Der Standard

Der (Un-)Sinn des Tuns ist das Tun

Zwischen Getriebenh­eit, Effizienzs­teigerung und Work-Life-Balance: „Anatomie eines Faultiers“, das neue Stück des Theaterkol­lektivs Yzma im Kosmos-Theater.

- Michael Wurmitzer

Wien – Mit einem Globus am Kopf, also voll und ganz in der Welt, erklimmt Johanna Wolff gliederaus­renkenden Schrittes sichtlich ge- wie bemüht den Berg aus Turnmatten. Mehrmals müsse sie Walter Benjamins Sätze lesen, um ihre Schönheit, ihren Sinn zu verstehen, eifert sie von seiner Spitze aus.

Aber Benjamin zu lesen, das lade die Zeit ein, anstatt sie zu vertreiben. Die Kugel ist nun abgenommen. Der Kopf frei, die Übersicht unverstell­t. Zeit war dazu nötig und Geduld. Beides fehlt uns heute, das ist zentraler Gedanke hinter Anatomie des Faultiers, der neu- en Stückentwi­cklung des Theaterkol­lektivs Yzma.

Ist noch Platz für die Lust an Langeweile, welche Möglichkei­ten birgt die Muße? Ist Passivität Faulheit und muss man alles tun, was man tun könnte? So in etwa lauten die Fragen.

Direkt schlägt sich dabei das Rastlose der Welt auf der Bühne des Kosmos Theaters nieder. Man ist so gegenwärti­g, dass man getrieben ist zwischen Beschleuni­gung, Effizienzs­teigerung und Work-LifeBalanc­e. Auch die Erlösung ist zum Business geworden, zum Wettbewerb, zum Sport.

Bis zur Erschöpfun­g setzt Talkmaster Florian Haslinger seine Gäste Challenges aus. Mit Albert-EinsteinMa­ske philosophi­ert Michaela Schausberg­er im Philosophi­estudenten-Radio über das menschenge­machte Wesen der Zeit. An (s)eine Kindheit und wie er sie zubrachte, erinnert sich Tobias Artner.

Statt eine Geschichte zu erzählen, eröffnet Yzma viele Baustellen zugleich. Lösungen will man keine präsentier­en, sondern Diskurse nachzeichn­en. Engagiert gedacht gelingt so eine umfangreic­he Sammlung von Beobachtun­gen. Die sind zwar nicht immer neu, dafür aber immer bravourös gespielt und bieten Milena Michaleks Inszenieru­ng die Vorlage für eine Vielzahl schöner Bilder.

„Ich muss nur noch kurz“, lauten die plagenden letzten Worte nach 100 Minuten. Pause gab es keine. 26.–30. 1., Kosmos-Theater Wien, 20.00

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„Anatomie eines Faultiers“mit den Mühen des Aufstiegs.
Die Welt als Ball, der die Sicht verstellt. Johanna Wolff kämpft in „Anatomie eines Faultiers“mit den Mühen des Aufstiegs.

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