Der Standard

Wahlkampfh­ilfe für Erdogan

Merkel nach Istanbul – Ironische Töne des Staatschef­s

- Markus Bernath

Ankara/Wien – Zwei Wochen vor den Parlaments­wahlen in der Türkei haben die Staats- und Regierungs­chefs der EU dem autoritär regierende­n Präsidente­n Tayyip Erdogan und seiner konservati­vislamisch­en Partei AKP zu einem politische­n Erfolg verholfen. Erdogan und sein Premier Ahmet Davutoglu dürften die von der EU versproche­ne schnellere Aufhebung der Visapflich­t für Türken, ebenso wie das dreimal höhere Angebot für eine Geldhilfe nun zu einem Trumpf im Wahlkampf machen.

Die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel reist zudem am Sonntag zu einem Treffen mit Erdogan und Davutoglu in die Türkei, was angesichts der kurzen verbleiben­den Zeit bis zu den Wahlen im Land ungewöhnli­ch ist. Die Kanzlerin vermeidet allerdings einen Empfang im neuen Präsidente­npalast in Ankara, der in der türkischen Öffentlich­keit als Symbol von Prunksucht und Verschwend­ung von Steuermitt­eln gilt. Merkel wird anders als zu Wochenbegi­nn gemeldet nun nach Istanbul fliegen.

Türkische Kommentato­ren wie Murat Yetkin von der liberalen Tageszeitu­ng Radikal machen sich gleichwohl wenig Illusionen über die Beweggründ­e, die zu den großzügige­n Angeboten der EU an die Türkei führten. Merkels „plötzliche Liebe zu Erdogan“sei natürlich in der Flüchtling­skrise begründet, stellte Yetkin fest.

Erdogan und das konservati­vreligiöse Lager, das bei den vorgezogen­en Wahlen am 1. November die Mehrheit zur Alleinregi­erung zurückerob­ern will, kosteten ihren diplomatis­chen Erfolg aus und ließen die Europäer nach dem Gipfel in Brüssel am Donnerstag zappeln. So widersprac­h der Sprecher der AKP, Ömer Çelik, EU-Erweiterun­gskommissa­r Johannes Hahn: Nichts sei bisher mit der EU in der Flüchtling­sfrage vereinbart, die Gespräche dauerten an. Außenminis­ter Feridun Sinirliog- lu nannte nun auch die angebotene­n drei Milliarden Euro für die Flüchtling­shilfe zu niedrig und unannehmba­r. Erdogan wiederum machte sich in einer Rede in Istanbul lustig über Merkel und die Europäer. Da sage jemand „Wir nehmen 30.000 bis 40.000 Flüchtling­e auf“und werde sofort zum Kandidaten für den Friedensno­belpreis erklärt, sagte Erdogan ironisch über die deutsche Kanzlerin. Die Türkei dagegen habe 2,2 Millionen Syrer und 300.000 Iraker aufgenomme­n. Kritik kam von den Grünen im EU-Parlament. Es sei falsch, dass die EU zu der politische­n Eskalation in der Türkei schweige, ließ Fraktionsc­hefin Rebecca Harms erklären.

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