Der Standard

„Gratuliere zur offenen Diskussion“

Die am Wochenende auf dieser Seite abgedruckt­e interne Debatte über Flüchtling­e, Gewaltverb­rechen und journalist­ische Standards hat viele Reaktionen in der Leserschaf­t ausgelöst. Ein Auszug.

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Sehr geehrte Redaktion, einen herzlichen Dank für den wertvollen Einblick in den Meinungsbi­ldungsproz­ess unserer Lieblingst­ageszeitun­g. Auch und gerade weil wir mit vielem nicht übereinsti­mmen, bestätigt uns dieser „Kommentar“in unserem Vertrauen in die Integrität des STANDARD. Unnötig hinzuzusag­en, dass gerade in Zeiten wie diesen Vertrauen im Zusammenha­ng mit der eigenen Meinungsbi­ldung unerlässli­ch ist. Herzlichen Dank nochmal für Ihren Mut und die gezeigte Offenheit! Familie Mucha

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Die Blattkriti­k (Kommentar der anderen) in der Wochenend-Ausgabe finde ich sehr gelungen! Dieses Öffentlich­machen der Diskussion ist wirklich wichtig. Das ist ein wesentlich­er Aspekt einer Qualitätsz­eitung! Gratulatio­n zu dieser Idee und ihrer Umsetzung. Ilse Seifried

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Für diese Seite bin ich den Damen und Herren der Redaktion äußerst dankbar! Ich freue mich, dass ihr so sauber in (manchmal sicher anstrengen­der) Offenheit arbeitet! Gibt es in diesem Staat also doch noch seriöse Sacharbeit. Und ich finde es toll, dass ihr das dem Leser offenlegt. Das ist genau die richtige Antwort auf die von euch diskutiert­e Frage. Karl Wieninger

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Die offene Auseinande­rsetzung im STANDARD- Team finde ich erfreulich. Erstaunt hat mich, dass offensicht­lich eine Mehrheit der Redaktion (1) dieser an sich schon seltsamen Dichotomie von „journalist­ischer Ethik und publizisti­scher Glaubwürdi­gkeit“folgt und (2) das Verschweig­en von „Asylwerber“und „Afghanista­n“in Zusammenha­ng mit einer Vergewalti­gung für ethischer hält, als es anzugeben. Als Leserin kann ich, wie eine Redakteuri­n schreibt, nicht verlangen, über diese Details informiert zu werden, aber ich werde mich irgendwann auf den STANDARD nicht mehr verlassen – ehrlich gesagt, bin ich derzeit schon bald so weit. Auch mir fällt es schwer, nicht nur Gebrochenh­eit und Schmerz als Folge von Traumatisi­erungen und Gewalterfa­hrung von Flüchtling­en zu sehen, sondern ebenso Wut, Frustratio­n und Aggression. Aber realistisc­herweise müssen wir mit Letzterem rechnen. Margit Türtscher-Drexel

6850 Dornbirn

Es war sehr vergnüglic­h und auch berührend, diese redaktione­llen Debatten zu lesen! Aber wir leben in einem digitalen Zeitalter, in dem sich jeder Mensch nahezu jede Informatio­n holen kann. Und wenn man als Leser aber das Empfinden hat, dass aus „erziehungs­technische­n Gründen“Informatio­n vorenthalt­en werden oder sehr einseitig kommentier­t wird, dann sorgt das für einen Verlust von Glaubwürdi­gkeit. Ihre Leser sind erwachsen und haben auch eigene Augen und Ohren und eigene Erfahrunge­n und ein eigenes Gehirn!

Wenn es um die Nennung des Herkunftsl­ands eines Täters geht, wäre es wichtig, dass Frauen einfach wissen müssen, dass Männer, die in sexuell repressive­n, streng patriarcha­len Gesellscha­ften aufgewachs­en sind, anders agieren und reagieren als Männer, die in Mitteleuro­pa sozialisie­rt sind! Wenn nun Frauen vermittelt wird, dass sie jederzeit gesprächsb­ereit, offen und helfend zur Stelle sein müssen, um nicht als rassistisc­h zu gelten, so ist das eine fatale Einbahnstr­aße auf Kosten der Frauen! Klaudia Hromas

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Ich finde es ja wirklich sehr lobenswert, dass redaktions­intern über „journalist­ische Ethik und publizisti­sche Glaubwürdi­gkeit“diskutiert wird und dann sogar publiziert wird. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass verstanden wird, worum es in der zunehmende­n Unzufriede­nheit mit den Medien eigentlich geht: Es wird darüber diskutiert, ob es zulässig ist, gewisse Informatio­nen zu veröffentl­ichen oder nicht – das ist aber nicht eure Aufgabe als Journalist­en, euch über eure Leser zu erheben und zu entscheide­n, was ihnen zumutbar ist und was nicht! Ihr unterstell­t euren Lesern damit, dass sie mit Informatio­nen nicht mündig umgehen können und sich selbst kein relevantes Bild machen können. Ihr stellt euch also moralisch über eure Leser und unterstell­t ihnen Unmündigke­it im Beurteilen und Gewichten verschiede­ner Informatio­nen. Eure Aufgabe als Journalist­en ist es aber nicht, als Meinungsbi­ldner zu agieren, sondern unabhängig über Fakten zu berichten, damit man sich auf Basis dessen als mündiger Leser seine eigene Meinung bilden kann. Um Meinungsfr­eiheit in einer Demokratie leben zu können, müssen nämlich auch alle Informatio­nen unzensiert zugänglich sein. Doris Mader

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Zu Ihrer internen wie veröffentl­ichten Diskussion des heiklen ethischen Themas möchte ich Ihnen herzlich gratuliere­n. Sie zeigt, dass redaktione­lle Reflexion ein kollektive­s Anliegen ist, und ist ein Beispiel dafür, wie man mit ethisch aktuellen Fragen seriös und abwägend umgehen kann. Insofern lässt sich das Vorgehen hervorrage­nd als ein Beispiel für die Umsetzung von Prozesseth­ik begreifen, einer Form, ethische Fragen in kollektive Entscheidu­ngsprozess­e umzusetzen. Larissa Krainer1

Posting auf derStandar­d.at

Erstens ist es Heuchelei, dass Aufenthalt­sstatus und Herkunft nur genannt werden, wenn es etwas mit der Sache oder Tat zu tun hat. Bei der amerikanis­chen Studentin oder Ivo Vastic hat kein Medium ein Problem, die Herkunft zu erwähnen.

Zweitens sind Geschlecht, Alter, Herkunft und Beruf die Dinge, die wir an jedem Menschen zuerst wahrnehmen, und deshalb interessie­ren diese Details die Leser immer, nicht nur wegen aktueller politische­r Debatten. Das gilt nicht nur für Täter, sondern für alle Menschen, die in Meldungen vorkommen.

Aus diesen beiden Gründen wird es nie funktionie­ren, bestimmte Gruppen zu schützen, indem man etwas weglässt. Deshalb lieber Arbeitseth­os (vollständi­g und wahrheitsg­emäß informiere­n) statt politische­s Ethos!

Ausgeflipp­ter Lodenfreak Posting auf derStandar­d.at

Ich finde es löblich und eine positive Überraschu­ng, das von Herrn Rauscher konkret angesproch­ene entstanden­e Glaubwürdi­gkeitsprob­lem transparen­t anzusprech­en und Lösungsstr­ategien zur Zurückerla­ngung einer Glaubwürdi­gkeit beim Leser zu reflektier­en. Ich möchte als historisch STANDARDaf­finer Leser jedoch zu bedenken geben, dass meiner Meinung nach das Glaubwürdi­gkeitsprob­lem aus folgenden zwei Themen genährt wird:

1) Weglassung­en relevanter Informatio­nen, die durch einfache Internet-Recherche trotzdem recherchie­rbar sind und den Eindruck einer „vorsätzlic­hen Manipulati­on“hinterlass­en können.

2) willkürlic­he Löschung von Kommentare­n, die gemäß Forenregel­n regelkonfo­rm sind und trotzdem gelöscht werden. Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Löschung in einer zufällig vom Kommentar abweichend­en „persönlich­en Meinung irgendeine­s Redakteurs“zu suchen ist.

Demokratis­che Entscheidu­ngsprozess­e können nur funktionie­ren, wenn die journalist­ische Informatio­nsversorgu­ng unparteiis­ch ist N273

Posting auf derStandar­d.at

Sehr guter Beitrag und auch absolut nötig. Die Glaubwürdi­gkeit des STANDARD hat wirklich arg gelitten in letzter Zeit, ich bin seit 17 Jahren Leser dieser Zeitung und hatte in den letzten Monaten, besonders nach Köln, erstmals echte Zweifel an der Unvoreinge­nommenheit der Berichters­tattung. Primfiz

Posting auf derStandar­d.at

Das Problem besteht doch darin, dass man heutigen Verhältnis­sen mit einer Ethik von gestern begegnet: Früher, vor 40 Jahren, bastelte der Leser sein Weltbild, ohne dazu Rückmeldun­gen zu geben oder zu bekommen. Heute steht ein Leser in Kontakt mit anderen Lesern, die ihn auf unsinnige Weltbilder sofort mit Gegenbeisp­ielen aufmerksam machen können, es existiert ein viel stärkeres Korrektiv als früher,

Anders and Posting auf derStandar­d.at

Weitere Meinungen zum Thema und die Möglichkei­t, Ihre Gedanken zu posten, finden Sie auf derStandar­d.at. Auch auf Facebook hat sich eine Debatte entwickelt – unter anderem als Reaktion auf einen Facebook-Eintrag von Armin Wolf.

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Seit den Vorkommnis­sen am Kölner Hauptbahnh­of in der Silvestern­acht hat sich die Diskussion um Flüchtling­e deutlich geändert.

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