Ein seltsames Paar
Nach der Wien-Wahl knirscht es im Gebälk der Sozialdemokratie. Der überraschend deutliche Abstand zur FPÖ hat Michael Häupl, trotz herber SPÖ-Verluste in wichtigen Bezirken, gestärkt. Das macht das Verhältnis zwischen dem mächtigen Wiener Bürgermeister un
TEXT: anstehenden Reformen zu gering. Aber persönlich: Kein Blatt Löschpapier passe zwischen die beiden, das habe Häupl selbst gesagt – „unaufgefordert“, wie Schmid anfügt.
Auch, wenn beide Seiten immer wieder die „Harmonie“betonen; auch, wenn der 66-jährige Häupl beteuert, er wolle nie im Leben Kanzler werden (was sich als unterschwellige Drohung lesen lässt): Häupl wird Faymann in den nächsten Monaten sehr unbequem werden. Bereits in der heißen Phase des Wahlkampfs redete Häupl, etwa im STANDARD- Chat, einer „inhaltlichen Neuausrichtung“der SPÖ das Wort.
Wer Häupl kennt, weiß: Hier lässt er nicht locker. Als Bürgermeister ist er alarmiert, dass die FPÖ in vielen Wohnburgen der einstigen Arbeiterbezirke, einst Bastionen des roten Wien, bereits das Kommando übernommen hat. Häupl hält „Ausländer“und „Flüchtlinge“nur für Stellvertreterthemen für jene Sorge, die den Menschen an die Nieren geht: die steigende Arbeitslosigkeit, die sich in Wien nochmals dramatischer niederschlägt als in anderen Bundesländern. Ohne höheres Wirtschaftswachstum ist das Problem kaum in den Griff zu kriegen, erkennt Häupl – und da vermisst er entscheidende Impulse der Bundesregierung.
Das Undenkbare, das Häupl als Folge fürchtet, wurde am vergangenen Wahlsonntag in Floridsdorf und Favoriten beinahe, in Simmering tatsächlich Realität: Die FPÖ gewann massiv und stellt im 11. Bezirk nun den Bezirksvorsteher.
Das ist nicht nur für die Wiener SPÖ eine bittere Pille, sondern auch für Werner Faymann persön- lich. Jene flächen- und einwohnerstarken Bezirke entlang der Wiener Stadtautobahn Südosttangente waren bis jetzt Faymanns Hausmacht in Wien, hier war man weniger Rot-Schwarz-kritisch als sonst wo in Wien, von hier kamen die meisten Querschüsse gegen die rot-grüne Stadtregierung.
Überdies ist Favoriten die politische Heimat von Faymanns Ehefrau Martina Ludwig-Faymann, in Floridsdorf ist Michael Ludwig, Faymanns Nachfolger als Wohnbaustadtrat, der starke Mann. Ludwig wird Liebäugelei mit einer rot-blauen Koalition nachgesagt, unter anderem, weil er sich auf dem Neustifter Kirtag in diesem Sommer in trauter Eintracht mit FP-Chef Heinz-Christian Strache und dessen Gefolgsmann Johann Gudenus ablichten ließ. Genützt hat der Kuschelkurs, der mit Häupls strikter Anti-FPÖ-Linie inkompatibel ist, der SPÖ bei den Wahlen in Floridsdorf nichts.
Nervosität im Bund
Was das Schielen nach rechts betrifft, bietet Faymann keine Angriffsfläche für seine Kritiker: In der Flüchtlingsfrage zeigt er spätestens seit dem Drama mit 71 Toten in einem Lkw auf der A4 Flagge. Im Gegensatz zur Grenzenzu-Strategie von Koalitionspartner ÖVP hieß er die Geflüchteten willkommen und demonstrierte Einigkeit mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel.
Faymann habe an Format gewonnen, frohlockt man im Kanzleramt, doch die Nervosität blieb. Insider berichten, dass Kanzleramtsminister und FaymannAdlatus Josef Ostermayer umgehend nach der Wien-Wahl die ro- ten Teilorganisationen, vor allem die schon seit langem ungeduldige Gewerkschaft, aufgesucht habe, um sich der Loyalität zum Kanzler zu versichern.
Auf diese Weise stabilisiert Faymann seit jeher seine Macht: Er wendet, auch selbst am Telefon, viel Zeit auf, um alte Bande zu pflegen und neue zu knüpfen.
Es gab Zeiten, da zählte auch Häupl zu Faymanns Netzwerk. In den gemeinsamen Jahren in der Stadtregierung in den Neunzigerjahren wurden beide oft einträchtig beim Gustlbauer, dem traditionellen Stammlokal von RathausRegenten, gesichtet. Auch von gemeinsamen Kurzurlauben ist die Rede. Der Ottakringer Häupl galt weithin als der talentiertere und intellektuellere Kopf, doch dafür machte der Liesinger Faymann mit seiner engen Beziehung zu Krone- Zampano Hans Dichand Eindruck.
Weil beide neben dem Willen zur Verbandelung mit Boulevardmedien auch noch das ausgeprägte Talent für Machtausbau und -erhalt teilen, war die Rivalität unausweichlich. „Werner Faymann wollte nur eines wirklich werden“, sagt ein langjähriger Bekannter: „Wiener Bürgermeister.“Auch wenn der um zehn Jahre jüngere Wohnbaustadtrat nie aktiv am Sessel des Amtsinhabers gesägt haben mag – allein Faymanns umtriebige Art, dank vieler Kontakte und noch mehr Inseraten in Boulevardblättern für gewogene Stimmung zu sorgen, zeigte Häupl: Da strebt einer nach mehr.
Da kam jene Gelegenheit, die sich zum Jahreswechsel 2007 bot, wohl beiden recht, dem misstrauischen Bürgermeister und dem im Rathaus an den Plafond gestoßenen Stadtrat. Häupl lobte Faymann als Verkehrsminister „in den Bund“weg – und hievte ihn eineinhalb Jahre später, gemeinsam mit der Gewerkschaft, an die Spitze der SPÖ, nachdem der bisherige Parteichef Alfred Gusenbauer in den eigenen Reihen jeden Kredit verspielt hatte.
Die Genugtuung darüber, dass wieder einer mit dem Stallgeruch des roten Wien ins Kanzleramt einzog, machte freilich bald tagespolitischen Ärgernissen Platz.
Anlässe gab es genug: Weil er 2010 einen Schlager für den eigenen Wahlkampf brauchte, nötigte Häupl die Bundespartei, nun doch gegen die Wehrpflicht zu sein; die anschließende Volksabstimmung durfte die SPÖ dann ohne Wiener Hilfe verlieren – Faymann tobte. Dafür beschlossen die Sozialdemokraten in der Bundesregierung ein Gehaltsplus für Politiker, während die Rathaus-SP „ihren“Beamten eine Nulllohnrunde abgerungen hatte – diesmal tobte Häupl. Groll hegte der Bürgermeister auch gegen das Transparenzgesetz des Bundes, das die üppige Inseratenvergabe an befreundete Medien offenlegen sollte – eine Praxis, die auch die Grünen in der Koalition nicht anzutasten wagten.
Kein Risiko ohne Alternative
Nach den herben Wahlniederlagen in der Steiermark und dem Burgenland im heurigen Frühjahr schien die Zeit reif. Eine Mehrheit der SPÖ-Stadträte soll Häupl bei einem geheimen Treffen zum Sturz des Bundeskanzlers gedrängt haben. Doch Häupl ließ sich nicht treiben. Ein Königsmord ohne eine taugliche Alternative an der Hand ist ein Risiko, das ein Machttaktiker wie er nicht ohne weiteres eingeht.
Doch die Voraussetzungen können sich ändern: wenn die SPÖ im Frühjahr die Präsidentenwahlen verliert, wenn Häupl seine Nachfolge regelt und sich die Gewichte in Wien zu den FaymannGegnern verschieben.
Klar ist dabei eines: Seit Häupl sein größtes Risiko, die eigene Wahl zu verlieren, mit Grandezza gemeistert hat, ist die Wiener Partei das einsame Machtzentrum in der SPÖ. Die Entscheidung, ob Faymann bleibt oder nicht, liegt letztlich in einer Hand: Häupls.