Der Standard

Ein seltsames Paar

Nach der Wien-Wahl knirscht es im Gebälk der Sozialdemo­kratie. Der überrasche­nd deutliche Abstand zur FPÖ hat Michael Häupl, trotz herber SPÖ-Verluste in wichtigen Bezirken, gestärkt. Das macht das Verhältnis zwischen dem mächtigen Wiener Bürgermeis­ter un

- Gerald John, David Krutzler, Petra Stuiber, Michael Völker

TEXT: anstehende­n Reformen zu gering. Aber persönlich: Kein Blatt Löschpapie­r passe zwischen die beiden, das habe Häupl selbst gesagt – „unaufgefor­dert“, wie Schmid anfügt.

Auch, wenn beide Seiten immer wieder die „Harmonie“betonen; auch, wenn der 66-jährige Häupl beteuert, er wolle nie im Leben Kanzler werden (was sich als unterschwe­llige Drohung lesen lässt): Häupl wird Faymann in den nächsten Monaten sehr unbequem werden. Bereits in der heißen Phase des Wahlkampfs redete Häupl, etwa im STANDARD- Chat, einer „inhaltlich­en Neuausrich­tung“der SPÖ das Wort.

Wer Häupl kennt, weiß: Hier lässt er nicht locker. Als Bürgermeis­ter ist er alarmiert, dass die FPÖ in vielen Wohnburgen der einstigen Arbeiterbe­zirke, einst Bastionen des roten Wien, bereits das Kommando übernommen hat. Häupl hält „Ausländer“und „Flüchtling­e“nur für Stellvertr­eterthemen für jene Sorge, die den Menschen an die Nieren geht: die steigende Arbeitslos­igkeit, die sich in Wien nochmals dramatisch­er niederschl­ägt als in anderen Bundesländ­ern. Ohne höheres Wirtschaft­swachstum ist das Problem kaum in den Griff zu kriegen, erkennt Häupl – und da vermisst er entscheide­nde Impulse der Bundesregi­erung.

Das Undenkbare, das Häupl als Folge fürchtet, wurde am vergangene­n Wahlsonnta­g in Floridsdor­f und Favoriten beinahe, in Simmering tatsächlic­h Realität: Die FPÖ gewann massiv und stellt im 11. Bezirk nun den Bezirksvor­steher.

Das ist nicht nur für die Wiener SPÖ eine bittere Pille, sondern auch für Werner Faymann persön- lich. Jene flächen- und einwohners­tarken Bezirke entlang der Wiener Stadtautob­ahn Südosttang­ente waren bis jetzt Faymanns Hausmacht in Wien, hier war man weniger Rot-Schwarz-kritisch als sonst wo in Wien, von hier kamen die meisten Querschüss­e gegen die rot-grüne Stadtregie­rung.

Überdies ist Favoriten die politische Heimat von Faymanns Ehefrau Martina Ludwig-Faymann, in Floridsdor­f ist Michael Ludwig, Faymanns Nachfolger als Wohnbausta­dtrat, der starke Mann. Ludwig wird Liebäugele­i mit einer rot-blauen Koalition nachgesagt, unter anderem, weil er sich auf dem Neustifter Kirtag in diesem Sommer in trauter Eintracht mit FP-Chef Heinz-Christian Strache und dessen Gefolgsman­n Johann Gudenus ablichten ließ. Genützt hat der Kuschelkur­s, der mit Häupls strikter Anti-FPÖ-Linie inkompatib­el ist, der SPÖ bei den Wahlen in Floridsdor­f nichts.

Nervosität im Bund

Was das Schielen nach rechts betrifft, bietet Faymann keine Angriffsfl­äche für seine Kritiker: In der Flüchtling­sfrage zeigt er spätestens seit dem Drama mit 71 Toten in einem Lkw auf der A4 Flagge. Im Gegensatz zur Grenzenzu-Strategie von Koalitions­partner ÖVP hieß er die Geflüchtet­en willkommen und demonstrie­rte Einigkeit mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel.

Faymann habe an Format gewonnen, frohlockt man im Kanzleramt, doch die Nervosität blieb. Insider berichten, dass Kanzleramt­sminister und FaymannAdl­atus Josef Ostermayer umgehend nach der Wien-Wahl die ro- ten Teilorgani­sationen, vor allem die schon seit langem ungeduldig­e Gewerkscha­ft, aufgesucht habe, um sich der Loyalität zum Kanzler zu versichern.

Auf diese Weise stabilisie­rt Faymann seit jeher seine Macht: Er wendet, auch selbst am Telefon, viel Zeit auf, um alte Bande zu pflegen und neue zu knüpfen.

Es gab Zeiten, da zählte auch Häupl zu Faymanns Netzwerk. In den gemeinsame­n Jahren in der Stadtregie­rung in den Neunzigerj­ahren wurden beide oft einträchti­g beim Gustlbauer, dem traditione­llen Stammlokal von RathausReg­enten, gesichtet. Auch von gemeinsame­n Kurzurlaub­en ist die Rede. Der Ottakringe­r Häupl galt weithin als der talentiert­ere und intellektu­ellere Kopf, doch dafür machte der Liesinger Faymann mit seiner engen Beziehung zu Krone- Zampano Hans Dichand Eindruck.

Weil beide neben dem Willen zur Verbandelu­ng mit Boulevardm­edien auch noch das ausgeprägt­e Talent für Machtausba­u und -erhalt teilen, war die Rivalität unausweich­lich. „Werner Faymann wollte nur eines wirklich werden“, sagt ein langjährig­er Bekannter: „Wiener Bürgermeis­ter.“Auch wenn der um zehn Jahre jüngere Wohnbausta­dtrat nie aktiv am Sessel des Amtsinhabe­rs gesägt haben mag – allein Faymanns umtriebige Art, dank vieler Kontakte und noch mehr Inseraten in Boulevardb­lättern für gewogene Stimmung zu sorgen, zeigte Häupl: Da strebt einer nach mehr.

Da kam jene Gelegenhei­t, die sich zum Jahreswech­sel 2007 bot, wohl beiden recht, dem misstrauis­chen Bürgermeis­ter und dem im Rathaus an den Plafond gestoßenen Stadtrat. Häupl lobte Faymann als Verkehrsmi­nister „in den Bund“weg – und hievte ihn eineinhalb Jahre später, gemeinsam mit der Gewerkscha­ft, an die Spitze der SPÖ, nachdem der bisherige Parteichef Alfred Gusenbauer in den eigenen Reihen jeden Kredit verspielt hatte.

Die Genugtuung darüber, dass wieder einer mit dem Stallgeruc­h des roten Wien ins Kanzleramt einzog, machte freilich bald tagespolit­ischen Ärgernisse­n Platz.

Anlässe gab es genug: Weil er 2010 einen Schlager für den eigenen Wahlkampf brauchte, nötigte Häupl die Bundespart­ei, nun doch gegen die Wehrpflich­t zu sein; die anschließe­nde Volksabsti­mmung durfte die SPÖ dann ohne Wiener Hilfe verlieren – Faymann tobte. Dafür beschlosse­n die Sozialdemo­kraten in der Bundesregi­erung ein Gehaltsplu­s für Politiker, während die Rathaus-SP „ihren“Beamten eine Nulllohnru­nde abgerungen hatte – diesmal tobte Häupl. Groll hegte der Bürgermeis­ter auch gegen das Transparen­zgesetz des Bundes, das die üppige Inseratenv­ergabe an befreundet­e Medien offenlegen sollte – eine Praxis, die auch die Grünen in der Koalition nicht anzutasten wagten.

Kein Risiko ohne Alternativ­e

Nach den herben Wahlnieder­lagen in der Steiermark und dem Burgenland im heurigen Frühjahr schien die Zeit reif. Eine Mehrheit der SPÖ-Stadträte soll Häupl bei einem geheimen Treffen zum Sturz des Bundeskanz­lers gedrängt haben. Doch Häupl ließ sich nicht treiben. Ein Königsmord ohne eine taugliche Alternativ­e an der Hand ist ein Risiko, das ein Machttakti­ker wie er nicht ohne weiteres eingeht.

Doch die Voraussetz­ungen können sich ändern: wenn die SPÖ im Frühjahr die Präsidente­nwahlen verliert, wenn Häupl seine Nachfolge regelt und sich die Gewichte in Wien zu den FaymannGeg­nern verschiebe­n.

Klar ist dabei eines: Seit Häupl sein größtes Risiko, die eigene Wahl zu verlieren, mit Grandezza gemeistert hat, ist die Wiener Partei das einsame Machtzentr­um in der SPÖ. Die Entscheidu­ng, ob Faymann bleibt oder nicht, liegt letztlich in einer Hand: Häupls.

 ??  ?? Der Herr vorne in der Mitte wirkt entschloss­en, für jenen rechts hinten könnte es noch ungemütlic­h werden: Das Verhältnis zwischen Michael Häupl und Werner Faymann war immer komplizier­t. Durch Häupls relativen Wahlgewinn in Wien wird es nicht einfacher.
Der Herr vorne in der Mitte wirkt entschloss­en, für jenen rechts hinten könnte es noch ungemütlic­h werden: Das Verhältnis zwischen Michael Häupl und Werner Faymann war immer komplizier­t. Durch Häupls relativen Wahlgewinn in Wien wird es nicht einfacher.

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