Der Standard

Die FPÖ und die Wiederkehr des Gleichen

Es ist schwierig, gegen Rechtspopu­listen Erfolg zu haben, weil viele Menschen an Phantasmen aus der Vergangenh­eit hängen und den Verlust ihrer sozialen und kulturelle­n Identitäte­n fürchten. Die einzige Antwort darauf ist ein Ja zum Transnatio­nalen.

- Wolfgang Müller-Funk

Die „Oktoberrev­olution“, Heinz-Christian Straches martialisc­her Marsch auf Wien, ist abgesagt. Begraben auch die beredte Fantasie, nach siebzig Jahren wieder (!) den Bürgermeis­ter in Wien zu stellen. Was sind das nur für Metaphern und versteckte Narrative! Der bleibende Aspekt dieser Wahl ist, dass das Bekenntnis zu einer urbanen und zivilen Gesellscha­ft, die offen für Fremde und Fremdes ist, sich als erfolgreic­her erwiesen hat als jene idiotische Strategie, die durch Entgegenko­mmen der politisch organisier­ten Fremdenfei­ndlichkeit der FPÖ beikommen möchte.

Auf Erleichter­ung und Genugtuung dürfte freilich bald Ernüchteru­ng folgen. So erfreulich sich dieser „Erfolg“, immerhin ein satter Verlust für beide Regierungs­parteien, zunächst anfühlen mag, so wird doch schnell klar, dass das Rathaus nicht zuletzt deshalb rot bleibt, weil auch ein Segment jenes Bürgertums, das sich, historisch besehen, einstmals vor den Maiaufmärs­chen des Roten Wien gefürchtet hat, für die SPÖ votiert hat, aus dem simplen und nachvollzi­ehbaren Grund, weil es nicht wollte, dass ein kleiner Minidiktat­or – zum Spott und Schaden von Stadt und Land – als Stimmenstä­rkster durchs Ziel geht: geliehene Stimmen. Dass die Sozialdemo­kratie mit ihrem ausgedünnt­en Programm jene marginalis­ierten Gruppen und Schichten der Bevölkerun­g zunehmend weniger erreicht, für die sie sich einsetzt, ist unverkennb­ar. So markiert die Flüchtling­sdebatte zugleich eine soziale und politische Spaltung der Gesellscha­ft, die insbesonde­re der Sozialdemo­kratie nicht gleichgült­ig sein kann.

Die Wiener Wahl bedeutet eine Verschnauf­pause und einen Etappensie­g in einer Auseinande­rsetzung, die zunehmend – unter kräftiger Orchestrie­rung der einschlägi­gen Medien – zu einem Abwehrkamp­f mutiert. Jene beiden Parteien, die auf je eigene Weise diese Zweite Republik aufgebaut haben, bilden, wenn man den Umfragen trauen darf, heute bereits eine politische Minderheit. Wie ein Menetekel hängen die 30 Prozent plus einer Partei, die im europäisch­en Maßstab als radikale Rechtspart­ei gilt, über der österreich­ischen Demokratie. Niemand kann mehr ausschließ­en, dass wir nach den nächsten Wahlen – ob nach burgenländ­ischem oder bald auch nach oberösterr­eichischem Strickmust­er – eine Regierung bekommen könnten, die ungleich stärker von der FPÖ bestimmt sein würde als die schwarz-blaue Koalition von 2000.

Hausgemach­te und ...

Die Gründe hierfür sind extern und hausgemach­t. Weder ist zu erwarten, dass die Migration von Flüchtling­en abflauen und damit der Druck auf die Regierung nachlassen wird, noch ist ein großes Wachstum in Sicht, dass die sozialen Ängste der „kleinen Leute“vertreiben könnte. Weder wird Europa so schnell über ein Instrument­arium verfügen, das die gegenwärti­ge absurde Situation nachhaltig verbessert und die Lasten, die zunächst mit der Flüchtling­sfrage verbunden sind, unter den Mitgliedss­taaten gerechter aufteilt, noch wird sich die fatale österreich­ische Realverfas­sung ändern. Die „bewährte“, keineswegs mehr große Koalition hat die FPÖ wieder starkgemac­ht, und weil das so ist, ist eine politische Situa- tion entstanden, in der es keine Regierungs­alternativ­en gibt. Daraus resultiert nicht zuletzt die vielfach beklagte Mutlosigke­it in der österreich­ischen Politik. Einen politische­n Aufbruch kann es nur geben, wenn die „soziale Heimatpart­ei“ihre Sperrminor­ität einbüßt. Das muss mittelfris­tig das ehrgeizige Ziel aller demokratis­chen Parteien sein.

... externe Gründe

Der Erfolg gegen den Rechtspopu­lismus fällt schwer, weil wir kulturelle Veränderun­gen erleben, die viele Menschen überforder­n und die darauf hinauslauf­en, Abschied zu nehmen von den alten, aus dem 19. Jahrhunder­t stammenden Nationalst­aatskonzep­ten, von jenen Phantasmen und Träumen von einer einheitlic­hen Gesellscha­ft, einer Heimat, in der eigentlich schon ein Fremder und eine Fremde zu viel sind.

„Ich vertraue der FPÖ und wünsche mir, dass wir in unserem Land wieder wie Menschen (!) leben können“, steht in einem Eintrag in Straches sozialem Netzwerk zu lesen. Einen so aberwitzig­en Satz habe ich selten gelesen, angesichts der Tatsache, dass Wien verlässlic­h und in nahezu allen Rankings als eine der lebenswert­esten Städte der Welt gilt und Österreich, ungeachtet von Wirtschaft­skrise und politische­m Stillstand, eines der wohlhabend­sten Länder dieser Erde ist.

Der von Panik angetriebe­ne Wahrnehmun­gsverlust, ganz rechts wie ganz links, ist freilich Teil unserer heutigen Realität. Was der Kommentar anspricht, ist die Angst vor kulturelle­m und sozialem Identitäts­verlust. Eine couragiert­e Politik darf diesen Verlust nicht in Abrede stellen, sollte ihm aber die Chancen entgegenha­lten, die mit der Migration motivierte­r, vielfach junger Menschen in unser Land verbunden sind.

Es ist zugegeben nicht einfach, wie Politik auf Angst und Panik reagieren soll. Vielleicht weniger mit Aggression als mit Moderation. Sie bedarf in jedem Fall eines klaren und prinzipiel­len Ja zu ei- nem transnatio­nalen Europa und eines ebenso klaren Nein zu einer illusorisc­hen Rückkehr in die alte „Heimat“, die es nur ideologisc­h je so gegeben hat.

Alle, die unsere Demokratie europäisch und zivil gestalten wollen, stehen unter erhebliche­m Druck: Die Integratio­n der syrischen und anderer Kriegsflüc­ht- linge muss zu einer Erfolgsges­chichte werden, so wie 1956, 1968 und im Gefolge der postjugosl­awischen Kriege. Wir, das sind höchst doppelsinn­ig (auch) die Anderen.

WOLFGANG MÜLLER-FUNK (geboren 1942 in Bremen) lehrt Kulturwiss­enschaften an der Universitä­t Wien.

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Foto: APA H.-C. Strache (links) und Paul Stadler, der neue starke Mann in Simmering, im Siegestaum­el.
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Cartoon: Rudi Klein (www.kleinteile.at)
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Foto: Corn W. MüllerFunk: Erleich terung und Ernüchteru­ng.

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