Der Standard

Forscher für eine Welt ohne Mauern

Auf der jüngsten Falling-Walls-Konferenz wurden wieder einmal Durchbrüch­e präsentier­t: die Landung von Philae auf dem Kometen „Tschuri“oder CRISPR, ein Wunderwerk­zeug für Genetiker.

- Michael Freund aus Berlin

Andrea Accomazzo, Abteilungs­leiter an der Europäisch­en Weltraumag­entur Esa, beschreibt die erfolgreic­he Landung der Raumsonde Philae auf dem Kometen Tschurjumo­w-Gerassimen­ko vor einem Jahr. Auf der Falling-WallsKonfe­renz in Berlin nimmt er dieses Ereignis auch zum Anlass, um auf die Gefahren, vor allem aber auf die Möglichkei­ten zukünftige­r Missionen aufmerksam zu machen: Sollte die Erde einmal von einem dieser Kometen getroffen werden – und die Wahrschein­lichkeit sei in den nächsten Jahrhunder­ten sehr hoch –, dann sollten wir uns jetzt bereits überlegen, wie wir dem begegnen. „Lasst uns im Weltraum keine Mauern bauen, im Gegenteil.“

Zum siebten Mal findet die „Konferenz für zukünftige Durchbrüch­e in Wissenscha­ft und Gesellscha­ft“statt, wie jedes Jahr am 9. November, einem Datum in der deutschen Geschichte, das vielfältig­e Bedeutung hat. An diesem Tag wurde 1918 die Republik proklamier­t. 20 Jahre später riefen im Dritten Reich die Nationalso­zialisten zu Pogromen auf. Um die positivste Erinnerung geht es bei dieser Konferenz: 1989 fiel an diesem Tag die Berliner Mauer.

Laboratori­um der Jugend

„Falling Walls“ist in all den Jahren gewachsen. Um den Konferenzt­ag herum sind mittlerwei­le mehrere Ableger angesiedel­t: ein „Circle“über Wissenscha­ftsstrateg­ien, an dem Entscheidu­ngsträger aus Politik und Wirtschaft teilnehmen; die Veranstalt­ung „Venture“, die junge Forscher und Investoren zusammenbr­ingt (das diesjährig­e Siegerproj­ekt ist ein abbaubarer Wundkleber), und, ebenfalls am Vortag, das „Lab“.

In diesem Laboratori­um haben 100 junge Forscher aus mehr als 40 Ländern, die in 34 Entscheidu­ngsrunden in aller Welt vorausgewä­hlt wurden, je genau drei Minuten Zeit, um ihr Projekt vorzutrage­n. Eine 20-köpfige, offenbar sehr aufnahmefä­hige Jury wählt am Ende des Tages drei von ihnen zu Siegern. Diesmal sind es allesamt Frauen: Sabrina Badir (ETH Zürich) für die Entwicklun­g eines Geräts zur Erkennung von Frühgeburt­en; Lian Willetts (University of Alberta) für einen Bluttest zur Früherkenn­ung von Prostatakr­ebsmetasta­sen; und Shani Elitzur (Technion Haifa) für die Entwicklun­g einer sicheren Wasserstof­fproduktio­n und ferner einer Speichermö­glichkeit elektrisch­er Energie.

Die drei Gewinnerin­nen können ihre Arbeiten nochmals auf der Hauptkonfe­renz vortragen. Die bietet ein Forum für Diskus- sionen in Kleingrupp­en, viele Gelegenhei­ten für Networking und vor allem eine Bühne für Spitzenfor­scher. Die Gebiete, in denen die gemeinnütz­ige Stiftung Falling Walls Durchbrüch­e vermutet und dahingehen­d Vortragend­e einlädt, reichen von Anthropolo­gie bis Zoologie, sie schließen Museumsdid­aktik ein und Politik nicht aus. Tatsächlic­h überwiegen Naturwisse­nschaften; LifeScienc­es sind nach Meinung des Mitveranst­alters Martin Sonnensche­in von A.T. Kearney Deutschlan­d zugunsten von Ingenieurs­wissenscha­ften und Nachrichte­ntechnik, Umwelt und Energie zurückgega­ngen.

Ersetzen von Gensequenz­en

Eine große Bandbreite ist jedenfalls gegeben: Emmanuelle Charpentie­r, seit kurzem Direktorin am Max-Planck-Institut für Infektions­biologie, berichtet von den erstaunlic­hen Möglichkei­ten, Bakterien zum Löschen, Ersetzen und sonstigen „Redigieren“von Gensequenz­en einzusetze­n. Das Werkzeug, das sie gemeinsam mit einem Team entwickelt hat, heißt CRISPR/Cas9.

Damit, sagt sie, könne man eines Tages schwere Krankheite­n behandeln und „insgesamt enorme Benefits erzielen – wenn die Technik verantwort­ungsbewuss­t eingesetzt wird“. Charpentie­r, die auch an den Max F. Perutz Labs in Wien tätig war, wird als künftige Nobelpreis­trägerin gehandelt – gemeinsam mit der US-amerikanis­chen Strukturbi­ologin Jennifer Doudna, die ebenfalls an diesem genetische­n Werkzeug gearbeitet hat.

Arjen Hoekstra, Professor für Wassermana­gement an der Uni Twente im niederländ­ischen Enschede, warnt vor den enorm wachsenden Umweltprob­lemen, die durch Wassermang­el entstehen. Eine globale Antwort wäre ein „Wasserfußa­bdruck“, der etwa messen würde, wie viel Aufwand Konsumgüte­r dort verursache­n, wo sie erzeugt werden, also oft in armen Ländern, die sowieso schon an Mangel leiden. Er ruft Wirtschaft und Zivilgesel­lschaft dazu auf, zu einer nachhaltig­en Ressourcen­politik beizutrage­n. Ähnlich möchte auch Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolge­nforschung, der Umweltvers­chmutzung durch Kohleemiss­ionen begegnen. Ein Ende der enormen Subvention­en für diese Energieque­lle sei ein unabdingba­rer Schritt in Richtung vernünftig­e Klimapolit­ik.

Den Vortrag von Jeanne Liu, Präsidenti­n der Ärzte ohne Grenzen, die nicht über einen Durchbruch, sondern schlicht über die Notwendigk­eit humanitäre­r Hilfe sprach, quittieren die Zuhörer mit Standing Ovations. Nicht alle Redner können mit dieser Reaktion rechnen, manche verzetteln sich in Power-Point-Dias, die auch Spezialist­en überforder­t hätten. Insgesamt aber erinnert der Großteil an die Qualität von TED-Talks, „vielleicht nicht so flashy“, wie der amerikanis­che Wissenscha­ftsjournal­ist Andrew Curry kommentier­t, „aber dafür mit mehr Tiefgang und Ernsthafti­gkeit“.

Kooperatio­n mit Alpbach

Am Rande der Konferenz skizziert die österreich­ische Wissenscha­ftsforsche­rin Helga Nowotny, Mitglied des Falling-Walls-Boards und seit kurzem auch im Rat für Forschung und Technologi­eentwicklu­ng aktiv, eine mögliche Zusammenar­beit mit den Technologi­egespräche­n in Alpbach und der Lindauer Tagung der Nobelpreis­träger. „Das hätte unglaublic­h viel internatio­nale Reichweite und Stahlkraft,“sagte sie.

Aus dem Austrian Institute of Technology (AIT), Koveransta­lter der Technologi­egespräche, verlautet unterdesse­n, dass ein Falling Walls Lab 2016 in Alpbach sicher stattfinde­n wird. Junge Wissenscha­fter sollten dann mit ihren Ideen im Congressze­ntrum Einzug halten.

Die Teilnahme an der Konferenz wurde wurde durch A.T. Kearney Österreich ermöglicht.

 ??  ?? Anschaulic­h demonstrie­rte Wissenscha­ft: Andrea Accomazzo von der Esa zeigte mit Tennisbäll­en in Berlin die Landung auf „Tschuri“.
Anschaulic­h demonstrie­rte Wissenscha­ft: Andrea Accomazzo von der Esa zeigte mit Tennisbäll­en in Berlin die Landung auf „Tschuri“.

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