Zwischen Blitz und Klassik
Magnus Carlsen verteidigte in Berlin seinen Titel im Schnellschach. Von ruf & ehn
Unverputzte Wände, hohe Fenster, eine Art Riesenloft, das Berliner Hipsterherzen schneller schlagen lässt. Die Boller-Meierei in Alt-Moabit hat schon viel hinter sich. Zunächst diente die Halle als Porzellanfabrik, danach als Käserei. 1919 wurde hier eines der ersten Kinos in Berlin eröffnet, später ein Kindertheater. Dieser Tage versammelte sich die Schachelite zur Weltmeisterschaft im Schnellschach, einer Art zerebrale Rapidviertelstunde. Nur 15 Minuten (+zehn Sekunden Zugabe pro Zug) stehen für die Partie zur Verfügung.
Als Titelverteidiger kam Magnus Carlsen nach Berlin. Er blieb bei allem Selbstbewusstsein skeptisch: „Schnellschach“, so Carlsen im Gespräch kurz vor Beginn der WM, „ist die schwierigere Disziplin, weil sie zwischen Blitz- und klassischem Schach angesiedelt ist. Man beginnt im klassischen Modus und muss dann im Lauf der Partie in den Blitz-Modus wechseln. Und dieses Switchen ist schwierig. “
Die Sorge war unberechtigt, der Tempowechsel gelang dem Norweger an den drei Spieltagen und in 15 Runden ausgezeichnet. Zehn Partien lang konnte noch der weißrussische Großmeister Sergej Schigalko mit Carlsen mithalten, aber dann erhöhte der Titelverteidiger die Schlagzahl und legte einen Zwischenspurt ein. Nach dem Sieg gegen Iwantschuk in der zwölften Runde reichten drei Remisen zur souveränen Titelverteidigung. Den zweiten Platz erreichte der russische Blitzexperte Jan Nepomnjaschtschi, punktgleich mit Teimur Radjabow aus Baku und dem Kubaner Leinier Domínguez Pérez. Wladimir Kramnik, dessen Performance man in Berlin mit Spannung erwartete, blieb ungeschlagen und landete auf dem sechsten Rang. Er erzielte zwar fünf Siege, aber musste doch auch zehn Unentschieden zulassen. Das geschlagene Feld liest sich wie ein Who’s who des Spitzenschachs: Exweltmeister Viswanathan Anand nur auf Rang 25, WorldcupGewinner Sergej Karjakin auf 19, Alexander Grischuk wurde 32., Levon Aronian gar nur 43.
Vallejo Pons – Carlsen
Berlin 2015
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0–0 Le7 6.Te1 Diesmal weder die Berliner Mauer noch das modische Marshall-Gambit, sondern ein guter alter klassischer Spanier. 6… b5 7.Lb3 d6 8.c3 0–0 9.h3 Sb8 Eine Idee des hypermodernen Schachdenkers Gyula Breyer. Der Springer wird über d7 sofort wieder ins Spiel kommen. 10.d4 Sbd7 11.c4 c6 12.Sc3 b4 13.Sa4 c5 14.d5 Nun ist das Zentrum völlig verriegelt, und beide Parteien müssen sich um Spiel auf den Flügeln bemühen. 14… Te8 15.a3 Weiß hat einen einfachen Plan: Zum gegebenen Zeitpunkt die a-Linie öffnen und mit Schwerfiguren zu besetzen. 15… a5 16.Lc2 Sf8 Carlsens Gegenspiel am Kö- nigsflügel scheint viel diffuser und mühsamer zu sein. 17.b3 Sg6 18.Sb2 Ld7 19.Le3 Ein neuer Zug. Nakamura versuchte gegen Carlsen in Medias 2011 die Umgruppierung 19.Sh2 h6 20.Sf1 Sh7 21.Se3 mit baldigem Remis.
Durch Abtausch zweier Leichtfigurenpaare schafft Carlsen Platz für seine Schwerfiguren am Königsflügel. 22.Sxg5 Lxg5 23.axb4 Konsequenter war 23.Lxg5 hxg5 (der Damentausch 23... Dxg5 24.Dxg5 hxg5 25.Tea1 begünstigt Weiß) 24.Tea1. 23... Lxe3 24.Dxe3 axb4 Ja nicht 24... cxb4? 25.Sd3 und Schwarz leidet am rückständigen Ba5 und muss c4c5 fürchten. 25.Tea1 Txa2 26.Txa2 Weiß hat die a-Linie besetzt. 26... Sf4 27.Sd3 Dg5 28.Sxf4 exf4 Schwarz muss die Damen auf dem Brett halten, um sein Spiel durchsetzen zu können. Zu einer Verluststellung führt 28... Dxf4? 29.Dxf4 exf4 30.Ta6. 29.Dd3 De5 30.Dd1 Kf8 31.Kf1 Lc8 32.f3 Nicht viel bringt 32.Ta7 Te7 33.Ta8 Te8. 32... Dg5 33.Da1 Besetzt die a-Linie und droht sich auf der siebenten und achten Reihe einzunisten. 33... Dg3 34.Ld1 Was kann Schwarz dem entgegenhalten? 34… h5! Ein überaus tiefer und gefährlicher Plan, von Carlsen in Sekundenschnelle gefunden. Der Bauer geht nach h4 und dann droht Lxh3, falls Weiß die Verteidigung vernachlässigt. 35.Ta7 h4 36.Da5? Weiß erkennt die Gefahr nicht und glaubt mit 37.Dc7 in Vorteil zu kommen. Doch einzig mit 36.Da2 f5 37.Da5 fxe4 38.Dc7 Dg6 39.fxe4 wäre er im Spiel geblieben.
Das böse Erwachen, plötzlich brennt der Hut. 37.gxh3 Jetzt kommt 37.Da2 Lc8 38.Df2 h3! 39.Dxg3 fxg3 40.gxh3 Lxh3+ 41.Kg1 f5 schon zu spät. 37... Dxh3+ 38.Ke1 Dg3+ 39.Kd2 Flüchtet. 39.Kf1 scheitert an 39… h3 40.Da2 f5! 39... h3 Wer kann diesen Bauern aufhalten? 40.Dc7 Oder 40.Ta8 Df2+ 41.Kc1 h2 42.Txe8+ Kxe8 43.Da8+ Ke7 mit sicherem Fluchtweg für den König. 40... Dg6 41.Lc2 Die letzte Falle. 41... h2 42.e5 Dg2+ 43.Kc1 h1D+ 44.Kb2 Dh5 45.Dxd6+ Kg8 46.De7! Eine kleine Überraschung mit nur wenigen Sekunden auf beiden Uhren.
Dieser Spaßverderber beendet die Partie sofort. 47.Kxc2 Txe7 0–1