Renzi pflügt Italien um
Die Degradierung des Senats ist für Italiens Premier Matteo Renzi ein Instrument für mehr Stabilität beim Regieren. Doch starke Mehrheiten allein waren in Rom schon bisher kein Garant für politische Stabilität.
ANALYSE: Alles neu im politischen System Italiens: Der Senat hat sich selbst entmachtet und zu einer Länderkammer degradiert; das Konstrukt mit zwei gleichberechtigten Kammern ist abgeschafft, Gesetze können künftig nicht mehr blockiert werden, indem sie endlos zwischen den Häusern hin- und hergeschoben werden.
Ihre volle Wirkung entfaltet die Reform erst in Kombination mit dem 2014 beschlossenen Wahlgesetz: Die stimmenstärkste Partei bekommt einen Bonus von mindestens 55 Prozent der Sitze im Abgeordnetenhaus. Der Regierungschef – zurzeit der Linksdemokrat Matteo Renzi – wird also in jedem Fall über eine absolute Mehrheit an Mandaten verfügen.
Damit führen die beiden Reformen – zumindest auf dem Papier – zu einer außerordentlich mächtigen Stellung des Premiers. Renzis Kritiker sehen schon das Gleichgewicht der staatlichen Gewalten in Gefahr und warnen, dass nun wieder genau das drohe, was die Väter der Verfassung von 1948 nach der faschistischen Mussolini-Herrschaft verhindern wollten: ein neuer Duce. Solche Warnungen sind theoretisch nicht völlig aus der Luft gegriffen, aber sie wirken in der heutigen Realität (EU und Nato) doch reichlich überzogen.
Wie mächtig der italienische Regierungschef künftig tatsächlich sein wird, muss sich in der Praxis ohnehin erst noch weisen. Gerade in Italien bedeuten starke Parlamentsmehrheiten noch lange nicht, dass der Regierungschef auch schalten und walten kann, wie er will. Silvio Berlusconi hatte in seinen beiden letzten Amtszeiten (2001–2006, 2008–2011) sowohl in der Abgeordnetenkammer als auch im Senat über komfortable Mehrheiten verfügt und trotzdem kaum etwas zustande gebracht. Der Grund: In seiner Koalition, ja sogar in der eigenen Partei scherten „Dissidenten“wie Pier Ferdinando Casini, Gianfranco Fini oder Angelino Alfano mit ihren Anhängern immer wieder aus und verweigerten dem Cavaliere da und dort die Gefolgschaft.
Es gibt bis jetzt keine Anzeichen dafür, dass eine Verfassungsänderung in der italienischen Politik zu einer Mentalitätsänderung führen und künftig in den Parteien die Abspaltung von „Flügeln“und „Strömungen“verhindern wird – und schon gar nicht im chronisch zerstrittenen Partito Democratico (PD), den Renzi oft nur mit Mühe unter Kontrolle halten kann.
Hinzu kommt eine weitere, potenziell explosive Nebenwirkung der Staatsreform: Bei der Festlegung des Schwellenwerts von 40 Prozent für die Mehrheitsprämie hatte der listige Renzi wohl insgeheim an das Rekordresultat von 41 Prozent gedacht, das seine Partei bei den EU-Wahlen 2014 erzielt hatte. Eineinhalb Jahre später ist der PD zwar immer noch die stärkste Partei, kommt aber in Umfragen nur noch auf gut 30 Prozent.
Offenes Spiel der Kräfte
Die Partei von Renzi müsste daher in die Stichwahl – und zwar gegen Beppe Grillos Protestpartei Movimento Cinquestelle (M5S), die zurzeit mit rund 25 Prozent Platz zwei belegt – mit großem Vorsprung auf die rechte Lega Nord und auf Berlusconis Forza Italia.
Die große Frage lautet also: Für wen würden die Lega- und die Berlusconi-Anhänger in der Stich- wahl stimmen: für Renzis verhasste „Kommunisten“oder doch für den unberechenbaren, mitunter verrückt anmutenden Grillo? Solche Konstellationen könnten dann nicht – wie von Renzi versprochen – zu mehr, sondern zu weniger Stabilität führen. Zu viel weniger.
Das hat Renzi wohl erkannt – und macht daher Druck, seine Reformen so rasch wie möglich umzusetzen. So beschloss die Regierung nun ein Budget mit einem Förderungspaket im Umfang von bis zu 30 Milliarden Euro. Zentrale Punkte sind Steuererleichte- rungen – vor allem die Abschaffung der ungeliebten Immobiliensteuer für den Erstwohnsitz – in Kombination mit neuen Ausgaben. „In Italien ist wieder Wachstum eingekehrt. Diesen Trend wollen wir aktiv unterstützen“, jubelte Renzi am Donnerstagabend.
Im Parlament formieren sich bereits Renzis Gegner. Ihre Kritik: Die Staatsausgaben wurden nicht wie versprochen um zehn, sondern nur um sechs Milliarden Euro gesenkt. Das Staatsdefizit steigt nun mit Renzis Budget um 14,5 Milliarden Euro an. Für sie der falsche Weg zu mehr Stabilität.