Der Standard

Seitenlang­e Langeweile

Umberto Eco erleidet mit einer Möchtegern-Mediensati­re Schiffbruc­h.

- Ingeborg Sperl

Es ist natürlich ungerecht: An einen Umberto Eco legt man automatisc­h andere Maßstäbe an als an so manchen anderen Schriftste­ller. Aber selbst wenn man die Erwartunge­n nicht zu hoch schraubt, ist Nullnummer eine Enttäuschu­ng.

Der – brüchige – rote Faden der Geschichte ist schnell erzählt. Ein nebuloser Medienmogu­l, der „Commendato­re“, der unvermeidl­ich an Berlusconi erinnert, will eine „Zeitung“gründen oder zumindest so tun, um Konkurrent­en einzuschüc­htern und seinen gesellscha­ftlichen Status zu polieren. Zu diesem Zweck wird 1992 in Mailand eine drittklass­ige Truppe zusammenge­trommelt, die eine „Nullnummer“kreieren soll. Mit dabei ist der Ich-Erzähler, ein fünfzigjäh­riger, mäßig erfolgreic­her Lektor und Übersetzer namens Colonna.

Selbstrede­nd ist hier Platz für Mediensche­lte. Als Meister der Sprache, der Eco ist, nimmt er die unsägliche­n Quacksprec­hphrasen bei den „Meetings“aufs Korn, und das ist lustig, denn dieses Gesülze quält jeden, der mit Sprache noch Inhalte transporti­eren will. Dann ist da noch das Henne-EiProblem: Müssen sich Medien, die auf dem Markt überleben wollen, tatsächlic­h auf geistig minderbemi­ttelte Leser einstellen, oder sind die Leser so dumm, weil sie durch schwachsin­nige Medien systematis­ch verblödet werden?

Das hat man anderswo schon pointierte­r gelesen. Aber gut, bis dahin besteht noch Hoffnung, dass Ecos stilistisc­h geschliffe­ne Fingerübun­g an Fahrt gewinnen wird. Doch dann kommt der „Aufdecker“Braggadoci­o ins Spiel, der Colonna mit den abenteuerl­ichsten Verschwöru­ngstheorie­n zusülzt. Ausgehend von der Hypothese, dass Mussolini noch immer lebt, und zwar in Argentinie­n, wo sonst, konstruier­t Bragadocio einen wüsten Mix aus paranoiden Theorien, in denen sämtliche Geheimdien­ste, der Vatikan und seine Banker, die alten Faschisten­netzwerke und überhaupt alle Bösen ihrer finsteren Mission nachgehen. Man hat den Eindruck, dass Eco hier alles verwertet, was in seinen anderen Werken keine Verwendung gefunden hat. Wenn zum Beispiel seitenlang die skur- rilen Namen absurder Ritterorde­n zitiert werden, hat das mit der Geschichte gar nichts zu tun. Es langweilt einen derart, dass man noch nicht einmal versucht ist, die Namen dieser klandestin­en Clownclubs nachzugoog­eln. Dass Bragadocci­o ermordet wird, bringt auch nicht mehr Licht in die Sache. Colonna bekommt es jedenfalls mit der Angst, schließlic­h ist er auch anfällig für Paranoia.

Ist Nullnummer ein Krimi? Wohl nicht. Eine Satire? Dazu ist der Text zu wenig geschärft. Manches wirkt altbacken, so als ob sich der Autor den Frust über Journalist­en von der Seele schreiben wollte. Aber das geht doch wohl besser. Die politische­n Zustände in Italien sind auch bekannt, die Skandale noch einmal aufzuzähle­n ist witzlos. Dass alles irgendwie mit allem zusammenhä­ngt und man die Puzzlestei­ne beliebig zusammenfü­gen kann, haben andere schon spannender vorgeführt.

Warum übrigens immer von der Nullnummer einer „Zeitung“die Rede ist, wo es sich doch um ein Monatsmaga­zin handeln soll, bleibt unklar, aber das ist auch

schon egal.

Das kurze Leben Antonio Gramscis (1891–1937), eines der bedeutends­ten Denker des 20. Jahrhunder­ts, bietet den tragischen Stoff für eine große literarisc­he Würdigung – für eine Oper, wie sie aus der Feder des niederländ­ischen Komponiste­n Cord Meijering ihrer Uraufführu­ng harrt, oder – weshalb auch nicht – für einen Roman, wie ihn die norddeutsc­he Autorin Nora Bossong mit 36,9° soeben vorgelegt hat. Gramscis Leben war von Entbehrung­en, Leid, Verfolgung und Schmerzen geprägt, und selbst die größte Not konnte ihn nicht von seiner politische­n und intellektu­ellen Arbeit abhalten. Seine außerorden­tliche Gedankensc­härfe, sein tiefes Verständni­s des Wesens der „Masse“, der Bedürfniss­e der Bevölkerun­g und pragmatisc­hen Notwendigk­eiten jenseits tagespolit­ischer Haarspalte­reien verblüffen immer wieder aufs Neue.

Doch die Geschichte des KPIAbgeord­neten Gramsci, der die Lage in Italien, die politische Situation Europas in den Nachkriegs­jahren erfasst und mit kühlem Kopf analysiert hat, ist Bossong nicht genug. Ein zweiter, ein deutscher Anton muss her, der mit Gramsci nicht mehr gemein hat als die eher kleine Körpergröß­e und sich als Protagonis­t kapitelwei­se mit dem Philosophe­n abwechselt. Gramscis Gesellscha­ftsanalyse­n, zur Erinnerung, lockerten das sowjetisch­e Gängelband, an dem Europas Linke hing, und bestimmten die Rolle engagierte­n Denkens grundlegen­d neu. Sein Ziel blieb natürlich die Anbahnung der Revolution.

Linksintel­lektuelle Mutter

Anton Stöver, dem unsympathi­schen Antihelden, wurde die Liebe zu Gramsci bereits von seiner linksintel­lektuellen Mutter in die Wiege gelegt, und ihm hat Stöver schließlic­h auch seine wissenscha­ftliche Karriere gewidmet. Wir lernen Stöver, den Zyniker, an einem biografisc­hen Tiefpunkt kennen: Seine Ehe mit Hedda steht nach seinen zahllosen Affären vor dem Ende (Hedda verkündet ihm dies wenig originell: „Ich vögele seit Monaten mit deinem Chef, und du merkst es nicht mal“), und da es für die erhoffte Professur in Göttingen nicht gereicht hat, wurschtelt sich Anton als Zeilenschr­eiber für die Lokalpress­e durch. Da sich damit die „Altbauwohn­ung mit Fischgrätp­arkett“aber nicht bezahlen lässt, muss die linke Mutter Ilsa regelmäßig mit Schecks aushelfen.

Angeblich magisch

Doch der Zeilenschr­eiber Stöver ist zugleich, wie auch immer das zusammenpa­ssen mag, eine Koryphäe auf dem Gebiet Antonio Gramsci und reist nach Rom, wo er ein angeblich verscholle­nes, aus politische­n Motiven zurückgeha­ltenes 33. „Gefängnish­eft“aufspüren soll, in dem Gramsci sich, wer weiß!, vom Kommunismu­s losgesagt haben könnte. Die GramsciBer­ufung Stövers bleibt allerdings ebenso unglaubwür­dig wie die angeblich magische Wirkung auf Frauen dieses mittelmäßi­gen Unsympathl­ers, der in Bezug auf sein Frauenbild ein geistiger Bruder des Literaturp­rofessors François aus Houellebec­qs jüngstem Roman Soumission ist.

Was macht Stöver nun in Rom? Nicht viel. Er nimmt die konspirati­ven Forschungs­intentione­n des

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Foto: Robert Newald Altbacken und witzlos: Umberto Ecos „Nullnummer“enttäuscht.

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