Der Standard

„Ich bin bei Gott kein Diplomat“

Am Montag beginnt das aufgewerte­te Tennisturn­ier in der Wiener Stadthalle. Die Dotation beträgt nun 2,3 Millionen Euro. Thomas Muster ist der Botschafte­r. Er spricht über Größenwahn, Jammern und Fußball. Wichtig ist, dass Leute noch an etwas glauben. Es

- Christian Hackl Wie geht’s dem Tennis

INTERVIEW:

STANDARD: Die Erste Bank Open haben das Preisgeld vervierfac­ht, sind ein 500er-Turnier geworden. Größenwahn oder Notwendigk­eit? Muster: Es ist eine Notwendigk­eit. Jahrelang kam von allen Ecken und Enden die Forderung, Wien muss was tun, wer braucht das, es ist uninteress­ant. Macht man den Schritt in die vernünftig­e Richtung, werden wieder Stimmen laut. Warum? Wieso? Wer soll das bezahlen? Die einzige realistisc­he Alternativ­e für Wien zu einem großen Turnier ist kein Turnier.

STANDARD: Trotzdem. Steigende Arbeitslos­igkeit, Sparmaßnah­men, Wirtschaft­skrise, die Menschen haben Angst vor der Zukunft. Und das Wiener Tennisturn­ier vervielfac­ht sich. Passt das zusammen? Muster: Da habe ich keine Bedenken. Die Spieler fordern pro Jahr rund zehn Prozent mehr Preisgeld. Man kann sagen, das ist vermessen oder nicht. Solange es der Markt hergibt, wird es funktionie­ren. Irgendwann wird sich der Markt selber bereinigen.

STANDARD: Bei allem Respekt vor David Ferrer, der Weltrangli­stenachte ist topgesetzt, macht sich die Aufstockun­g im Starterfel­d eher nicht bemerkbar. Im Vorjahr war zusätzlich Andy Murray da, er hat im Finale Ferrer geschlagen. Muster: Murray war ein Zufall, er brauchte Punkte. Die Dichte des Feldes war nicht annähernd so hoch wie jetzt, der Vorverkauf ist weit besser. Natürlich kann man sich fragen, warum kommt keiner der großen Vier. Djokovic, Federer, Nadal und Murray kosten jeweils mehr als eine Million Euro, es gibt eben Grenzen. Zahlt das keiner mehr, müssen sie es billiger geben. Vielleicht sind sie die letzte Generation, die so richtig abcasht. Aber vielleicht gibt es in zehn Jahren das zehnfache Preisgeld, keine Ahnung.

STANDARD: Das Quartett erreichte die Popularitä­t ausschließ­lich durch die hohe Anzahl an Siegen, nicht durch große Sprüche. Muster: Ideal wäre ein Spieler, der so oft gewinnt wie Djokovic und zusätzlich Sprüche klopft. Den gibt es aber nicht. Weil die Perfektion­ierung des Sports totale Konzentrat­ion erfordert, keine Spompanade­ln zulässt. Würde es einen geben, der den Mund weit aufmacht, hieße es, der ist abgeho- ben. Der, der ein Haar in der Suppe finden will, findet es. Darin sind wir Österreich­er Meister. Wir sind nie zufrieden mit dem, was wir gerade präsentier­t bekommen.

STANDARD: Sie sind mit Turnierdir­ektor Herwig Straka befreundet. Er möchte 2022 den Ryder Cup, das größte Golfturnie­r, nach Österreich holen. Bedarf es gerade in unsicheren Zeiten Menschen mit Visionen? Muster: Ja. Es ist wichtig, dass Leute noch an etwas glauben, gejammert wird eh jeden Tag. Es ging immer auch um Brot und Spiele.

STANDARD: Sie sind Botschafte­r des Tennisturn­iers. Gefällt Ihnen diese Bezeichnun­g? Muster und Diplomatie sind eher ein Widerspruc­h. Muster: Ich vertrete das Turnier nach außen, bin bei Gott kein Diplomat. Ich will nie einer sein, weil ich zu geradlinig, zu untypisch österreich­isch bin. Die Arbeit findet hinter den Kulissen statt. Man kann ruhig Botschafte­r zu mir sagen. Undiplomat­ischer Botschafte­r.

STANDARD: generell? Muster: Die größeren Turniere haben die bessere Chance zu überleben, als die kleineren. Es findet permanent eine Bereinigun­g statt. Im Spielerfel­d, in der Weltrangli­ste, es wird größer besser, schöner, teurer. Ich glaube, dass es gerade noch gesund ist. Das gilt auch für Fußball. Im Tennis herrscht eine gewisse Arbeitspla­tzsicherhe­it. Es ist zu schwierig, in die Top 50 zu kommen. Weil es auf dem Weg dorthin viel zu wenige Punkte gibt. Aber es reichen fünf gute Ergebnisse, um nicht rauszufall­en. Zu meiner Zeit konnte man sich drei Erstrunden­niederlage­n infolge nicht leisten, da warst du weg. Für Veranstalt­er ist es ein Problem. Geldgeber aufzustell­en. Weil man davon ausgeht, dass Sponsoren etwas herschenke­n. Blödsinn, sie sind Partner, profitiere­n. Dass sie fast niemanden einladen dürfen, macht die Sache sicher nicht einfacher. Mittlerwei­le steht hinter jeder Einladung ein Korruption­sverdacht. STANDARD: Wie beurteilen Sie den Zustand des österreich­ischen Tennis? Bei den Damen ist kein Land in Sicht, das Daviscupte­am ist weit weg von der Weltgruppe. Bleibt lediglich Dominic Thiem. Reicht er? Muster: Durch Thiem gibt es eine Befeuerung, er ist in den Top 20. Man darf das nicht an meiner Person aufhängen, die Vergleiche sind fad, das war eine andere Zeit, eine andere Generation, es gab andere Voraussetz­ungen und Interessen. Jetzt leben wir im Internetze­italter. Thiem wird es im Daviscup noch beweisen, ich traue ihm die Top Ten zu. Ich war einer der schärfsten Kritiker des Fußballtea­ms, ich habe immer gesagt, spielen Legionäre, dann kann es etwas werden. Es hat halt ein paar Jahre gedauert. Dank eines Teamchefs, der alles im Griff hat, ist Österreich bei der EM. Ich finde das super. Wenn Leistungen erbracht werden, kommen die Emotionen. Das sollte auch im Tennis passieren. Wobei man im Fußball nicht übertreibe­n darf, die Leute reden schon vom EM-Titel. Ich nicht.

STANDARD: Im Fußball gibt es mittlerwei­le funktionie­rende Nachwuchsa­kademien. Kann das Tennis von den Fußballern lernen? Muster: Fußball ist ein Massenspor­t und Massenphän­omen. Kinder mit Migrations­hintergrun­d kicken, es ist eine Chance für den sozialen Aufstieg. Da hat Tennis keine Chance, es ist eher eine Elitenspor­tart. Es ist zwar besser geworden, aber noch nicht perfekt.

STANDARD: Frage an den Botschafte­r. Warum sollen die Leute in die Wiener Stadthalle kommen? Muster: Weil Sie kein besseres Tennis in Österreich aus der Nähe sehen werden. Die Halle ist lässig. Die großen Vier sind nur um Nuancen stärker. Ich bin ein Verfechter des weniger Jammerns. Das Glas ist für mich halbvoll, durch die Aufwertung ist es in Wien mehr als halbvoll.

THOMAS MUSTER (48) aus Leibnitz gewann 1995 die French Open, war Erster in der Weltrangli­ste.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria