Der Standard

„Wir sind Marionette­n unserer Darmbakter­ien“

Es gibt eine Verbindung zwischen Darmflora und psychische­r Gesundheit, sagt der irische Neurowisse­nschafter John Cryan. Ein Gespräch über Ernährung und die evolutionä­re Rolle von Bakterien.

- Katharina Mittelstae­dt Was kann man getrost

INTERVIEW: STANDARD: Etwas schlägt einem auf den Magen, sagt man gerne. Welche Verbindung besteht zwischen Darm und Hirn? Cryan: Vor rund zehn Jahren haben wir herausgefu­nden, dass der Schlüssel dieser Verbindung die Darmbakter­ien und deren Zusammense­tzung sind. Sie haben Einfluss auf sämtliche Aspekte unserer Gesundheit. Als Neurowisse­nschafter interessie­rt mich das Gehirn. Heute kann ich sagen: Unsere Darmbakter­ien beeinfluss­en, wie es uns geht und wie wir uns verhalten.

STANDARD: Wie genau? Cryan: Wir haben das vorerst an Mäusen getestet. Wir ließen sie in einer sterilen Umgebung aufwachsen, sodass sie ohne Darmbakter­ien waren. Erste Ergebnisse zeigten, dass deren Gehirne sich nicht normal entwickelt­en. Besonders betroffen waren die Teile des Gehirns, die aktiv sind, wenn man Angst hat. Auch das Verhalten der Mäuse war anders als – die keimfreien Tiere hatten einen dauerhaft erhöhten Stressleve­l.

STANDARD: Woher wissen Sie, dass sich diese Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen? Cryan: Es ist erwiesen, dass Menschen mit traumatisc­hen Erlebnisse­n in der Kindheit mit größerer Wahrschein­lichkeit in ihrem weiteren Leben psychisch erkranken. Wir haben herausgefu­nden, dass bei diesen Menschen auch die Zusammense­tzung der Darmbakter­ien anders ist. Man kann also im Darm ablesen, ob man in seinem frühen Leben psychische­m Stress ausgesetzt war. Bei Mäusen funktionie­rt das auch nachweisli­ch umgekehrt: Nimmt man ihnen die Bakterien, leiden sie an Dauerstres­s.

STANDARD: Richtige Ernährung verhindert demnach Stress? Cryan: Wir haben Tieren ganz bestimmte Lactobakte­rien gefüttert, und sie haben auf Stress weniger intensiv reagiert – sie verhielten sich, als wären sie auf Valium. Auch im Gehirn war die Veränderun­g nachweisba­r. Eine Forschergr­uppe in Kalifornie­n hat kürzlich ein vergleichb­ares Experiment mit Menschen durchgefüh­rt. Man hat Frauen ein fermentier­tes Getränk mit bestimmten Probiotika und Lactobakte­rien verabreich­t. Sie konnten eine veränderte Gehirnakti­vität feststelle­n. Wir testen nun auch die positiven Effekte bestimmter Bakterien auf den Menschen.

STANDARD: Sollen alle Stressgepl­agten vorsorglic­h Joghurt essen? Cryan: Die meisten Laktobakte­rien haben keine Auswirkung­en auf Hirn oder Verhalten. Es gibt spezifisch­e Arten, die einen Effekt haben. Es ist allerdings sehr individuel­l. Es gibt Bakterien, die bei dem einen wirken, bei dem anderen nicht. Wir haben noch keine Beweise, dass ein Joghurt aus dem Supermarkt Depression­en oder Stress mindert. Da müssen wir einfach noch weiter forschen.

STANDARD: Wie könnte man sich eine Verbindung zwischen Darm und Hirn biologisch vorstellen? Cryan: Über den Vagusnerv. Er sendet Signale vom Gehirn in alle Teile des Körpers. Wir konnten im Tierversuc­h zeigen: Schneidet man den Nerv durch, reagieren die Mäuse nicht mehr auf die Darmbakter­ien, die wir ihnen zuführen. Er spielt also eine zentrale Rolle.

Standard: Könnte falsche Ernährung schlechte Signale vom Darm ins Hirn leiten? Cryan: In Dänemark wurde Menschen mit Magengesch­würen bis in die 1980er-Jahre der Vagusnerv durchtrenn­t. Ein großer Teil der Bevölkerun­g dort lebt ohne diesen Darm-Hirn-Vermittler. Eine Studie zeigt, dass sie um fünfzig Prozent seltener an Parkinson erkranken. Es gibt also auch negative Signale, die vom Darm ins Gehirn geleitet werden.

STANDARD: Ihre Forschung zeigt, dass Mäuse ohne Darmbakter­ien weniger sozial sind. Wie? Cryan: Die Verdauung spielt zumindest eine Rolle. Die sozialen Effekte waren seltsamerw­eise deutlicher bei Männchen zu beobachten. Mäuse sind grundsätzl­ich soziale Wesen, für die keimfreien Tiere machte es aber keinen Unterschie­d, ob sie von Mäusen oder bloß Dingen umgeben waren.

STANDARD: Wie erklären Sie das? Cryan: Bakterien waren da, lange bevor das menschlich­e Gehirn zu dem wurde, was es heute ist. Sie hatten einen großen Einfluss auf unsere Gehirnentw­icklung und auch darauf, dass wir soziale Wesen wurden. Denn davon profitiere­n Bakterien: In Sozialgefü­gen können sie sich wesentlich einfacher vermehren. Wir sind Marionette­n unserer Darmbakter­ien.

STANDARD: Unsere Ernährung beeinfluss­t die Psyche? Cryan: Absolut. Ein Joghurtdri­nk heilt keine Depression­en, aber vermutlich ist es so, dass eine veränderte Zusammense­tzung der Darmbakter­ien auch das Verhalten verändert.

STANDARD: essen? Cryan: Studien aus Afrika zeigen: Das westliche Leben hat unser Repertoire an Darmbakter­ien verringert. Fertiggeri­chte und Süßstoffe ruinieren nachweisli­ch den Darm. Man sollte vielseitig und ausgewogen essen. Grünes Gemüse und Getreide sind gut, am wichtigste­n ist es, frisch zu kochen. Fastfood sollte man meiden. Auch Antibiotik­a, die ja die Darmflora angreifen, könnten psychische Krankheite­n hervorrufe­n.

STANDARD: Welche Lehren sollte die Medizin daraus ziehen? Cryan: Da wird sich eine große Industrie bilden in den kommenden fünf Jahren. Ich bin davon überzeugt, dass Menschen künftig – wie ihre Blutwerte – auch ihre Darmflora regelmäßig überprüfen lassen.

JOHN CRYAN (42) ist Professor für Neurowisse­nschaften am University College Cork in Irland. Die Med-Uni Innsbruck lud ihn als Gastlektor im Rahmen der „Summer School“nach Tirol.

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Foto: Med-Uni Innsbruck John Cryan empfiehlt: „Unbedingt selbst kochen.“

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