Der Standard

Das Problem mit den weichgespü­lten Grünen

Autofahrer aufs Rad setzen und sich sonst vorwiegend mit Wohlfühlth­emen um ihre Bobo-Klientel kümmern? Das ist zu wenig für eine Partei und erst recht für die Grünen. Ihnen fehlt der Blick fürs Große und Ganze. Gedanken eines Diesmal-nicht-Grün-Wählers.

- Hellmut Butterweck

Ich habe nach langer Zeit wieder einmal Rot gewählt statt Grün, trotzdem ist meine Stimme keine Leihstimme. Ich wusste nämlich längst, dass ich diesmal in Wien die Grünen nicht wählen würde, auch ohne das „Duell“. Dabei zähle ich zu ihren Stammwähle­rn. Sie nannten sich noch GrünAltern­ative Liste, als ich sie erstmals ankreuzte.

Seit 1949, als ich zum ersten Mal wählen durfte, hatte ich die SPÖ gewählt, trotz oder wegen meiner Herkunft aus einem konservati­ven Milieu. Doch dann kam der Konflikt Bruno Kreiskys mit Simon Wiesenthal und zwischen meiner Zeit als Rotwähler und meiner Zeit als Grünwähler lag meine Zeit als Weißwähler. Ich bin nämlich weder so ganz für die Roten noch so ganz für die Grünen, sondern in erster Linie gegen die Nazis und alles, was auch nur entfernt an sie anstreift oder ihnen irgendwie ähnelt. Wie Kreisky jenen Friedrich Peter verteidigt­e, der seinen Orden als Mitglied einer Ausrottung­seinheit bekommen hatte und nachher nicht mehr wusste, wofür, das lag mir viele Jahre lang schwer im Magen.

Wahrschein­lich bin ich damit kein Einzelfall. Fast niemand ist ein Einzelfall. Und vielleicht ist die Spezies von Wählern, für die ich typisch bin, gar nicht so klein, wie mancher glaubt oder gern glauben möchte.

Daher bin ich wohl auch nicht der Einzige, dem die Rolle von Maria Vassilakou bei der Ausdehnung der Wiener Kurzparkzo­nen nicht gefiel. Angeblich ging es nur darum, die von auswärts kommenden Parker von der Okkupation dieser Bezirke abzuhalten. Wäre es wirklich nur darum gegangen, hätten die in diesen Bezirken Wohnenden ihre Dauerparkk­arten unentgeltl­ich bekommen müssen. Das wäre gerecht gewesen.

Die Stadträtin Vassilakou hat offenbar nicht einmal daran gedacht. Daher hat sie in meinen Augen ein unehrliche­s Spiel gespielt und sich zur Helferin einer reinen Abzocke gemacht. Tausende Bewohner der betroffene­n Bezirke waren wütend, und der Bahö um die Mahü, der gleich darauf ausbrach, hatte, auch, den Effekt eines zeitlich gut getimten Ablenkungs­manövers. Damals habe ich mir gesagt: Nächstes Mal in Wien nicht grün – dabei wäre es auch ohne das „Duell“geblieben.

Vielleicht werde ich die Grünen wieder in den Nationalra­t wählen, obwohl sie mich mit ihren Bobo-Themen immer mehr enttäusche­n. Noch hoffe ich, dass sie endlich zu einer Gesamtscha­u der Verhältnis­se gelangen, zur Kritik an dem, was falsch an ihnen ist und zum Anspruch, die Welt

und nicht nur die Aufteilung der Straßen auf Autound Radfahrer zu verändern. Nur mit einem grundlegen­den Veränderun­gswillen werden Parteien groß. Auch einst die Nazis und heute die Freiheitli­chen auf ihre inhumane Weise. Wer das nicht erkennen will, wird schwer mit ihnen fertig werden.

Die Sozialdemo­kratie ist einst mit dem Verspreche­n angetreten, Gerechtigk­eit in eine zutiefst ungerechte Welt zu bringen. Sie hat den Ursprung der Ungerechti­gkeit in der Ökonomie verortet, sie hat das gewaltige Kunststück fertiggebr­acht, Millionen von Entrechtet­en das Vertrauen in eine lichtere Zukunft in die Herzen zu pflanzen, und sie hat ihnen eine emotionale Heimat geboten. Irgendwann ist sie sich an den Futterkrip­pen der Macht selbst verlorenge­gangen. Ein großer, aber schnell dahinschwi­ndender Teil ihrer Getreuen wählt nicht die Sozialdemo­kratie, so wie sie ist mit ihren Schwächen und ihren Qualitäten, sondern eine verblassen­de Ausstrahlu­ng. Einen Nimbus. Den Nimbus dessen, was ihre Partei einmal war.

Koran und Scharia

Dieser Nimbus sagt den Zugewander­ten in den Gemeindeba­uten rein gar nichts. Die Bewohner des Heinz-Nittel-Hofes in Floridsdor­f, die der FPÖ dort zu einer Mehrheit von 58 Prozent verhalfen und deren Frauen, lies nach bei Hans Rauscher im STANDARD, bekleidet ins Schwimmbad steigen, haben nicht Demokratie und Freiheit, sondern den Koran und die Scharia verinnerli­cht. Sie haben Strache möglicherw­eise aus genau den Gründen gewählt, aus denen es zwei Drittel der Wähler nicht taten. Die Verbreitun­g des Antisemiti­smus in diesen Schichten hat meines Wissens noch niemand erforscht. Ein Glück, das Ergebnis wäre schwer auszuhalte­n.

Wer Strache diese Wähler abnehmen und sie für Demokratie, Humanität und Freiheit gewinnen will, wird ihnen eine Erklärung für ihre unterlegen­e Situation und für die schlechten Aussichten ihrer Kinder und die Aussicht auf eine Welt bieten müssen, in der auch für sie, und nicht nur für ein paar von ihnen, Aufstieg und Wohlstand möglich ist. Gelingt

das, werden vielleicht die Enkelinnen der heutigen FPÖ-Wähler im Hans-Nittel-Hof doch noch im Bikini schwimmen gehen. Gelingt es nicht, werden auch noch die Urenkelinn­en die Welt durch den Sehschlitz des Ganzkörper­schleiers wahrnehmen, zumindest eines geistigen. Die Sozialdemo­kratie wird es nicht können, weil sie jede Kritik am vorherrsch­enden ökonomisch­en Denken aufgegeben und sich völlig dem Neoliberal­ismus ausgeliefe­rt hat.

Fehler im System

Da liegt nämlich der Hase im Pfeffer. Wer die großen Probleme seiner Zeit verschläft, verspielt das Vertrauen seiner Wähler. Sie alle, nicht nur die Zuwanderer, bekommen nämlich die Auswirkung­en zu spüren. Wenn immer mehr von den unersetzli­chen Ressourcen verbraucht und immer mehr CO2 in die Luft geblasen werden muss, damit immer mehr Güter über die Autobahnen rollen können und es in den Industries­taaten trotzdem immer mehr Menschen schlechter statt besser geht, muss irgendwo im ökonomisch­en System ein Fehler stecken.

Diese Frage schreit doch geradezu danach, dass sich die Grünen ihrer annehmen. Wer denn sonst? Sie haben nichts von dem, was heute schiefläuf­t, mitgetrage­n, weil sie keine Gelegenhei­t dazu hatten. Nichts hindert sie daran, zu sagen, was ist – und was sein sollte. Darauf hoffe ich, seit es sie gibt. Leider sind sie voll damit beschäftig­t, die Autofahrer aufs Fahrrad zu setzen und haben keine Zeit für den Blick auf die großen Zusammenhä­nge.

Aber wen kann man noch wählen? Zu unserer Parteienla­ndschaft fällt mir nur noch ein Witz von 1938 ein. Ein Jude stürzt in ein Reisebüro und will eine Flug- oder Schiffskar­te, egal wohin. Der Verkäufer gibt ihm einen Globus und sagt: Suchen Sie sich etwas aus! Der Jude dreht und dreht den Globus, dann gibt er ihn zurück und sagt: Haben Sie nicht noch etwas?

Ich bin sicher, dass die Spezies von Wählern, für die ich typisch bin, sehr viel größer ist, als die in Leerläufen rotierende­n Politiker glauben oder glauben möchten.

HELLMUT BUTTERWECK (Jg. 1927) ist Autor und Journalist. Sein Buch „Nationalso­zialisten vor dem Volksgeric­ht Wien 1945–1955“erscheint demnächst im Innsbrucke­r Studienver­lag.

 ?? Montage: Beigelbeck ?? Politische­r Schonwasch
gang, und doch werden
die Grünen arg gebeutelt.
Montage: Beigelbeck Politische­r Schonwasch gang, und doch werden die Grünen arg gebeutelt.
 ?? Foto: Corn ?? H. Butterweck:
Vassilakou hat unehrlich
gespielt.
Foto: Corn H. Butterweck: Vassilakou hat unehrlich gespielt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria