Pathos, Fleiß und Wertarbeit vor 9/11
Choreografin Sasha Waltz hat im Tanzquartier Wien ihren Klassiker „Körper“gezeigt
Wien – Natürlich hat der Körper ein Problem. Nicht zuletzt, weil er sich selbst und seinesgleichen unterworfen ist. Das bringt Komplikationen – auch, weil es keine allgemein gültige Körperdefinition gibt. Daher erscheint es einigermaßen größenwahnsinnig, ein Tanzstück einfach Körper zu nennen, wie das die renommierte deutsche Choreografin Sasha Waltz (52) tut. Warum? Das hat sie gerade in der Halle E des Tanzquartiers Wien gezeigt.
Die im Jänner 2000 in Berlin uraufgeführte Arbeit für 13 Tänzerinnen und Tänzer ist Teil einer Trilogie zum Körperthema, die noch die Choreografien S, ebenfalls aus dem Jahr 2000, und noBody (2002) umfasst. Diese Arbeiten haben Waltz, die damals gemeinsam mit Thomas Ostermeier die Schaubühne am Lehniner Platz leitete, zu einer der in Deutschland meistgelobten Tanzschaffenden gemacht. Aus durchaus nachvollziehbaren Gründen.
Auch in der veränderten Fassung von heute wirkt reichlich Pathos in Körper. Doch was die Darsteller auf der oft düsteren Bühne vorführen, zeigt auch Ironie und eine – gemäßigte – Zerrissenheit. Diese Mischung erzeugt eine Emotionalität, die nahelegt, dass Waltz gewisse Stimmungen aus dem romantischen Born der deutschen Kulturgeschichte schöpft. Wesentliche Motive extrahierte sie aus der experimentellen Choreografie: von Meg Stuart über Jérôme Bel und Xavier Le Roy bis hin zu Benoît Lachambre (mit dem sie zuvor auch zusammengearbeitet hatte). Außerdem leitete sie so einiges von Pina Bauschs Tanztheater ab. All das goss sie mit dramaturgischer Umsicht und choreografischem Geschick in das interkulturell glasierte Gefäß ihrer Kompanie Sasha Waltz & Guests.
Retterin des Tanzes
Das damals von der Radikalität vor allem des choreografischen Konzeptualismus schwer verstörte Fachpublikum sah in ihr eine Retterin des Tanzes und dankte mit viel Unterstützung. Ohne Fleiß, Wertarbeit und ein exzellentes Management hätte sie ihre Karriere trotzdem nicht geschafft: Waltz wurde gleichsam zum Audi der deutschen Choreografie. Für Körper legte sie nicht nur Hand an die Karosserie der leiblichen Erscheinung, sondern bearbeitete auch das menschliche Innenleben. Also das Fleisch in seiner Getrieben- und Geworfenheit, in seinem geistigen Hader mit sich selbst und mit den Geschäften, die sich daraus schlagen lassen.
Wer ein großes Thema anpackt, sucht sein Glück in der Verkürzung. Dem entgeht auch Sasha Waltz nicht. Daher besteht der Körperbegriff hier vor allem aus Knautschzonen. Dem Publikum kann nichts passieren. Die Musik von Hans Peter Kuhn gibt einen eindrucksvollen Sound her, und die Tänzer beweisen Stärke und Persönlichkeit. Waltz entblößt sie auch dann nicht, wenn sie sprechen, außer sich geraten oder nackt auftreten.
Doch solcherart Gutgemeintes wirkt in der Geburtsstadt von Psychoanalyse und Wiener Aktionismus allzu beruhigend. Davon abgesehen wird deutlich, dass Körper in der Zeit vor 9/11 entstanden ist: vor der Finanzkrise und vor dem zur Hölle mutierten Arabischen Frühling. In den vergangenen 15 Jahren hat sich die Auffassung des Körpers auch in seiner digitalen und medialen Erschließung dramatisch verändert. Sasha Waltz sollte daher aus der Neuaufnahme des Stücks eine Überarbeitung generieren. Andernfalls bleibt ihr Körper bestenfalls historisch.