Chamäleon, interstellar
Er ist der Godfather aller androgynen Wesen, authentischer Ingeniosus aller Schwestern und Brüder. In einer Ära aber, in der sich jede dritte unbegabte Kaulquappe als spastisch zuckendes Starlet erbärmlich hypersexuell oder transgender gibt, um auf- und oder aus dem Rahmen zu fallen, muss man, der Einordnung willen, zurückblicken. Anfang der 1970er-Jahre war die Welt im Wesentlichen schwarz-weiß – realiter und im übertragenen Sinn. Bunte Vögel waren rar. Abseits des aalglatten Show-Biz, hochglanzpolierter Las-Vegas-Scheiße und unrasierter Hippies war der Mainstream dem kollektiven Bilderbuch des Normierten geschuldet. In diesem Vakuum explodierte David Bowie. Entgegen heute üblichen Attitüden der Provokation war ihm diese selbstverständlich. Bowie verinnerlichte die Verweigerung, war Dandy, intergalaktischer Space-Cowboy, war melancholischer Weißclown, fiel vom Himmel, visitierte im Maßanzug die Unterwelt, gefiel sich als Outcast, Verletzlicher, als „angry young man“. Oszillierend zwischen aristokratischer Lässigkeit und Punk-Rock. Mit Geschlechterrollen spielend gab er androgyne Fabelwesen, Sexmaniac und abgehoben Entrückte. Authentisch in Noblesse durch die ihm geschenkte Physiognomie, die sphärisch-ätherische Schönheit personifiziert. Genial wechselte er Gesichter und Emotionen, pulverisierte Kategorien wie hetero oder homo, befreite Obsessionen und inspirierte ganze Generationen. Mit Unbeirrbarkeit erkundete er Galaxien des Unerwartbaren. Die Anfänge dieser interstellaren Reise wurden von Mick Rock minutiös dokumentiert. Das phänomenale an der nun exhumierten Serie ist, dass das kunstvolle Opus immer noch kreativer und kräftiger wirkt als vieles heute bemüht Gekünstelten. Ashes to ashes, Staub zu Staub! Auch wenn sein letzter relevanter Song schon lang her ist, ein Fixstern im Pop-Olymp bleibt Bowie bis in alle Ewigkeit.
Mick Rock, „The Rise of David Bowie. 1972–1973“. € 500,– / 310 S., signierte, auf 1972 Exemplare limitierte Ausgabe. Taschen 2015