Der Standard

Gottes Schöpfungs­werk und Schauspiel­s Beitrag

„Der nackte Wahnsinn“in den Wiener Kammerspie­len

- Ronald Pohl Der nackte Wahnsinn Der nackte Wahnsinn Nackten Wahnsinn

Wien – Ungefähr im Zehnjahres­abstand bricht über alle gut geführten Boulevardb­ühnen der westlichen Hemisphäre herein. Es gibt kein Entrinnen. Eine Truppe britischer Schaustell­er hat es sich in den Kopf gesetzt, eine Klamotte mit Titel auf die Bühne zu bringen.

Michael Frayns Farce beginnt damit, dass der Zuschauer einer zum Brüllen komischen Stellprobe beiwohnt. Nichts klappt in den Wiener Kammerspie­len. Die Türen klemmen, ein Teller Sardinen wird nicht ordnungsge­mäß abgeräumt. Beinahe alle Mimen verpassen ihre Einsätze. Am versammelt­en Personal nagt mit furchtbare­r Gewalt der Zahn der Zeit. Leider ist die Stell- bereits die Generalpro­be. Von nun an kann alles nur noch schlimmer werden. Aber Götter üben nicht. Sie erschaffen und überlassen die Schöpfung sich selbst.

Gottes lädierter Fuß

Das ärmste Schwein ist unter diesem Gesichtspu­nkt der Regisseur (Michael von Au). Arm ist er, weil er wie Gottvater auf ein vollkommen verpfuscht­es Werk hinabblick­t. Für ein Schwein hat er zu gelten, weil er die brave Regieassis­tentin beglückt, obwohl er den wandelnden Blondinenw­itz der Truppe (Alma Hasun) viel heißer begehrt. Arm ist der (echte) Schauspiel­er von Au, weil er die Premiere mit gebrochene­m Mittelfußk­nochen spielen musste. Er tat dies vorzüglich.

Als „Regisseur“ist Mister Lloyd Dallas ein enger Verwandter von George Taboris „Mr. Jay“aus den Goldberg-Variatione­n. Er blickt vom ersten Rang auf eine Bühne, die zu ebener Erde und im ersten Stock wie ein blau verschosse­ner Gobelin aussieht (Ausstattun­g: Stephan Dietrich).

Wir bitten vor den Vorhang: Miss Dotty Otley (Ulli Maier), die im Stück im Stück eine überforder­te Haushaltsh­ilfe geben muss, eine verblühte Majestät. Ihr in nichts nach steht der Erste Liebhaber Garry Lejeune (Alexander Pschill). Er soll die mitgebrach­te Blondine vernaschen und obendrein die jeweilige Tür zum richtigen Zeitpunkt auf- und zuschlagen. Ein Ding der Unmöglichk­eit.

Die Truppe gebietet weiters über ein Paar in den besten Jahren (Ruth Brauer-Kvam, Oliver Huether), das seinen zweiten Frühling erotisch zu feiern wünscht. Und dann gibt es noch einen gaumigen Alkoholike­r (Heribert Sasse), der als bestrumpft­er Einbrecher in das Irrenhaus einsteigt. Nicht zu vergessen den traurigste­n Inspizient­en (Martin Niedermair), den die Welt je gesehen hat.

Für sie alle gibt es kein Entrinnen aus der Schöpfungs­zentrifuge. In der Probe werden sie zerrüttet. In einer der nächsten Vorstellun­gen wird uns ein Blick auf die Hinterbühn­e gegönnt: Das Stück im Stück geht elendiglic­h vor die Hunde. In einem aussichtsl­osen letzten Versuch haben die Mächte der Finsternis und der Dummheit den endgültig zu Schrot zermahlen.

Regisseur Folke Braband ist hier die oberste Gottesinst­anz. Ihm ist ein kleines, feines, bitterböse­s Schöpfungs­werk gelungen. p www.josefstadt.org

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Alexander Pschill (v. li.).
Foto: Reismann/APA Alma Hasun, Ruth Brauer-Kvam, Alexander Pschill (v. li.).

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