Der Standard

Wilde Polemik um die toskanisch­en Wildschwei­ne

Regionalre­gierung ruft zum Halali auf 250.000 Tiere – Umweltschü­tzer wollen „Massaker“verhindern

- Dominik Straub aus Rom

„Die Situation ist außer Kontrolle, wir haben einen echten Notstand“, betont der Landwirtsc­haftsminis­ter der Region Toskana, Marco Remaschi. Die Wildschwei­npopulatio­n habe in den letzten Jahren dramatisch zugenommen; inzwischen werde die Toskana von über 400.000 Exemplaren bevölkert. Die Wildschwei­ne richten gewaltige Schäden an: Vor allem die männlichen Tiere, die Keiler, pflügen mit ihren Stoßzähnen auf der Suche nach Nahrung ganze Felder um. Aber auch Golfplätze und die Weinberge des Chianti sind nicht mehr sicher. Und auf Überlandst­raßen häufen sich die Zusammenst­öße – mit meist tödlichem Ausgang für die Schweine, aber manchmal auch für die Autofahrer.

Die sozialdemo­kratische Regionalre­gierung in Florenz hat deshalb einen Plan vorgelegt, wie sie der Wildschwei­nplage Herr werden will. Insgesamt, sagt Minister Remaschi, soll der Bestand in den nächsten drei Jahren um 250.000 Tiere verkleiner­t werden.

Auch Bauern sollen jagen

Weil die toskanisch­en Jäger das ohne fremde Hilfe nicht schaffen werden, sollen auch die Bauern zur Flinte greifen dürfen. Und zwar nicht nur in der Jagdsaison, sondern das ganze Jahr über. Die einzige Voraussetz­ung dafür sind der Erwerb eines Waffentrag­scheins sowie der Besuch eines Jagdkurses. Das langfristi­ge Ziel der Regionalre­gierung ist ein Bestand von rund 100.000 Wildschwei­nen.

Umweltschü­tzer empfinden die Abschusspl­äne als Sauerei und protestier­en gegen das geplante „Massaker“. Der Tonfall gleitet dabei gelegentli­ch ab: „Die Toskana wird zur Kriegszone“, erklärt Camilla Lattanzi, die den Widerstand koordinier­t.

Das Gemetzel ist nach Auffassung der Umweltschü­tzer völlig unnötig: Erstens handle es sich bei dem von den Behörden genannten Wildschwei­nbestand um eine bloße Schätzung, die wahrschein­lich viel zu hoch gegriffen sei. Zweitens gebe es andere Möglichkei­ten: Zum Beispiel könnte der Bestand durch die Ansiedlung von Wölfen reguliert werden, und Bauern könnten Felder und Weinberge durch Zäune schützen.

Die Debatte um die toskanisch­en Wildschwei­ne wird immer mehr auch zu einer nationalen Affäre, dutzende Prominente aus dem ganzen Land fordern nun in einer Petition zu einem Verzicht auf die Bestanddez­imierung auf: „Es droht ein bisher nie da gewesenes Blutvergie­ßen. (...) Jäger werden schreien, sie werden schießen, sie werden töten. Aber es wird alles unnütz und sogar schädlich sein. Wir müssen sie stoppen.“

Der toskanisch­e Landwirtsc­haftsminis­ter versucht, die Be- denken ernst zu nehmen, aber: „Bezüglich der Wiederansi­edlung der Wölfe müsste man wohl erst die Schafzücht­er fragen“, erklärt Marco Remaschi. Auch das Einzäunen der Felder sei wenig realistisc­h. Einige Versuche hätten nichts gebracht: Von einem normalen, noch halbwegs finanzierb­aren Zaun lasse sich keine Sau abhalten. Kurz: Zum Abschuss gebe es keine vernünftig­e Alternativ­e. Im Februar muss das toskanisch­e Regionalpa­rlament dem „Massaker“noch zustimmen.

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