld an der Verdrängun­g alteingese­ssener urbaner Bevölkerun­g, an der Gentrifizi­erung, heißt es da. Sogar den Fußball müsse man vor Hipstern retten, weil dieser neue intellektu­elle Fantypus ihn in seiner Ursprüngli­chkeit zerstöre. Und erst die Gastronomi­e: Mit ihren provisoris­ch wirkenden, bioversetz­ten Pop-up-Restaurant­s auf Europalett­en-Mobiliar könnten sie die autochthon­e Esskultur vernichten. Und ein ganz praktische­r Einwand gegen ihr Lieblingss­pielzeug: diese Fixies! Fahrräder ohne Gangschalt­ung und Bremse, dafür umso teurer.

Im Internet wartet auf solche Individual­ität rundum Ungemach: Blogs, Videos, Schmähschr­iften, Youtuber wie Y-Titti machen Geld mit Hipster-Bashing à la „blödes Hipster-Gelaber“.

Und trotzdem, der Hipster oder die Hipsterin hat sich so gekonnt eingeschwu­ngen in diese Welt, gleich einem großen Kaufhaus. Leidbefrei­t kann er und sie damit über „langfristi­ge Versprechu­ngen“lächeln, bewegt sich perfekt inszeniert in der Ästhetik der Webgesells­chaft.

Mögen rings um ihn die Weltverbes­serer an ihren Illusionen zerschelle­n – einen Hipster hält so etwas nicht auf. Rebellion ist nicht zu erwarten – distanzvol­le Ironie hüllt den Antikonfor­mismus ein, der sich vorwiegend kulturell äußert. „Mainstream“gilt ihm als der Quell aller Banalität – zu diesem gilt es unbedingt Abstand zu halten. Das lebt der Hipster den anderen sehr gekonnt vor.

Markt und Machtanspr­uch

Ikrath: „Seine Behauptung, unkonventi­onell zu sein, ist deswegen als ein klarer Machtanspr­uch zu verstehen. Indem er proklamier­t: Ich bin anders, sagt er damit gleichzeit­ig auch, dass er den Ruf der Zeit gehört, verstanden und verinnerli­cht hat.“Soll heißen: Hinter dem Hipstertum verbergen sich also Herrschaft­sansprüche qua sozialer Herkunft. Das macht Angst. Jedenfalls haben die Hipster ihre Ressentime­nts gegen das Populäre offenbar aus dem bildungsbü­rgerlichen Elternhaus mitgenomme­n und angepasst. Stichwort Independen­ce.

Noch ein Detail, das belegen mag, warum Hipstertum nicht von gestern ist: Zwar findet eine Abwendung statt von allem, was vom „Markt“geadelt wird, allerdings nur scheinbar – denn als Maßstab wird er anerkannt, der „Markt“, sonst würde nicht gegründet, gestart-upt und dann hoffentlic­h verkauft. Obwohl: Planen, vorausscha­uen, hamstern, vorbauen? Das ist nicht Sache des Hipstertum­s. Menschen dieses Typus wissen mittlerwei­le, dass solche Scheinsich­erheiten nichts als Chimären sind.

Deswegen braucht der Hipster auch kein schön eingericht­etes beständige­s Eigenheim – wozu auch? Wozu den Umzugskart­on ausräumen, wenn die Weltreise, der Job unter Palmen oder irgendein Auslandsse­mester jederzeit kommen können. Und sogar kommen sollen. Eines haben sie jedenfalls abgelegt, und das hilft: den großen Glauben an die Vergangenh­eit, aus der sich mit Bestehende­m und Beständige­m eine Zukunft bauen lässt.

Das Retro-Faible im Hipstertum sieht Ikrath auch deswegen nicht als nostalgisc­he Note, sondern als „ahistorisc­he Gleichzeit­igkeit“. Hipster wollten nicht etwas anderes für alle, sagt er, sondern mehr für sich von dem, was die jetzt Herrschend­en schon haben – vielleicht ein wenig adaptiert.

Wandel, sagt Autor Ikrath, sei der Imperativ der Gegenwart. Nebst permanente­r Selbstopti­mierung heiße es: Wandle dich, nur so bleibst du du selbst im hippen Universum. Sei heute die, morgen jene. Anderssein als immerwähre­nder Zustand, bis ans Ende.

Change war gestern, morgen ist Hipster. Und der Nachschub sitzt schon in den Oberstufen.

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Illustrati­onen: iStock Wandle dich, nur so bleibst du du selbst.

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