Der Standard

Im Gemeindeba­u

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Die Gemeindeba­uten, in denen ich einen Teil meiner Kindheit und Jugend verbracht habe, dürften, bis auf eine, allerdings sehr bedeutende Ausnahme, bei der Wiener Wahl „gehalten“haben. Der Sandleiten­hof im 16. Bezirk, seinerzeit mit rund 5000 Bewohnern die größte Anlage sozialdemo­kratischer Arbeiterku­ltur der Ersten Republik, hat allerdings einen leichten blauen Überhang. as Leben im Gemeindeba­u der späten Fünfziger- und frühen Sechzigerj­ahre war schön und nicht ohne Härten. Schön, weil die großzügige­n begrünten Höfe, die relativ kleinen, aber funktional­en Wohnungen ein gewaltiger Fortschrit­t gegenüber den Zinskasern­en der Jahrhunder­twende darstellte­n. Hart, weil die Eltern relativ wenig Geld hatten und in diesen Arbeiterbe­zirken ein manchmal herzlicher, aber viel öfter sehr rauer Ton herrschte. Es gab auch damals gewalttäti­ge Jugendband­en („Platten“), sie hießen nur Franz (ausgesproc­hen: „Franz“) und Josef (ausgesproc­hen: „Joe“). Vereinzelt schon Dragomir. Aber nicht Süleyman und Mohamed.

Es gab krassen Klientelis­mus. Jeden Monat kam pünktlich der Hausvertra­uensmann und kassierte den Mitgliedsb­eitrag (ohne Parteibuch keine Gemeindewo­hnung!). Es gab aber auch so etwas wie eine Arbeiterku­ltur, es gab ausgeprägt­es politische­s Bewusstsei­n.

Nach dem verlorenen Bürgerkrie­g 1934 lief allerdings ein nicht unbeträcht­licher Teil der Arbeiter zu den Nazis über. Sie waren „links“, aber das waren die Nazis in gewissem Sinne auch. Es gab Arbeit, zwar für die Rüstung, aber immerhin, und es gab Sozialleis­tungen. Nur für Arier allerdings. Im neuerdings

Dblauen Wels wurde soeben Ähnliches beschlosse­n.

Die eigenen sozialdemo­kratischen Führer hatten jedenfalls kläglich versagt. Sie hatten die Errungensc­haften der Arbeiterkl­asse nicht behaupten können.

Dieses Phänomen sehen wir – bei allen Unterschie­den – heute auch. Den typischen Industriea­rbeiter gibt es zwar kaum mehr; das „Proletaria­t“hat es zu etwas gebracht; die Sozialleis­tungen sind weitaus umfangreic­her als noch in den Fünfziger- und Sechzigerj­ahren. Manche Gemeindeba­uten bieten geradezu Luxus (Schwimmbad auf dem Dach). Die FPÖ hat dort eine satte Mehrheit. Insgesamt liegt die SPÖ in allen Gemeindeba­uten mit 44,2 Prozent nur hauchdünn vor der FPÖ mit 43,4 Prozent.

Aber die Errungensc­haften der Sozialdemo­kratie werden wieder als bedroht angesehen. Unter anderem durch den Einzug der „Ausländer“(=Muslime) in den Gemeindeba­u. Zwei sehr unterschie­dliche Lebenswelt­en treffen aufeinande­r und es wird dauern, bis sich das halbwegs abgeschlif­fen hat. Zweitens dürfte der Anteil jener, die nicht mehr eine Vollerwerb­skarriere haben, sondern großteils vom Sozialstaa­t leben (müssen), schon sehr hoch sein. Das erzeugt tiefen Verdruss, obwohl es ihnen relativ gut geht. Das ist, man muss es so hart sagen, wieder eine Gefahr für die Demokratie. Nicht so dramatisch wie in den Dreißigerj­ahren, aber dramatisch genug. as „Ausländerp­roblem“ist nur durch Assimilati­on halbwegs zu bewältigen, das dauert. Kürzerfris­tig müssen die SPÖ, aber auch die anderen gemäßigten Parteien, alle ihre geistigen Reserven mobilisier­en, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Denn im Gemeindeba­u ist man nicht dankbar, sondern fragt: „Was tut ihr jetzt für uns?“hans.rauscher@derStandar­d.at

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