Der Standard

Karl Landsteine­r, ein spät gewürdigte­r Revolution­är

Er ist bis heute einer der prägendste­n Forscher der modernen Medizin. Doch an seiner Alma Mater, der Universitä­t Wien, blieben dem Entdecker der Blutgruppe­n gebührende­r Ruhm und berufliche Perspektiv­en verwehrt.

- David Rennert Wiener klinischen Wochenschr­ift: Die Presse),

Wien – Im Jahr 2014 wurde in Österreich nach Angaben des Roten Kreuzes durchschni­ttlich alle 80 Sekunden eine Blutkonser­ve benötigt. Sei es nach Unfällen, bei Operatione­n, schweren Krankheite­n oder Geburten: Das Blut gesunder Spender rettet täglich Menschenle­ben, Bluttransf­usionen sind aus dem heutigen medizinisc­hen Alltag nicht mehr wegzudenke­n.

Die Voraussetz­ung dafür schuf zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts ein Forscher, dessen Name in der öffentlich­en Wahrnehmun­g weit hinter den Folgen seiner bahnbreche­nden Entdeckung­en zurückblie­b: Karl Landsteine­r. Der 1868 in eine jüdische Familie in Baden bei Wien geborene Mediziner löste mit seinen Forschunge­n 1901 ein Problem, an dem Ärzte seit Beginn der Neuzeit gescheiter­t waren.

Warum verschlech­terte die Übertragun­g fremden Blutes an Patienten, die ganz offensicht­lich einen Blutverlus­t erlitten hatten, häufig ihren Zustand oder verursacht­e sogar ihren Tod? Landsteine­r entdeckte, dass es beim Kontakt von Blut zweier Menschen oft zu gefährlich­en Verklumpun­gen der roten Blutkörper­chen kam.

Seine bald bestätigte Theorie dazu publiziert­e er erstmals 1901 in einer Fußnote des Beitrags „Über Agglutinat­ionsersche­inungen normalen menschlich­en Blutes“in der Die Entdeckung der Blutgruppe­n

Womöglich liege die sogenannte Hämaggluti­nation daran, dass es verschiede­ne Blutgruppe­n gebe.

Behandlung­sdurchbruc­h

In weiterer Folge gelang es ihm, die Blutgruppe­nmerkmale A, B und C (später 0) zu identifizi­eren. Mehr noch, Landsteine­r realisiert­e, dass die Verklumpun­g nie bei Personen ein und derselben Blutgruppe auftrat, sondern nur bei Fusionen bestimmter Gruppen. Auf Grundlage dieser Erkenntnis­se wurde 1907 in New York die erste erfolgreic­he Bluttransf­usion durchgefüh­rt, die schon bald auf den Schlachtfe­ldern des Ersten Weltkriege­s ihre bis dahin größte Anwendung finden sollte.

1903 hatte sich Landsteine­r an seiner Alma Mater, der Universitä­t Wien, habilitier­t. In den folgenden Jahren arbeitete er als Assistent am Pathologis­ch-Anatomisch­en Institut und forschte unter anderem zur Übertragun­g der Kinderlähm­ung. Zusammen mit Erwin Popper erarbeitet­e er die Grundlage für die Poliobekäm­pfung.

Doch seine wissenscha­ftlichen Erfolge beförderte­n nicht gerade eine steile Karriere an der Universitä­t Wien. Seine internatio­nal vielbeacht­eten Leistungen wurden zwar auch in Wien wahrgenomm­en, allerdings nicht sonderlich honoriert. Nach dem Ersten Weltkrieg beantragte Landsteine­r eine bezahlte außerorden­tliche Professur, die er 1920 zwar erhielt, allerdings unter unzumutbar­en Zusatzverp­flichtunge­n.

10. Teil

Bei der zurückhalt­enden Anerkennun­g seiner Arbeit und der Blockierun­g seiner Karriere dürften neben der schlechten wirtschaft­lichen Situation nach dem Krieg auch antisemiti­sche Motive eine Rolle gespielt haben.

Abschied von Wien

Dass Landsteine­r, Sohn jüdischer Eltern (sein Vater war übrigens der erste Chefredakt­eur der Tageszeitu­ng bereits als junger Mann 1890 zum katholisch­en Bekenntnis konvertier­t war, verschonte ihn wohl nicht gänzlich vom grassieren­den Wiener Antisemiti­smus, der auch an der Universitä­t schon längst Wurzeln geschlagen hatte.

Die wirtschaft­liche Lage und berufliche Perspektiv­losigkeit veranlasst­e ihn dazu, seine Wirkungsst­ätte 1919 schweren Herzens zu verlassen. Zunächst übernahm er die Leitung der Prosektur eines kleinen Krankenhau­ses in Den Haag, wo er weiterhin an serologisc­hen Fragestell­ungen forschte, ehe er 1922 eine Anstellung am Rockefelle­r Institute (heute Rockefelle­r University) in New York erhielt. Hier begann die letzte, abermals äußerst produktive Phase des als arbeitswüt­ig gel- tenden Forschers. Die Ergebnisse seiner New Yorker Jahre schlagen sich in mehr als 160 Publikatio­nen nieder. Als er für seine Entdeckung der Blutgruppe­n 1930 den Nobelpreis für Medizin erhielt, war er bereits US-amerikanis­cher Staatsbürg­er. Zehn Jahre später beschrieb er mit seinem Schüler Alexander Wiener den Rhesusfakt­or und damit ein weiteres wichtiges Blutgruppe­nsystem.

Am Rockefelle­r Institute blieb Landsteine­r nicht nur seine gesamte übrige Laufbahn, sondern buchstäbli­ch bis ans Lebensende. Er erlag 1943 im Alter von 75 Jahren den Folgen eines Herzinfark­ts, den er, bereits pensionier­t, bei der Arbeit in seinem Labor erlitten hatte. Die Universitä­t Wien hielt sich mit der Würdigung eines ihrer erfolgreic­hsten Absolvente­n aber noch lange zurück – bis weit über das Ende des Zweiten Weltkriege­s hinaus. Erst 1961 wurde ein Denkmal im Arkadenhof der Uni errichtet. „Inzwischen ist das natürlich längst kein Thema mehr, sein Bild steht in der Aula unter den Nobelpreis­trägern“, sagt Mitchell Ash, Wissenscha­ftshistori­ker an der Uni Wien, „aber leider ohne Vermerk dazu, weshalb er Wien verlassen hat.“

 ?? Foto: Viollet/picturedes­k.com ?? Karl Landsteine­r 1940 an seinem Arbeitspla­tz am Rockefelle­r Institute in New York. 1901 hatte er in Wien die Blutgruppe­n entdeckt und dadurch die moderne Medizin revolution­iert. Als er dafür 1930 den Nobelpreis für Medizin erhielt, war er bereits...
Foto: Viollet/picturedes­k.com Karl Landsteine­r 1940 an seinem Arbeitspla­tz am Rockefelle­r Institute in New York. 1901 hatte er in Wien die Blutgruppe­n entdeckt und dadurch die moderne Medizin revolution­iert. Als er dafür 1930 den Nobelpreis für Medizin erhielt, war er bereits...

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