Wilde Polemik um die toskanischen Wildschweine
Regionalregierung ruft zum Halali auf 250.000 Tiere – Umweltschützer wollen „Massaker“verhindern
„Die Situation ist außer Kontrolle, wir haben einen echten Notstand“, betont der Landwirtschaftsminister der Region Toskana, Marco Remaschi. Die Wildschweinpopulation habe in den letzten Jahren dramatisch zugenommen; inzwischen werde die Toskana von über 400.000 Exemplaren bevölkert. Die Wildschweine richten gewaltige Schäden an: Vor allem die männlichen Tiere, die Keiler, pflügen mit ihren Stoßzähnen auf der Suche nach Nahrung ganze Felder um. Aber auch Golfplätze und die Weinberge des Chianti sind nicht mehr sicher. Und auf Überlandstraßen häufen sich die Zusammenstöße – mit meist tödlichem Ausgang für die Schweine, aber manchmal auch für die Autofahrer.
Die sozialdemokratische Regionalregierung in Florenz hat deshalb einen Plan vorgelegt, wie sie der Wildschweinplage Herr werden will. Insgesamt, sagt Minister Remaschi, soll der Bestand in den nächsten drei Jahren um 250.000 Tiere verkleinert werden.
Auch Bauern sollen jagen
Weil die toskanischen Jäger das ohne fremde Hilfe nicht schaffen werden, sollen auch die Bauern zur Flinte greifen dürfen. Und zwar nicht nur in der Jagdsaison, sondern das ganze Jahr über. Die einzige Voraussetzung dafür sind der Erwerb eines Waffentragscheins sowie der Besuch eines Jagdkurses. Das langfristige Ziel der Regionalregierung ist ein Bestand von rund 100.000 Wildschweinen.
Umweltschützer empfinden die Abschusspläne als Sauerei und protestieren gegen das geplante „Massaker“. Der Tonfall gleitet dabei gelegentlich ab: „Die Toskana wird zur Kriegszone“, erklärt Camilla Lattanzi, die den Widerstand koordiniert.
Das Gemetzel ist nach Auffassung der Umweltschützer völlig unnötig: Erstens handle es sich bei dem von den Behörden genannten Wildschweinbestand um eine bloße Schätzung, die wahrscheinlich viel zu hoch gegriffen sei. Zweitens gebe es andere Möglichkeiten: Zum Beispiel könnte der Bestand durch die Ansiedlung von Wölfen reguliert werden, und Bauern könnten Felder und Weinberge durch Zäune schützen.
Die Debatte um die toskanischen Wildschweine wird immer mehr auch zu einer nationalen Affäre, dutzende Prominente aus dem ganzen Land fordern nun in einer Petition zu einem Verzicht auf die Bestanddezimierung auf: „Es droht ein bisher nie da gewesenes Blutvergießen. (...) Jäger werden schreien, sie werden schießen, sie werden töten. Aber es wird alles unnütz und sogar schädlich sein. Wir müssen sie stoppen.“
Der toskanische Landwirtschaftsminister versucht, die Be- denken ernst zu nehmen, aber: „Bezüglich der Wiederansiedlung der Wölfe müsste man wohl erst die Schafzüchter fragen“, erklärt Marco Remaschi. Auch das Einzäunen der Felder sei wenig realistisch. Einige Versuche hätten nichts gebracht: Von einem normalen, noch halbwegs finanzierbaren Zaun lasse sich keine Sau abhalten. Kurz: Zum Abschuss gebe es keine vernünftige Alternative. Im Februar muss das toskanische Regionalparlament dem „Massaker“noch zustimmen.