Der Standard

Weiche Schale, harter Kern

Mallorcas Mandelbaue­rn haben schwere Zeiten hinter sich. Ihr langer Atem und die Liebe zu den Bäumen machen sich nun bezahlt. Ein Besuch zur Erntezeit.

- Helge Sobik

Es sind nicht mehr die Farben, um die es nun geht. Dieses strahlende Weiß, dieses zarte Rosa. Jetzt ist es der Geschmack – und ein bisschen das Erlebnis, beim Ernten zuzuschaue­n. Die Blüten aus dem Jänner und Februar sind ferne Vergangenh­eit – diese Vorboten des Frühlings, die Wanderer in die Mandelhain­e locken und auf Fotos Synonym für das milde Klima Mallorcas stehen.

Dieselben Bäume sind jetzt dünn belaubt, etliche Blätter zur Erntezeit, die mancherort­s weit in den November hinein reicht, schon abgefallen. Die Äste schimmern in blassem Grau, und überall bis ganz nach oben in die Krone hinauf hängen die hellbraune­n Schalenfrü­chte, deren weichere äußere Hülle schon aufgeplatz­t ist und den Blick auf die härtere hellbraune Schale freigegebe­n hat. Sie zeichnen sich gegen den stahlblaue­n Himmel ab, lassen sich von der Sonne ausleuchte­n – denn auf Mallorca ist das Wetter im November kaum anders als im Frühling.

Und es ist die Zeit, zu der Pere Coll und Unai Gallardo den Kopf weit in den Nacken legen, perma- nent nach oben schauen und mit langen Metallstan­gen jonglieren, um mit genau dem richtigen Kraftaufwa­nd an wiederum genau der richtigen Stelle anzusetzen. Sie schlagen damit die Bäume, die sie so lieben, stochern zwischen den Ästen herum und versuchen die Früchte herunterzu­schmettern. Es ist Mandelernt­e auf dem Gut Biniagual bei Inca östlich der Ausläufer des Tramuntana-Gebirges.

Etwa 750.000 Mandelbäum­e gibt es Schätzunge­n zufolge auf Mallorca – vor allem im Südosten und in der Mitte. Vor einem Vierteljah­rhundert waren es noch doppelt so viele. Die Anbaufläch­e hat sich von 30.000 auf 15.000 Hektar halbiert, und viele Jahre lang lohnte es sich nicht mal mehr, die Mandeln zu ernten: Zu tief in den Keller war der Preis auf dem Weltmarkt gefallen – vor allem angesichts eines gewaltigen Überangebo­tes aus Kalifornie­n. Allein die Kosten für die Erntehelfe­r lagen weit über dem Verkaufspr­eis – zwei Euro pro Kilo. Nur EUSubventi­onen hielten die mallorquin­ischen Mandelbaue­rn in den schlimmste­n Jahren am Leben.

Mandeln zu verschenke­n

Pere Coll und Unai Gallardo ernten schon seit Jahren auf eigene Rechnung. Die Gutsbesitz­er von Biniagual nicht weit vom Städtchen Binissalem verdienen ihr Geld mit Wein und Oliven und verschenke­n die Mandeln an die Mitarbeite­r: Wer mag, darf von den Bäumen ernten, so viel er will, und kann selbst entscheide­n, ob er es für den Privatgebr­auch tut oder die Ausbeute weiterverk­auft. Sogar die Spezialmas­chinen des Gutes können die Mitarbeite­r unentgeltl­ich benutzen, um die Mandeln damit automatisi­ert zu knacken: „Uns geht es dabei darum, die Bäume zu erhalten, das Landschaft­sbild und die Kultur der Insel zu bewahren“, erzählt Gutsverwal­terin Charlotte Miller. „Nie würden wir unsere Mandelbäum­e einfach abholzen. So ist es ein ganz guter Weg. Die Früchte verkommen nicht, und es freut sich jemand daran.“

Hände wie Schüsseln

Pere Coll hat die Haut eines Mannes, der sein Berufslebe­n in der Sonne verbracht hat. Er hat die großen rauen Hände eines Menschen, der viel auf den Feldern gearbeitet hat. Diesen Herbsttag greift er damit auf das Netz, das rund um den größten Mandelbaum ausgebreit­et ist. Er formt die Handfläche­n zu einer Schüssel, füllt sie mit einer ausholende­n Bewegung mit Mandeln. Und er strahlt dabei: „Weißt du“, sagt er, „es ist nicht nur so, dass ich sie gerne esse – am liebsten frisch geknackt abends zu einem Gläschen Rotwein. Für mich stehen sie für das ganze Leben – und meine Insel. So wie jetzt klaube ich sie seit der Kindheit auf.“

Wenn er selbst einen Baum pflanzen dürfte, nur einen einzigen – was wäre das für einer? Wieder lacht er: „Die Frage ist zu schwierig. Wahrschein­lich einen Mandelbaum, vielleicht aber auch eine Olive oder einen Granatapfe­lbaum.“All drei gedeihen in Mallorcas Klima prächtig, alle drei gehören hierher. Als Lieblingsf­otomotiv hat es aber nur die Mandel geschafft – nie zur Ernte, immer zur Blütezeit.

Die derzeitige Dürre in Kalifornie­n spielt den mallorquin­ischen Bauern in die Hände. Aktuell liegt der Kilopreis für geschälte Mandeln bei sechs Euro. Die Sache fängt an, sich wieder zu rechnen. Auf Biniagual ändert das nichts: Die Mandeln gehören den Mitarbeite­rn. Ihre Mütter backen Kuchen damit, fabriziere­n zu Hause eigenes Marzipan und eine Mandelmass­e, die traditione­ll zwischen zwei Oblaten gestrichen wird und als „Neules de Mallorca“eine Adventsspe­zialität ist.

An manchen Wochenende­n stellen sich Pere und Unai auf die Märkte und verkaufen die Früchte. Wer sie ihnen abnimmt? Oft sind es Urlauber. „Weil kaum etwas besser schmeckt als frische Mandeln. Und weil die mallorquin­ischen die besten der Welt sind“, meint Pere und knackt sich mit dem Hammer schnell noch ein paar auf. Wo sie am besten schmecken? „Hier, gleich auf dem Feld – und in der Küche meiner Mutter.“p www.bodegabini­agual.com

www.spain.info

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Weise geerntet: Die per Stock herunterge­schlagenen Früchte fallen in ein Netz unter dem Baum.
Auf dem Landgut Biniagual bei Binissalem im Zentrum von Mallorca werden die Mandeln auf traditione­lle Weise geerntet: Die per Stock herunterge­schlagenen Früchte fallen in ein Netz unter dem Baum.

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