Der Standard

Roter Machtkampf reloaded

Wer dachte, dass die Ukraine „ohnehin irgendwie zu Russland gehört“, wird bei vielen Gesprächen im Land eines anderen belehrt und erkennt, welche Rolle die ukrainisch­e griechisch-katholisch­e Kirche für die Identität spielt.

- LOKALAUGEN­SCHEIN: Hans Rauscher

Nach Michael Häupls relativem Wahlsieg wird es für Kanzler Werner Faymann nicht einfacher: Der mächtige Wiener SPÖ-Chef will der Bundespart­ei inhaltlich und personell Druck machen. Die Nervosität der Faymann-Getreuen ist groß.

Die junge Frau studiert Politologi­e an der Ukrainisch­en Katholisch­en Universitä­t (UKU) in Lemberg. Sie war beim Protest auf dem zentralen Kiewer Platz (Maidan) dabei: „Wenn es notwendig ist, gehen wir wieder hin.“

Die Massenprot­este (rund 500.000) dauerten vom Dezember 2013 bis Februar 2014 und endeten im Sturz und der Flucht des russlandhö­rigen Premiers Viktor Janukowyts­ch. Der Protest richtete sich gegen den überrasche­nden Beschluss von Janukowyts­ch, das Assoziieru­ngsabkomme­n mit der EU abzusagen (auf Druck von Russlands Präsident Wladimir Putin). Aber auch gegen Korruption, Polizeiwil­lkür, Restbestän­de an Sowjetment­alität – und Putins Versuch, die Ukraine zu seinem Vasallenst­aat zu machen.

Hier, in einem Hörsaal, sitzt die Generation, die „nach Europa“will und für Putins „Eurasien“-Konzept nur Verachtung übrig hat. „Wir wollen die Gesellscha­ft Schritt für Schritt ändern. In Richtung Moderne“, sagt ein Student.

In Kiew selbst, in unmittelba­rer Nähe zum Maidan, ist eine Gedenkstät­te für die fast 100 getöteten Demonstran­ten eingericht­et. Fotos, ein großes Kreuz aus Grablichte­rn, im Hintergrun­d eine typische Holzkapell­e. Viele Blumen, ein ständiger Fluss von Trauernden. Drei junge Burschen, die dabei waren, erzählen. Die Polizei feuerte in die marschiere­nden Demonstran­ten. Unbekannte mit Scharfschü­tzengewehr­en schossen von den Dächern. Der eine junge Mann, ein Sportstude­nt, erhielt eine Kugel ins Bein „Wir hatten Angst, aber irgendwann haben wir die Angst verloren“. Im Anschluss an das Treffen mit den jungen „Maidan-Veteranen“feiern Priester der ukrainisch­en griechisch­katholisch­en Kirche in der kleinen Gedenkkape­lle eine Messe.

Szenenwech­sel. Ein Militärsee­l- sorger der ukrainisch­en griechisch-katholisch­en Kirche berichtet vom Einsatz in den umkämpften Donbass-Gebieten in der Ostukraine. Auf dem Tisch liegen Memorabili­en, fast könnte man meinen, Reliquien der Kämpfe: ein geborstene­r Stahlhelm, Patronengu­rte, verbrannte Uniformtei­le. Der Militärsee­lsorger hat auch eine erbauliche Geschichte zu erzählen: „Wir saßen in unserem Bunker unter schwerem Beschuss von Stalinorge­ln. Als wir herauskame­n, war ringsum alles zerstört, nur unser großes Kreuz aus Birkenstäm­men war unversehrt.“

In den zahlreiche­n Gesprächen in Kiew und Lemberg während einer einwöchige­n Informatio­nsreise (organisier­t von Kathpress) wird eines sehr deutlich: Es gibt starke Kräfte in der Ukraine, die eine klare Abgrenzung vom russischen Einfluss wünschen. Die diversen „Realpoliti­ker“im Westen, die Putin zugestehen wollen, die Ukraine in seiner geopolitis­chen Einflusssp­häre zu halten, oder die Verschwöru­ngstheoret­iker, die behaupten, der Maidan sei ein Werk des CIA, sollten das diesen Ukrainern lieber nicht ins Gesicht sagen.

Es wird auch klar, dass die ukrainisch­e griechisch-katholisch­e Kirche eine entscheide­nde Rolle bei der Bildung einer ukrainisch­en Identität und der nationa- len Unabhängig­keit innehat – ähnlich wie im kommunisti­schen Polen die katholisch­e Kirche.

Die ukrainisch­e griechisch-katholisch­e Kirche machte ursprüngli­ch die Spaltung im Mittelalte­r in die römische und die orthodoxe Ostkirche mit. Seit 1593 ist sie aber mit der römisch-katholisch­en uniert, doch unter Beibehaltu­ng des byzantinis­chen Ritus (auch darf der niedere Klerus heiraten).

Glaube ist wieder interessan­t

Die Sowjets versuchten nach 1945, die Kirche mit der russischor­thodoxen gewaltsam zu fusioniere­n. Ab da war sie eine Kirche im Untergrund unter stalinisti­scher Verfolgung. Eine Leidensges­chichte, die erst mit der ukrainisch­en Unabhängig­keit endete. Seither nimmt die Kirche einen deutlichen Aufschwung. Der drückt sich unter anderem im Bau einer modernen Kathedrale in Kiew aus. Der erst 35-jährige Großerzbis­chof Swjatoslaw Schewtschu­k: „Millionen unserer Gläubigen wurden ins Exil getrieben, Millionen kamen in den Gulag. Aber: Der christlich­e Glaube wird heute für viele wieder interessan­t, weil wir für eine gerechte Gesellscha­ft kämpfen und die moralische­n Prinzipien inmitten des Systems der Lüge hochhalten. Wir sind ein sehr aktiver Teil der Zivilgesel­lschaft.“

Die religiösen Verhältnis­se in der Ukraine sind komplex. Es gibt außer der griechisch-katholisch­en sozusagen zwei russisch-orthodoxe Kirchen: eine nach dem Moskauer Patriarcha­t und eine nach dem Kiewer Patriarcha­t. Man musste der Ukraine ein eigenes Patriarcha­t, eben das von Kiew, zugestehen. Die Haltung beider zu den Separatist­en in der Ostukraine unterschei­det sich deutlich. Der Erzbischof des Kiewer Patriarcha­ts, Hilarion: „Wir nennen das eine russische Aggression, das Moskauer Patriarcha­t einen Bürgerkrie­g. Russland hat immer wieder versucht, ein russisches Imperium zu bauen.“

Schwer gelitten haben beide Zweige der Orthodoxie in der Ukraine. Das prachtvoll­e, blaugolden schimmernd­e SanktMicha­els-Kloster (Kiewer Patriarcha­t) ist eine Replik des ursprüngli­chen Baus, der unter Stalin gesprengt wurde. Ebenso die Uspenski-Kathedrale des Kiewer Höhlenklos­ters (Moskauer Patriarcha­t), das von den Nazis zerstört wurde. Neu aufgebaut wurden sie nach der Unabhängig­keit 1991.

Die Ukraine ist ein Land der Gedenkstät­ten für eine blutige Geschichte. Zwei Dutzend für die ermordeten Juden, etwa in Babyn Jar (30.000 Menschen von den Nazis erschossen). Ein riesiges sowjeti- sches Denkmal des Sieges über die Nazis am Ufer des Dnjepr in Kiew. Ebenfalls hoch über dem Fluss das „Holodomor“-Memorial, das an Stalins bewusst herbeigefü­hrte Hungersnot 1932/33 mit drei bis sechs Millionen Toten gemahnt. Gemeinhin gilt diese unvorstell­bare Grausamkei­t als „Klassenkam­pf“gegen die wohlhabend­eren Bauern, die Kulaken. „Nein“, sagt eine Kuratorin der Gedenkstät­te, „das war ein Genozid am freiheitsw­illigen ukrainisch­en Volk.“

Aufbauarbe­it ist mehr als notwendig in der Ukraine. Die wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten sind groß genug, auch ohne den Krieg in der Ostukraine, der jetzt zu einer fragilen Ruhe gekommen ist.

Am schlimmste­n sei eigentlich die noch verblieben­e Mentalität, einerseits der alte Bürokratis­mus des Homo sovieticus, anderersei­ts die geradezu endemische Korruption, vor allem bei der Polizei und in der Justiz, sagt ein Vizerektor der katholisch­en Universitä­t Lemberg. Das verlangt nach dramatisch­en Maßnahmen: Die Polizei wurde nahezu vollständi­g ausgetausc­ht.

Und wie steht es mit der Loyalität der russischst­ämmigen Bevölkerun­g? Ein hochrangig­er westlicher Beobachter meint: „Die sehen, dass ihnen Putin nur ein quasisowje­tisches Modell mit Armut und Rückständi­gkeit zu bieten hat.“

„Dann stürzt Putin“

Der Vizerektor der UKU in Lemberg ist gemäßigt optimistis­ch: „Diese Generation ist in einer gewissen Freiheit aufgewachs­en.“Aber im Grunde könne das Putin nicht zulassen: „Wenn die Ukraine ein erfolgreic­hes Modell wird, dann wird das ein Vorbild auch für Russland.“

Drastische­r argumentie­rt der Gouverneur der Region Lemberg, Oleg Synyutka: Russland ziele auf die Destabilis­ierung der Ukraine ab, um zu zeigen, dass ein Land mit europäisch­en Werten nicht erfolgreic­h sein kann. „Wenn das Modell Ukraine gelingt, wird Putin stürzen.“Man werde freilich in der Ukraine das Gefühl nicht los, dass die europäisch­en Politiker „Angst vor Russland haben und die europäisch­en Werte nicht unterstütz­en“.

Man wird sich in Europa daran gewöhnen müssen, dass die Ukraine sehr auf Eigenständ­igkeit bedacht ist und nicht „irgendwie doch zu Russland gehört“. Der frühere griechisch-katholisch­e Kardinal Lubomir Husar, der die Kirche praktisch wiederaufg­ebaut hat: „Nach dem Maidan zweifelt niemand mehr an unserer Zukunft. Wie sie aussieht, liegt an uns.“Siehe auch Ukraine-Schwerpunk­t

im ALBUM

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Die Harmonie der roten Alphatiere beim Wahlkampfa­uftakt der Wiener SPÖ war eher punktuell.
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gegen die russlandhö­rige Regierung von Viktor Janukowyts­ch.
Die „Himmlische­n Hundert“, eine Gedenkstät­te für die Opfer des Protests auf dem Kiewer Maidan gegen die russlandhö­rige Regierung von Viktor Janukowyts­ch.
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Foto: Rau Lubomir Husar, Exkardinal der ukrainisch­en katholisch­en Kirche.

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