Innerislamische Schuldsuche
Terroristen als Nachfahren der radikalen „Khawarej“
Wien – König Abdullah II. von Jordanien verwendet in seinem im STANDARD publizierten Gastkommentar für die Terroristen des „Islamischen Staates“das arabische Wort „Khawarej“: die, wie er schreibt, „Gesetzlosen des Islam, die nichts als Hass und Angst verbreiten“. Er verweist mit diesem Begriff auf eine innermuslimische Debatte über die Natur der jihadistischen Extremisten, die diese in ihrer Tradition außerhalb des Islam ansiedelt. Sie waren die ersten Radikalen.
Das Narrativ scheint sich in der islamischen Welt durchzusetzen, dass die heutigen Terroristen ihre Erben sind. Damit soll natürlich auch der Mainstream-Islam und die sunnitisch-salafistische Tradition entlastet werden.
Die frühislamischen „Khawarej“– das Wort ist der Plural von Kharij – sind die „Ausgezogenen“, die die islamische Gemeinschaft verlassen haben. Auf Deutsch ist der Begriff Kharijiten üblich.
Man könnte sagen, dass die Kharijiten die dritte Gruppe neben Sunniten und Schiiten waren, die sich in den Jahren nach dem Tod des Propheten Mohammed 632 über die Frage spalteten, wer die islamische Gemeinschaft führen sollte. Der sunnitische Islam verfolgte dabei einen politisch-pragmatischen Ansatz – der Herrscher sollte Muslim und fähig sein –, während die Schiiten eine dynastische Lösung zugunsten der Nachkommen des Propheten favorisierten: mit Ali Ibn Abi Talib, dem Schwiegersohn und gleichzeitig Cousin Mohammeds. Das Wort Schiiten geht zurück auf Schiat Ali, die Partei Alis.
Eine komplizierte Geschichte kurz zusammengefasst: Nach dem gewaltsamen Tod des dritten Kalifen, Uthman, im Jahr 656, wurde Ali zwar der vierte Kalif, gleichzeitig aber brach sein Konflikt mit der Familie Quraysh/Umayya, die das Kalifat für sich wollte (und Ali beschuldigte, den Mord an ihrem Angehörigen, Uthman, nicht genügend zu verfolgen), voll aus. Ali zeigte sich an einem gewissen Punkt der Geschichte kompromissbereit – und da wandte sich eine Gruppe seiner bisherigen Anhänger gegen ihn, sie „zog aus“: Ali wurde 661 auch von einem von ihnen ermordet.
Der beste Muslim
Die Kharijiten waren in der Führungsfrage rigide: Der beste Muslim, egal wer das war, sollte die Gemeinde führen. Ihre Radikalität äußerte sich insofern, dass, wer ihrer Auffassung widersprach, kein Muslim mehr war. Das hatten sie tatsächlich mit modernen extremistischen Strömungen gemeinsam, die „takfir“– einem Muslim das Muslimsein absprechen – praktizieren.
Die historischen Kharijiten begründeten einzelne rebellische Gemeinschaften – wo jedoch gegen ihren eigentlichen Grundsatz bald Dynastien entstanden. Auch die Radikalität ließen sie hinter sich: So hat etwa der ibaditische Islam im Oman kharijitische Wurzeln, und er ist keinesfalls radikal. (guha)