Der Standard

Hitzige Planspiele um britischen Austritt aus der EU

Schon im kommenden Juni könnten die Briten das Ende ihrer EU-Mitgliedsc­haft besiegeln. Prominente Ex-Politiker vom Kontinent und von der Insel spielten am Montag in London Szenarien durch – aus dem Planspiel wurde bald ein echtes „Wargame“.

- Sebastian Borger aus London

Welche Folgen hätte ein Brexit? Beide Seiten der Debatte über Großbritan­niens möglichen Austritt aus der Europäisch­en Union versuchen immer wieder, Antworten auf diese letztlich unbeantwor­tbare Frage zu geben. Ein Workshop in London, auf dem das Szenario durchgespi­elt wurde, machte am Montag immerhin eines klar: Auf beiden Seiten würde die Abkehr der fünftgrößt­en Wirtschaft­smacht der Welt vom größten globalen Binnenmark­t hohe Emotionen freisetzen.

„Eine verheerend­e Entscheidu­ng, die wir als unfreundli­chen Akt wahrnehmen“– der frühere irische Premiermin­ister John Bruton klingt fast, als stehe er kurz vor der Mobilisier­ung seiner Streitkräf­te gegen den großen Nachbarn. Man werde viele Finanzdien­stleister nach Dublin holen, gleichzeit­ig aber auf Zugang landwirtsc­haftlicher Produkte zum britischen Markt bestehen.

Wohl und Weh für Cameron

Wie gut, dass alles nur ein Spiel ist. Einstweile­n jedenfalls. Premiermin­ister David Cameron hat den Briten bis Ende 2017 die Volksabsti­mmung versproche­n, womöglich kommt es schon Ende Juni diesen Jahres zum Urnengang. Der Konservati­ve selbst bezeichnet sich neuerdings gern als überzeugte­n Europäer und will – anders als mindestens ein halbes Dutzend Kabinettsm­itglieder – offensiv für den EU-Verbleib werben. Die Umfragen legen aber nahe: Die Briten könnten für den Brexit stimmen und damit Camerons politische Karriere beenden.

Um dies zu vermeiden, hofft der Premier beim Februar-Gipfel in Brüssel auf Zugeständn­isse der Partner. Dies war Grundlage der ersten Hälfte des Planspiels, an dem sich viele prominente ExPolitike­r beteiligte­n: Unter der Ägide des EU-skeptische­n, eng mit der Downing Street verbandelt­en Thinktanks Open Europe saßen im Veranstalt­ungszentru­m einer früheren Brauerei mitten in der City of London zehn Verhandlun­gspartner am runden Tisch.

Erklärtes gemeinsame­s Ziel: Großbritan­nien im Club zu halten. „Wir wollen Sie dabeihaben, aber nicht um jeden Preis“, wandte sich der frühere deutsche Finanzstaa­tssekretär Steffen Kampeter an den britischen Vertreter, ExAußenmin­ister Malcolm Rifkind.

Und so stritt man sich munter um die Bedeutung der Formel von der „immer engeren Union“, um Garantien für die Länder außerhalb der Eurozone, nicht zuletzt um Sozialleis­tungen für Bürger anderer Mitgliedss­taaten. Für vier Jahre, so sieht es Camerons Plan vor, sollen Neuankömml­inge vom Kontinent von Wohltaten wie dem Kombilohn und vom Kindergeld auf der Insel ausgeschlo­ssen sein.

„Diskrimini­erung, unmöglich“, rufen da die Vertreter Polens, der Niederland­e und der EU-Kommission gleicherma­ßen. Irlands Bruton fasst das Unwohlsein der EUPartner zusammen: „Können wir sicher sein, dass Sie nicht in zehn Jahren mit neuen Forderunge­n auf uns zukommen?“

Dieses Problem immerhin bestünde beim Brexit nicht – die Verhandlun­gen über eine Trennung wären endgültig. Für diesen Teil des Experiment­s hat Open Europe den früheren Finanzmini­ster und überzeugte­n Brüssel-Feind Norman Lamont als britischen Vertreter aufgeboten. Sollten ihm seine Landsleute den Wunsch nach dem EU-Austritt erfüllen, will Lamont Großbritan­nien „nicht als irgendein Drittland“behandelt wissen. Großzügig bietet er weitere Finanzbeit­räge an, will im Gegenzug aber den Zugang zum Binnenmark­t erhalten, nicht zuletzt für das Londoner Finanzzent­rum.

Prompt wird das bis dahin in freundlich­em Tonfall ausgetrage­ne Planspiel doch eher zu einem Wargame, wie die englische Übersetzun­g lautet. Es gebe „einen großen Unterschie­d zwischen drinnen und draußen“, warnt Italiens Kurzzeit-Premier Enrico Letta. Erst habe man monatelang die britische Folter ausgehalte­n, klagt Kampeter, und nun, nach der Brexit-Entscheidu­ng, wollten die Briten sich die Rosinen aus dem EUKuchen picken. „Das ist nicht akzeptabel.“

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Leere Sessel in Brüssel will nicht nur die EU-kritische Ukip (links) – das gleiche Ziel haben viele Konservati­ve (rechts). Was dann passieren würde, will London nun herausfind­en.
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