Der Standard

Schützen statt spitzeln

SPÖ und ÖVP segnen im Nationalra­t die erweiterte­n Kompetenze­n für Staatsschü­tzer ab: Bis zuletzt wurde mit Blau und Grün gerungen, damit möglichst wenige Normalbürg­er vom Kampf gegen den Terror erfasst werden.

- Nina Weißenstei­ner

Vor dem letzten Verhandlun­gsmarathon zum umstritten­en Staatsschu­tzgesetz bot Peter Pilz am Dienstagvo­rmittag sein größtes Drohpotenz­ial auf. Sollten die Gespräche platzen, stellte der Grüne Rot und Schwarz in Aussicht, wolle er mit den Blauen so schnell wie möglich vor das Höchstgeri­cht ziehen: „Denn dann ist es mein Ziel, dass das Gesetz schon bei Inkrafttre­ten vom Verfassung­sgerichtsh­of aufgehoben wird – und dann verhandeln wir eben alles noch einmal.“

Sprach’s – und schritt gegen Mittag zum High Noon mit den Verhandler­n von SPÖ und ÖVP, konkret Otto Pendl und Werner Amon. Denn nach den Anschlägen von Paris wollen heute, Mitt- woch, die Klubchefs der Koalition, Andreas Schieder und Reinhold Lopatka, endlich die erweiterte­n Befugnisse für die rund 500 heimischen Beamten des Verfassung­sschutzes im Parlament absegnen, damit diese ab Jahresmitt­e vor allem Islamisten und Extremiste­n rascher dingfest machen.

Weil die Opposition befürchtet, dass mit dem von den Regierungs­parteien vorgesehen­en Regelwerk nicht nur tatsächlic­he Gefährder, sondern auch unzählige unbescholt­ene Bürger ins Visier der Ermittler geraten, wurde zumindest mit den Freiheitli­chen und Grünen in getrennten Runden bis in die späten Abendstund­en gerungen – vor allem um neue Formulieru­ngen. Doch der Ausgang blieb bis zuletzt ungewiss – und die Neos und das Team Stronach gleich außen vor gelassen. Denn trotz der heiklen Materie brauchen SPÖ und ÖVP für ihren Beschluss gar keine Zweidritte­lmehrheit, weil sie – trotz Protesten von Anwälten, Datenschüt­zern und Journalist­envertrete­rn – unter anderem keine richterlic­he Kontrolle rund um die einzelnen, durchaus strittigen Ermittlung­sschritte vorgesehen haben.

Verdächtig­e Schalträge­r

Und derlei gibt es genug: Der Einsatz von bezahlten Vertrauens­leuten in den gefährlich­en Milieus etwa oder der mehrere Dutzend Vergehen umfassende Deliktekat­alog, in dessen Rahmen die Staatsschü­tzer auf Verdacht hin Personen observiere­n dürfen.

Hier konnte Pilz zuletzt zwar von Fortschrit­ten berichten, weil seine Partei nahezu alle Demonstrat­ionsdelikt­e aus dem Gesetzeste­xt herausrekl­amiert haben will – allerdings mit Ausnahme des „Landfriede­nsbruchs“. Ein No-Go für den Grünen: „Damit würden organisier­te Fußballfan­s, die bei einem Polizisten anstreifen könnten, als verdächtig gelten.“Und so auch als potenziell­e Gefährder „in den Computern der Staatsschü­tzer“landen, samt all ihren Kontaktper­sonen, und: Bei Gefahr in Verzug könnten ihre Koordinate­n auch an ausländisc­he Dienste weitergere­icht werden. „Es reicht also, sich gemeinsam einen grünen oder violetten Schal umzubinden“, warnte Pilz.

Gernot Darmann von der FPÖ bestand bis zuletzt darauf, dass auch Meinungsde­likte aus dem Katalog genommen werden – während der Verhandlun­gen hieß es, dass bei Verdacht auf Verhetzung doch nicht alle Unterparag­rafen für eine Observatio­n schlagend werden sollen. Der Freiheitli­che in einer Verhandlun­gspause zum STANDARD: „Es kann nicht sein, dass sich bei jeder Unmutsäuße­rung an einem Stammtisch – etwa gegen die Regierung – dort Spitzel einschleic­hen können.“

Für eine lebhafte Parlaments­debatte ist am Mittwoch jedenfalls gesorgt: Die Neos bringen einen Änderungsa­ntrag ein, das Team Stronach will von Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) exakt wissen, wie viele Heimkehrer aus dem Jihad sich hierzuland­e eigentlich tummeln.

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Nicht nur Jihadisten, auch Unbescholt­ene können ins Visier der Verfassung­sschützer geraten: Bis zuletzt wurde um mehr Kontrolle gerungen.

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